Kalenderblätter | Christian Karn | 07.09.2020

Der Mann mit den abgeklappten Knien

Das 05-Kalenderblatt* für den 7. September.
War ein herausragender Torhüter und hat herausragende Torhüter hervorgebracht: Stephan Kuhnert.
War ein herausragender Torhüter und hat herausragende Torhüter hervorgebracht: Stephan Kuhnert. | Peter H. Eisenhuth

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es vor allem um eine lebende Legende.

 

7. September

Heute hat eine der prägenden Figuren des FSV Mainz 05 Geburtstag: Stephan Kuhnert, seit über 30 Jahren zunächst Torwart, dann Torwarttrainer der 05er, wird 60 Jahre alt.

Kuhnert ist eigentlich Nordhesse, er stammt aus Baunatal und spielte zwölf Jahre beim KSV, ehe er als 20-Jähriger in den Südwesten kam. Bei Wormatia Worms entwickelte sich Kuhnert zum besten Torwart der Oberliga Südwest und zur logischen Verpflichtung der 05er, als diese 1987 endlich den Wiederaufstieg erzwingen wollten, dazu aber noch einen herausragenden Torhüter brauchten; der starke Jugoslawe Slobodan Sujica hatte 1986 keine Arbeitserlaubnis mehr bekommen und Deutschland verlassen müssen, und mit seinem Nachfolger Dieter Ingendae waren die 05er nicht zufrieden.

Mit Kuhnert schon. Der war sechs Jahre lang klarer Stammtorwart, hatte dann erst immer mal wieder mit Verletzungen zu kämpfen, wurde aber erst 1995/96 vom jungen Neuzugang Dimo Wache aus dem Tor gedrängt – und kam 1997/98 nach Waches erster schwerer Verletzung noch einmal für ein halbes Jahr zurück. Das letzte seiner 242 Zweitligaspiele, das 211. für die 05er, machte Kuhnert am 23. Mai 1999 im Alter von 38 Jahren beim 3:0-Sieg in Düsseldorf. Zu diesem Zeitpunkt war der Routinier bereits seit fast zwei Jahren Torwarttrainer;, einspringen musste er, weil neben Wache auch Herbert Ilsanker und Holger Bernhardt ausfielen.

Eins-gegen-eins als Spezialität

Kuhnert war ein aus dem Mainzer Niveau herausragender Torhüter. Seine Spielweise kann man sich gut vorstellen, wenn man die heutigen Mainzer Keeper beobachtet, seine größte Stärke bringt er allen seinen Schülern bei: Mit abgeklappten Knien konnte sich Kuhnert sehr breit stellen, gerade gegen etwas seitlich zum Tor laufende Stürmer besaß er die Fähigkeit, viel abzudecken, die Ecken zu schließen. Im Eins-gegen-eins-Duell war er schwer zu schlagen. Aber auch in der Luft und auf der Linie war Stephan Kuhnert ein starker Torhüter, außerdem ein Fußballer mit einer überragenden Schusstechnik, wie man heute noch im Training beobachten kann: Beim Aufwärmen seiner Torhüter kommt jeder Schuss präzise dahin, wo er hin soll.

Jedoch hat Kuhnert nicht deswegen in Ligaspielen zweimal getroffen. Sein Abschlag gegen Borussia Neunkirchen am 29. Oktober 1989, aus der Hand knapp innerhalb des eigenen Strafraums nach vorne geschlagen, flog mit etwas Windunterstützung bis kurz vor den gegnerischen Strafraum, sprang dort hoch auf und fiel unhaltbar knapp unter der Latte zum „Tor des Monats“ ins Netz. Bei der Wahl zum Torschützen des Jahres in der ARD-Sportschau wurde der damalige Oberliga-Keeper Zweiter hinter Klaus Augenthaler, dessen Treffer später zum Tor des Jahrzehnts gewählt wurde.

Der zweite Treffer zählt nicht

Kuhnerts zweites Tor ist Teil einer noch viel größeren Geschichte: Im Saisonauftaktspiel gegen Hannover 96 am 5. August 1995 rettete er mit einem Kopfball in der Nachspielzeit einen Punkt – dachte er, dachten alle. Allerdings hatte der Verein es versäumt, Thomas Ziemer, den Torschützen zum 1:0, im Vorjahr nur ausgeliehen, jetzt fest verpflichtet, vor der Saison auf die Spielberechtigungsliste setzen zu lassen.

Aufgefallen war dies erst kurz vor dem Anpfiff, der Schiedsrichter war sich selbst nicht sicher, wie man mit der Situation umgehen solle, 05-Manager Christian Heidel hatte Ziemer sicherheitshalber aus der Startelf gestrichen und dann (vergeblich) versucht, beim DFB jemanden zu erreichen. Als er zurück ins Stadion kam, hatte das Spiel bereits begonnen, und Trainer Horst Franz hatte Ziemer aufs Feld geschickt. Deshalb wurde die Partie mit 0:2 gewertet, Kuhnerts Tor war nichts wert.

Aber wer weiß, was das auf lange Sicht wert war? Mit einem Punkt gegen Hannover hätten die 05er vielleicht mehr Selbstvertrauen gehabt und wären nicht mit einem Punkt und 0:13 Toren in sieben Spielen gestartet. Dann hätten sie vielleicht nicht den Trainer so früh gewechselt und Wolfgang Frank geholt. Ohne Frank hätte es keinen Trainer Jürgen Klopp gegeben, ohne Klopp keinen Aufstieg, ohne Aufstieg weder Stadionum- noch -neubau. Und vielleicht würde Mainz 05 dann heute mal wieder zum Viertligaderby nach Worms mit der Ersten Mannschaft fahren... Spekulation? Nichts anderes!

 

Michael Sauer wird 51 Jahre alt. Der Linksverteidiger aus Wiesbaden kam 1998 mit großen Vorschusslorbeeren vom SV Wehen zu den 05ern, setzte sich aber nicht durch: Im ersten Jahr spielte Sauer immerhin 17-mal (siebenmal von Anfang an), zu Beginn seiner zweiten Saison zweimal. Dann schloss sich der Verteidiger schon wieder dem SV Wehen an, bei dem er mit 180 Spielen jahrelanger Leistungsträger war.

 

30 Jahre alt wird Tim Fliess, der von 2007 bis 2010 im Nachwuchs der 05er spielte. Der Linksverteidiger und Sechser kam von Eintracht Frankfurt, wurde 2009 nach 44 Spielen in der U-19-Bundesliga Deutscher A-Junioren-Meister und rückte in die Regionalligamannschaft auf. In der spielte er aber keine Rolle und wechselte nach einem Jahr zur Zweiten Mannschaft des FSV Frankfurt. Inzwischen spielt Fliess beim Hessenligisten Hanauer FC.

 

Aber auch Wolfgang Frank müssen wir an dieser Stelle noch einmal erwähnen. Der ehemalige Bundesligatorjäger, der Trainer, der die 05er in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in insgesamt 114 Zweitligaspielen betreute und all das ins Rollen brachte, die Mainz 05 letztlich so weit nach oben geführt hat, der Motivator und Psychologe, verstarb am heute vor sieben Jahren nach schwerer Krankheit im Alter von nur 62 Jahren.

 

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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