Bundesliga | Gert Adolphi | 24.02.2022

Aus einem Nachteil kann ein Vorteil erwachsen

Wer hat mit wem welche Chancen? Am Samstag treten die Ringer des ASV Mainz 88 bei Wacker Burghausen zum zweiten Finalkampf um die Deutsche Meisterschaft an. Nach dem 12:12 in Mombach ist alles offen – auch die Besetzung der beiden Kontrahenten.
Ein erneuter Sieg von Etka Sever (l.) gegen Ramsin Azizir wäre ein Pfund für die 88er.
Ein erneuter Sieg von Etka Sever (l.) gegen Ramsin Azizir wäre ein Pfund für die 88er. | Eva Willwacher

Mainz. Vor dem Rückkampf am Samstag ist noch völlig offen, wer Deutscher Mannschaftsmeister im Ringen wird (Beginn: 19.30 Uhr, → Livestream). Das 12:12 beim ersten Aufeinandertreffen vor Wochenfrist in Mombach lässt sowohl Gastgeber SV Wacker Burghausen als auch dem ASV Mainz 88 noch alle Chancen.

Nach wie vor gelten die Oberbayern als Favorit, auch wenn Alexander Leipold, der Vizepräsident Sport des Deutschen Ringerbunds, in einem Interview den 88ern leichte Vorteile zugeschrieben hat. „Ich sehe unsere Chancen immer noch bei 50:50“, sagt ASV-Trainer Davyd Bichinashvili. „Wir fahren aber nicht nach Burghausen, um zu verlieren.“ Vor dem letzten Kampf der Saison sei die Mannschaft angespannt, aber auch gut vorbereitet.

Noch stärker als in allen vorangegangenen Play-off-Begegnungen spielt der internationale Wettkampfkalender eine entscheidende Rolle bei der Besetzung der Mannschaften und damit für die Chancen auf den Titelgewinn. Seit Donnerstag findet in Istanbul das renommierte Yasar-Dogu-Turnier statt. Es ist nicht nur das höchstrangige Ringsportereignis der Türkei, sondern es zählt auch zur Ranking-Serie; das heißt, dort werden Weltranglistenpunkte vergeben, die für die Setzlisten beispielsweise bei Weltmeisterschaften entscheidend sind.

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Bujiashvili wird wohl ausfallen

Da anders als bei Welt- und Europameisterschaften oder bei Olympischen Spielen jeder Verband für dieses Turnier mehrere Athleten pro Klasse melden kann, dient Yasar Dogu auch als interne Ausscheidung für die EM-Nominierung im März, was gerade zu Beginn des olympischen Zyklus von besonderer Bedeutung ist. Wer eine Einladung nach Istanbul erhalten hat, kann und will nicht absagen.

Aus dem Mainzer Kader sind Beka Bujiashvili, Kristupas Sleiva, Burhan Akbudak, Tadeusz Michalik und Ahmet Yilmaz dort im Einsatz, vom SV Wacker nehmen Iszmail Muszukajew und Nikoloz Kakhelashvili teil. Begonnen wurde mit den Greco-Konkurrenzen, für Michalik (Aus im Achtelfinale) und Kakhelashvili (Aus in der Trostrunde) ist der Wettbewerb bereits beendet. Sleiva, Akbudak und Yilmaz gehen am Freitagmorgen auf die Matte, müssen aber gegebenenfalls am Abend erneut ran. Für die Freistiler Bujiashvili und Muszukajew gibt es wohl keine Möglichkeit, rechtzeitig nach Deutschland zu kommen.

Vor zwei Jahren, als Yasar Dogu parallel zum Halbfinal-Hinkampf zwischen den beiden jetzigen Finalisten stattfand, flogen die Burghausener zwei Athleten rechtzeitig aus Istanbul ein, der Mainzer Kader hingegen wies große Lücken auf. Dass die 88er ihren Zwischenstopp dieses Mal nicht in der deutsch-tschechischen Grenzregion, sondern in München einlegen, könnte ein Fingerzeig sein, dass sie am Samstagmorgen einen Abstecher zum dortigen Flughafen unternehmen, um weitere Athleten einzuladen.

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Grobe Aufstellung im Kopf

„Wir haben Möglichkeiten“, sagt Bichinashvili und verspricht: „Wir werden das Maximum ausnutzen.“ Er habe auch Informationen über den Burghausener Kader, möchte sie aber nicht preisgeben. Grundsätzlich erwarte er aber, dass der SV Wacker mit voller Kapelle antritt.

Mit 15, 16 Athleten brechen die Mainzer am Freitagmorgen in Richtung Süden auf. Diesmal will der Trainer aber nicht erst vor Ort und unmittelbar vor dem Wiegen entscheiden, wer aufläuft; er hat die Aufstellung schon in groben Zügen im Kopf. „Es kann aber auch passieren, dass ich kurzfristig noch einen Wechsel vornehme.“

Vor dem gemeinsamen Essen und der Übernachtung steht am Freitagabend noch eine Einheit Mattentraining bei einem kleineren Münchner Verein auf dem Programm, auch ein erstes Aufwärmen und Anschwitzen ist dort am Samstagmorgen vorgesehen. Danach geht es auf die letzte Etappe der Mission Titelgewinn.

Auch mit drei Ausländern nicht chancenlos

Dass die 88er nicht auf all ihre internationalen Topathleten zugreifen können, macht sie keinesfalls chancenlos. Zum einen sind Elcin Ali, Timur Bizhoev und Kamil Ribicky nicht in Istanbul im Einsatz, zum anderen hat die Mannschaft bereits bewiesen, dass sie auch ohne vier Ausländer bestehen kann. Sowohl im Viertelfinale beim KSV Köllerbach (Bujiashvili, Ali) als auch im Halbfinale beim ASV Schorndorf (Yilmaz, Bizhoev) trat sie lediglich mit zwei Internationalen an, setzten sich aber jeweils dank ihrer Heimsiege durch. Jetzt geht sie zwar nicht mit einem Vorsprung in die Entscheidung, das schließt aber eine Punktlandung wie in Schorndorf nicht aus.

Der Ausfall internationaler Leistungsträger lässt sich auch in einen Vorteil ummünzen, wie die Burghausener im Hinkampf bewiesen. Während die 88er ihr Kontingent voll ausschöpften, dafür aber zwei Klassen leerlaufen lassen mussten, trat der SV Wacker mit nur drei Ausländern auf, hatte aber in keiner Klasse ein eklatantes Loch.

Das könnte auch ein Muster dafür sein, wie die Mainzer die zweite Begegnung taktisch angehen werden. In einer Aufstellung mit Elcin Ali, Ashot Shahbazyan, Dawid Ersetic, Alexander Semisorow, Ahmet Yilmaz, Timur Bizhoev, Mateusz Wolny, Ahmed Dudarov, Etka Sever und Wladimir Remel stünden beispielsweise nur drei Ausländer und bliebe mit 27 Ringerpunkten unter dem erlaubten Limit.

Neuauflagen als Schlüsselkämpfe

Und diese Besetzung – Bichinashvili hat mit Sicherheit auch andere Optionen in petto – hätte den Charme, dass keine Klasse von vorneherein mit vier Punkten an den Gegner geht. Dann käme es wie immer darauf an, das Optimum aus jedem Duell herauszuholen, Siege möglichst hoch zu gestalten und Niederlagen im erträglichen Rahmen zu halten.

Vermutlich wird es zu Neuauflagen von Kämpfen aus der ersten Begegnung kommen, einige davon sind Schlüsselkämpfe. Sollte Sever sich auch im Halbschwergewicht gegen Ramsin Azizir durchsetzen, wäre das ein Pfund, Remel böte sich im Schwergewicht die Chance, sich für seine Niederlage gegen Erik Thiele zu revanchieren. Wenn dann noch Ali im Fliegengewicht gegen Andreas Maier mehr als zwei Mannschaftspunkte holt, sieht es gut aus für die 88er.

„Im Hinkampf haben wir zwar den ein oder anderen Punkt liegenlassen“, sagt Bichinashvili. „Aber wir haben gezeigt, was wir draufhaben und dass wir mitringen können.“ Es komme auf die Tagesform an und darauf, wie motiviert die Athleten seien. Das aber dürfte nicht zum Problem werden. „Man steht ja nicht jeden Tag im Finale.“

 

Was die Mainzer Ringer über ihre Chancen denken: → „Wir haben das größere Feuer“.

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