Guido Steinacker | 19.05.2020

Im gehobenen Alter ganz weit vorne

SPORTLEREHRUNG: Seit einigen Jahren ist Horst Jooß Garant für nationale und internationale Titel bei den Seniorenwettkämpfen der Gewichtheber. Der 80-Jährige fand erst mit 31 Jahren an die Langhanteln.
Auch bei geselligen Veranstaltungen wie hier beim Laubenheimer Abend zum 175-jährigen Bestehen der Sängervereinigung demonstriert Horst Jooß gerne sein Können.
Auch bei geselligen Veranstaltungen wie hier beim Laubenheimer Abend zum 175-jährigen Bestehen der Sängervereinigung demonstriert Horst Jooß gerne sein Können. | AC 09 Laubenheim
Der 80-jährige stemmt die Hantel auch gerne beim traditionellen "Gewichtheben im Freien", das dieses Jahr allerdings entfallen muss.
Der 80-jährige stemmt die Hantel auch gerne beim traditionellen "Gewichtheben im Freien", das dieses Jahr allerdings entfallen muss. | AC 09 Laubenheim
Wie hier 2019 hätte Sportdezernent Günter Beck den Seriensieger auch in diesem Jahr wieder geehrt.
Wie hier 2019 hätte Sportdezernent Günter Beck den Seriensieger auch in diesem Jahr wieder geehrt. | Bernd Eßling

Die traditionelle Sportlerehrung der Stadt Mainz musste in diesem Jahr coronabedingt entfallen – SPORTAUSMAINZ.de stellt stattdessen einige der zu Ehrenden vor.

 

Laubenheim. Späte Liebe hält und wird immer erfüllender: Das beweist der Gewichtheber Host Jooß, und das seit einigen Jahren sogar mit einem Abonnement auf nationale wie internationale Titel und vorderste Ränge. Ein Dauerbrenner an der Hantel, der erst im nicht mehr ganz so zarten Alter von 31 Jahren zu seiner Sportart gefunden hatte und nun Jahr für Jahr bei der Sportlerehrung der Stadt Mainz für seine Erfolge in den Wettkampfklassen der Senioren auf der Bühne steht.

„Senioren heißt das allerdings inzwischen nicht mehr, sondern Masters“, sagt der Sportler des AC 09 Laubenheim, der als Kind und Jugendlicher Handball, Turnen und Leichtathletik ausprobierte und den Weg zum Gewichtheben erst als interessierter Zuschauer, dann als Aktiver beim ASV Mainz 88 fand. Ja, nur noch die älteren Semester werden sich erinnern, aber der heutige Ringen-Bundesligist war einst auch eine Hochburg im Reißen und Stoßen. Wie überhaupt in den ersten Jahren, in denen Jooß seine ersten Gewichte stemmte, die Szene in der Landeshauptstadt lebendig und bunt war. Vereine gab es auch in Laubenheim, Weisenau, Finthen und Mombach.

Im Haus der Jugend in der Innenstadt hatten Gewichtheber einst ebenfalls einen Trainingsort – bis, wie Jooß erzählt, die Stadt den Hantelsport dort untersagte, weil die Gewichte angeblich den Boden ruinierten. „Dabei war ein Wasserschaden die Ursache.“ Heute sind der AC 09 und der AC Weisenau die verbliebenen Mainzer Adressen in diesem Sport, beide Vereine arbeiten eng zusammen, so beim Gewichtheberfest, das AC-09-Ehrenmitglied Jooß seit 20 Jahren organisiert und am 14. Juni wieder stattfinden sollte. Obwohl das „Gewichtheben im Freien“ keine Veranstaltung in der Halle ist, hat Jooß sich nun entschieden, sie in diesem Jahr ausfallen zu lassen; die Abstandsgebote sind mit einem Fest nicht zusammenzubringen.

Drei Trainingseinheiten in der Woche

Trainiert wird an den Hanteln üblicherweise in Gerätehallen, somit waren auch die Gewichtheber in den vergangenen Wochen ausgesperrt von ihren Übungsstätten. Nun hoffen die Laubenheimer auf eine Rückkehr in ihren Trainingsraum im Sportzentrum ab dem 27. Mai. Auch für Jooß eine Situation, die seinen Alltag veränderte, denn seine Erfolge kommen nicht von ungefähr. Dreimal in der Woche kann man ihn in normalen Zeiten an den Geräten sehen. Für die Wettkämpfe dieser Saison hat er in diesem Jahr mit dem 80. Geburtstag die höchste Altersklasse 10 erreicht, aber DM und EM sind bereits auf unbestimmte Zeit verschoben, von der WM gibt es noch keine Ausschreibung – es könnte sein, dass es 2020 titelmäßig etwas stockt beim erfolgsgewöhnten ACL-Heber.

Seit 1989 tritt Jooß für die Laubenheimer an, beim ASV 88 war er bis dahin nach eigener Einschätzung „ein mittelmäßiger“ Athlet gewesen, „es hatte gerade so für die Zweite Mannschaft gereicht“. Seine Bestleistung erzielte Jooß im Jahr 1986, also als Mittvierziger, mit 97,5 Kilo im Reißen und 117,5 Kilo im Stoßen. „Das sind mittlere Werte“, betont er, dass er mit seinen persönlichen Topergebnissen niemals an die Spitzenleistungen in seiner Sportart herankam. Aber das ist bei einem Gewichtheber, der erst im vierten Lebensjahrzehnt die Liebe zu seinem Sport entdeckte, trotzdem eine starke Leistung. Die Qualifikationswerte, die inzwischen eingeführt sind, um bei den internationalen Wettkämpfen für Niveau zu sorgen, schaffte Jooß bisher immer.

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Konkurrenz wird immer spärlicher

Rund 60 WM-, EM- und DM-Teilnahmen als Seniorensportler hat er seit 1991 verzeichnet. Die weiteste Reise führte ihn 1994 nach Perth in Australien, wo er Dritter mit 90 Kilo im Reißen und 105 Kilo im Stoßen wurde. Das war in der AK3, solche Ergebnisse kann er heute natürlich nicht mehr bieten. Aktuell kommt Jooß auf 55 Kilo im Reißen und 70 Kilo im Stoßen – immer noch Werte, bei denen ein Laie sich nur wundern kann, wie ein Mensch das unfallfrei über den Kopf gestemmt bekommt.

Es sind in seiner Gewichtsklasse bis 96 Kilo internationale Spitzenwerte, freilich auch, weil die Konkurrenz immer spärlicher wird. Dass andere aufhören mussten, während das bei ihm bisher nie ein Thema war, das hat wohl nicht nur mit den Alter an sich zu tun. „Ich bin auch deshalb immer weiter nach vorne gestoßen, weil bei anderen sich ihr früheres Doping ausgewirkt hat und sie aufhören mussten, während so etwas für mich nie zur Diskussion stand.“

Alleine seit 2015 kamen so in den Masterwettkämpfen je zwei Welt- und Europameistertitel sowie fünf Deutsche Meisterschaften in Serie zusammen. Von schwereren Verletzungen muss man natürlich verschont bleiben, um so kontant diese Leistungen bringen zu können. Wobei Jooß den Erwartungen widerspricht, die Laien angesichts des bedrohlich wirkenden Arbeitsgerätes vom Gefahrenpotenzial seines Sports haben könnten. „Schwere Verletzungen gibt es beim Gewichtheben ganz selten, ich habe in all den Jahren so etwas vielleicht vier, fünf Mal bei anderen Sportlern erlebt, etwa, dass ein Ellenbogengelenk rausgesprungen ist“, betont Jooß. 

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Vernunft als wichtiger Faktor

Die Trainingsinhalte sind in dieser Sportart recht naheliegend vorgegeben: Übungen der gesamten Abläufe im Reißen wie Stoßen werden ergänzt mit Zusatzaufgaben wie Kniebeugen, Übungen für das Gewichteziehen und das Umsetzen. Die Wiederholung bringt es. Gerade im neunten Lebensjahrzehnt ist ein wichtiger Faktor allerdings die Vernunft im Übungsraum. „Ein falscher Ehrgeiz nutzt nichts. Früher hat man sich gewisse Ziele gesetzt, aber ich werde meine Leistungen von vorigen Jahren nicht mehr erreichen“, ist Jooß bewusst. Und so mutet er seinem Muskel- und Bänderapparat eine Standardübung im Trainingsprogramm eben nur noch einmal in der Woche zu: die Kniebeuge mit 100 Kilo auf der Hantel.

Auf den Körper hören und die Grenzen der Belastbarkeit im Training zu spüren, das war offenbar eine ganz gute Taktik des 80-Jährigen. „Ich haben im Knie eigentlich keinen Verschleiß“, weiß er und verweist auf Sportärzte, die immer wieder bestätigten, dass nichts dagegen spreche, Gewichtheben bis ins hohe Alter zu betreiben. Was für ihn das Beste ist, weiß Jooß auch deshalb so gut, weil er schon 1974, also gerade drei Jahre nach seinen Einstieg in den Sport, seine erste Trainerlizenz erwarb. Heute leitet er die drei Einheiten der Abteilung im Kraftraum im Laubenheimer Sportzentrum. Auch Kampfleiter war Jooß übrigens einige Jahre lang, dies auch immerhin auf Landesebene.

Die Wettkampftaktik bleibt über alle Altersklassen hinweg die gleiche: Aus dem Training kann Jooß immer gut einschätzen, wie fit er aktuell ist und welche Leistung er bringen kann. Bei drei Versuchen etwa im Reißen, „fange ich dann mit 50 Kilo an“. Damit hat er schon mal eine Wertung sicher. Für Versuch Nummer zwei erhöht er auf die Zielgröße, aktuell 55 Kilo. „Klappt das, geht man beim dritten Versuch dann auf die Bestleitung." Auf die ist er im neunten Lebensjahrzehnt nicht mehr unbedingt erpicht. Aber den Versuch ist es wert. Die Wettkampflust ist bei Jooß ungebrochen. So wie es aussieht, dürften dem AC 09 daher weitere Titelgewinne seines Ehrenmitglieds sicher sein, wenn sich die Welt wieder normalisiert.

 

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