Bundesliga | Gert Adolphi | 27.02.2022

„Ein silberner Pokal ist besser als keiner“

Zum ganz großen Wurf reicht es nicht: Der ASV Mainz 88 verliert den entscheidenden Finalkampf beim SV Wacker Burghausen mit 11:18. Die Verantwortlichen sind dennoch stolz auf eine herausragende Saison.
Ahmed Dudarov (unten )gab zum Auftakt der zweiten Halbzeit gegen Akhmed Magamaev zwar nur einen Punkt ab. Doch beim Stand von 3:12 war der Mainzer Titeltraum so gut wie ausgeträumt.
Ahmed Dudarov (unten )gab zum Auftakt der zweiten Halbzeit gegen Akhmed Magamaev zwar nur einen Punkt ab. Doch beim Stand von 3:12 war der Mainzer Titeltraum so gut wie ausgeträumt. | Peter H. Eisenhuth

Burghausen. Harun Yildiz tigerte durch den Kabinengang und kämpfte mit den Tränen. Und der Kotrainer des ASV Mainz 88 war am Samstagabend nicht der Einzige, der in der Ringerhalle des SV Wacker Burghausen um Fassung rang. Seine Athleten nahmen einander in den Arm, trösteten sich gegenseitig.

Ihre großen Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt, ihre Träume waren zerplatzt. Nach dem 12:12 vor Wochenfrist in Mombach hatten die 88er soeben den Final-Rückkampf um die Deutsche Meisterschaft mit 11:18 verloren und mussten sich mit dem silbernen Pokal begnügen. Den Titel aber holten sich zum vierten Mal hintereinander die Burghausener.

Trotz aller Enttäuschung hob Baris Baglan die positiven Aspekte der Saison hervor. „Mit Leidenschaft haben wir uns aus dem Abstiegskampf befreit“, erinnerte der ASV-Vorsitzende an die drei Niederlagen zu Rundenbeginn. „Mit Teamgeist sind wir in die Endrundenkämpfe gegangen. Respekt vor dieser herausragenden Saisonleistung. Sie hat uns ins Finale gebracht.“ Ein silberner Pokal sei besser als keiner, eine Vizemeisterschaft sei auch ein Titel. Doch liebend gerne „hätten wir den Meisterpott nach Meenz gebracht und am Rosenmontag in unserem Städtchen aufgestellt“.

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Remel zur Dopingkontrolle

Auch Wladimir Remel hatte das Ergebnis die Laune verdorben. „Das muss ich erst einmal verdauen“, sagte der Mainzer Mannschaftsführer. „Wir wollen immer gewinnen, nur das zählt für uns.“ Natürlich sei schon der Einzug ins Finale ein Erfolg gewesen, doch im Moment der Niederlage stelle das nur einen schwachen Trost dar.

Besonders bitter war der Abend für ihn, weil er direkt nach seinem Kampf zur Dopingkontrolle mit Blutabnahme und Urinprobe musste. Das lief nicht auf Anhieb, erst kurz vor der Pause durfte Remel von der Kabine wieder an den Mattenrand. „Da warte ich fast zehn Jahre darauf, ins Finale zu kommen, und sehe dann nur die Hälfte der Begegnung.“

Dass sich die Gastgeber zu Recht durchgesetzt hatten, erkannten die Mainzer allerdings ohne Einschränkung an. „Die Burghausener waren einfach stärker“, sagte Trainer Davyd Bichinashvili und gratulierte dem Titelverteidiger, der auch als Favorit in die Saison gegangen war. Dem schloss sich Baglan an: „Die stärkste Mannschaft hat sich verdient durchgesetzt. Die Burghausener sind das Nonplusultra der Bundesliga.“ Tolga Sancaktaroglu, der Ehrenvorsitzende der 88er, ergänzte: „Respekt vor Wacker Burghausen. Man wird nicht von ungefähr viermal hintereinander Deutscher Meister.“  

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„Heute ist wenig gelaufen“

Trotz des klaren Kräfteverhältnisses hatten die 88er alles darangesetzt, die Überraschung zu schaffen. Sie waren beseelt vom Willen, als Underdog dem Favoriten ein Bein zu stellen. Woran lag es, dass das letztlich nicht gelang? „Natürlich haben wir schon in Mainz den ein oder anderen Punkt liegenlassen“, sagte Bichinashvili. „Trotzdem haben wir an unsere Chance geglaubt.“ Vier ihrer besten internationalen Leistungsträger hatten sie trotz deren Turnierverpflichtungen aufgeboten, und 27 Ringerpunkte ausgeschöpft. Die Voraussetzungen waren somit anscheinend optimal. „Aber heute ist wenig gelaufen.“

Schon zur Pause hatten sich einige Wünsche der 88er nicht erfüllt. Die klaren Niederlagen von Fabian Pelzer und Marlon Vinson waren eingeplant. Doch dass Remel, der sich in Mainz noch darüber geärgert hatte, überhaupt gegen Erik Thiele verloren zu haben, beim 0:10 gegen denselben Gegner gleich drei Mannschaftspunkte abgab, zwei mehr als im Hinkampf, tat weh. „Das war zu hoch“, sagte er selbst.

Auf mehr Punkte von Michalik gehofft

Etwas Besseres als ein 1:1, das lediglich einen Zähler brachte, hatten sich die Gäste von Tadeusz Michalik im Halbschwergewicht erhofft. „Das hätten ein oder zwei Punkte mehr sein können“, urteilte Sancaktaroglu, räumte aber ein, Ramsin Azizir habe ebenso wie zuvor schon Thiele einen tollen Kampf geboten. Michalik nutzte bei zwei Bodenkämpfen seine Chance als Obermann nicht, um weitere Wertungen einzustreichen. „Teddy kam direkt vom Yasar-Dogu-Turnier und hatte in Istanbul Gewicht gemacht“, nahm Remel seinen Teamkollegen in Schutz. „Er war müde.“

Mehr als die zwei Mannschaftspunkte, die Elcin Ali in Mombach gegen Andreas Maier eingestrichen hatte, sollten bei der Neuauflage dieses Duells herausspringen. Trotz einer 5:0-Pausenführung reichte es aber erneut nicht zu einem deutlicheren Ergebnis.

Große Vorwürfe konnte man dem 88er nicht machen, er gab auch in der zweiten Runde alles. Doch als er zum zweiten Mal Obermann im Bodenkampf war, beschwerte er sich noch beim Mattenleiter, dass sein Gegner ihm keine Griffmöglichkeit gestatte, als der Schiedsrichter schon wieder Stand anordnete. Eine mindestens fragwürdige Entscheidung. Anerkennend feststellen musste man allerdings auch, dass Maier in den letzten Kampf seiner Karriere alles hineinwarf.

Anerkennung für einen Move

So fiel der 3:11-Halbzeitstand wesentlich deutlicher als einkalkuliert, doch die 88er gaben nicht auf. „Wir haben auch schon 0:13 zurückgelegen und sind zurückgekommen“, erinnerte Bichinashvili an den letztlich erfolgreichen Halbfinalkampf in Schorndorf. „Ich habe auch heute noch fest daran geglaubt, dass wir es schaffen.“

Doch dafür hätte es der einen oder anderen Überraschung bedurft. Ein Sieg von Ahmed Dudarov im offenen Duell gegen Akhmed Magamaev hätte das Signal zur Aufholjagd sein können, doch er konnte eine 1:0-Führung nicht halten und gab einen weiteren Mannschaftspunkt ab. Die Gastgeber, von der lautstarken Anfeuerung ihrer Fans getragen, waren obenauf.

Die Burghausener hatten bei ihrer Aufstellung vieles richtig gemacht und clever auf den Ausfall zweier Athleten reagiert, die von einem Lehrgang mit einer Coronainfektion zurückgekehrt waren. Der im Weltergewicht ungeschlagene Ali-Pasha Umarpashaev tauchte erstmals in dieser Saison eine Gewichtsklasse tiefer auf. „Einen Internationalen dazu zu bekommen, von 75 auf 71 Kilo abzukochen, ist ein Move, den man erst mal hinkriegen muss“, stellte Sancaktaroglu anerkennend fest. Leidtragender war Alexander Semisorow, der einen weiteren Sieg des Bulgaren nicht verhindern konnte und drei Mannschaftspunkte abgab.

Wäre mit anderer Aufstellung mehr dringewesen?

Damit waren die Begegnung und die Meisterschaft praktisch entschieden. Um das Blatt noch zu wenden, hätten die Mainzer alle drei noch ausstehenden Kämpfe vorzeitig gewinnen müssen, zwei sogar durch Schultersiege. Das war utopisch. Zwar setzte sich Burhan Abudak technisch überlegen gegen Eduard Tatarinov durch, und Timur Bizhoev drückte zum Abschluss Enes Akbulut tatsächlich auf die Schultern, doch dazwischen hatte Ibro Cakovic, der wieder einmal eine Gewichtsklasse nach oben gerückt war und stilartfremd antrat, gegen U-23-Weltmeister Idris Ibaev verloren. Der Traum der 88er vom vierten Titel nach 1973, 1977 und 2013 war geplatzt.

Bleibt die sehr spekulative Frage, ob in Burghausen mit einer anderen Aufstellung mehr dringewesen wäre. Um ihre vier internationalen Topringer zu bringen, hatten sie erneut zwei Klassen leerlaufen lassen. Aber hätten sie eines der Löcher unter Verzicht auf einen Ausländer stopfen können? „Die taktische Aufstellung war okay“, sagte Bichinashvili. „Es gab keine andere Möglichkeit.“

Statt Michalik wäre Etka Sever, der in Mombach ebenfalls 1:0 gegen Azizir gewonnen hatte, im Halbschwergewicht antreten können. „Und wen hätten wir dafür an anderer Stelle bringen sollen?“, fragte Baglan rhetorisch. Kristupas Sleiva anstelle von Cakovic wäre eine Option gewesen, doch der Litauer war angeschlagen aus Istanbul gekommen. „Die Trainer haben anders entschieden, in der Gewissheit, die bestmögliche Mannschaft auf die Matte zu bringen“, sagte Sancaktaroglu. „Wir stehen voll hinter der Entscheidung.“

 

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