Peter H. Eisenhuth | 31.05.2019

„Pah, Schülerzeitung“

Ein glänzender Schreiber, ein großartiger Analytiker, mitunter schonungslos: ein Nachruf auf den Sportjournalisten Uwe Martin.
Glänzender Schreiber, herausragender Analytiker: Uwe Martin.
Glänzender Schreiber, herausragender Analytiker: Uwe Martin. | privat
Mit 2,25 Metern war Uwe Martin einer der besten deutschen Hochspringer der 80er Jahre.
Mit 2,25 Metern war Uwe Martin einer der besten deutschen Hochspringer der 80er Jahre. | privat

Zurückgelehnt im Bürostuhl, die langen Beine auf den Schreibtisch gelegt, den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, weil er eine Hand für einen Kugelschreiber und die andere für die Zigarette brauchte (als die in den Redaktionsräumen noch erlaubt war): Wer irgendwann in den Jahren von 1987 bis 1999 mit Uwe Martin zusammen bei der Mainzer Rhein-Zeitung arbeitete, wird als erstes dieses Bild im Kopf haben, wenn er an ihn denkt.

Und dann ein „Pah, Schülerzeitung“, begleitet von einer wegwerfenden Handbewegung, hören, das der Kollege verächtlich ausstieß, wenn er mal wieder einen Artikel gelesen hatte, dessen journalistisches Niveau er als Beleidigung empfand – was auch, aber nicht nur, für Publikationen aus dem eigenen Hause galt. Schlechte Sprache, Plattitüden, waren ihm ein Graus, aus der „Pah, Schüler-“ konnte dann auch ein „Pah, Schweinezeitung“ werden.

Wenn er Synonyme wie „VW-Städter“ (für den VfL Wolfsburg) oder „Domstädter“ (für Mainzer, Kölner, Wormser) las, musste er je nach Tagesform lachen oder weinen. Und wenn er sie schon nicht verbieten konnte, wollte er sie wenigstens konterkarieren. Weshalb er in seiner Eigenschaft als die SG Wallau/Massenheim betreuender Handballreporter für den VfL Bad Schwartau kurzerhand ein „Marmeladenstädter“ erfand.

Ein glänzender Schreiber, ein großartiger Analytiker war er, wie er auch schonungslos zu Papier bringen konnte, was er gesehen hatte. Mochte ihn dann jemand bitten, ob er seine Formulierungen nicht entschärfen könne, erntete derjenige einen mitleidsvoll-ironischen Blick und den Hinweis: „Mein lieber xy, was meinst du, was ich gemacht habe? In Wirklichkeit war es viel schlimmer.“ Und so locker er daherplaudern und spotten konnte, so ernsthaft vermochte er sich mit den Themen beschäftigen, die ihm wichtig waren. SPORTAUSMAINZ.de bereicherte er unter anderem mit seinem Essay „Wie mich die olympische Leichtathletik verloren hat“.

Hierarchien waren nicht sein Ding, insofern war es ein Segen für „um“, so lautete sein Kürzel bei der MRZ (bei der FAZ nannte er sich „tin“), dass die Mainzer Sportredaktion eine cheffreie Zone war. In der sich jeder seine Freiheiten nehmen konnte, weil alle wussten, dass die Qualität der Arbeit darunter nicht leiden würde. Uwe Martins Freiheit bestand vor allem darin, dass kaum eine Woche verging, in der er nicht „Da muss ich ran“-Telefonate wegen eines möglichen neuen Autos führte.

Alles, was kleiner war als ein Saab, firmierte bestenfalls unter „Hasenkasten“; der Kollege mit dem Fiat Panda musste sich gar sagen lassen, in einem „rollenden Campingstuhl“ unterwegs zu sein. Bis irgendwann der Tag kam, als er sich selbst in die unteren Gefilde bewegte und prompt den „Mut zum Kleinwagen“ postulierte.

Stand er vor seinem Schreibtisch, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er im nächsten Moment kurz in die Hocke ging, um abzuheben – und auf der Tischplatte zu landen. Möglichst im Telemarkstil. Hochspringen war schließlich seine einfachste Übung, wenn auch in einer anderen Stilart. Der Wiesbadener war 1978 Dritter der nationalen B-Jugend-Bestenliste mit 2 Metern, 1983 Deutscher Junioren-Vizemeister mit 2,20 Metern. 1985 und 1986 trug er das Trikot des USC Mainz, mit 2,23 Metern ist er noch heute drittbester Hochspringer der Vereinsgeschichte.

Seine Bestleistung von 2,25 Metern datiert aus dem Jahr 1987. International kamen zwei Junioren-Länderkämpfe, ein Länderkampf und die Rolle des Ersatzmannes für die Hallen-EM 1987 zusammen. In jeder anderen Epoche hätte er das Zeug gehabt, bei Deutschen Meisterschaften regelmäßig auf dem Podest zu stehen; sein Pech war, dass zu seiner Zeit ein Trio namens Dietmar Mögenburg, Carlo Thränhardt und Gerd Nagel die deutsche Szene beherrschte.

Aus dem Sportjournalismus hatte er sich in den vergangenen Jahren aus vielerlei Gründen weitgehend zurückgezogen. Im Einsatz war er noch unter anderem als Öffentlichkeitsarbeiter des Hessischen Leichtathletikverbands und in der Onlineredaktion des SWR aktiv.

Getroffen hatten wir uns zuletzt bei den Süddeutschen Leichtathletik-Hallenmeisterschaften in Frankfurt, Mitte März verabredeten wir uns schon mal für den 9. November. Für das Achim-Reichel-Konzert „Das Beste zum Schluss“ im Frankfurter Hof. Dessen „Fliegende Pferde“ hatte Uwe Martin Ende der 80er Jahre über viele Wochen hinweg täglich angestimmt. Sein „Aloha Heja He“ wird Reichel ohne jetzt ohne ihn singen müssen.

Uwe Martin, 56, ist am Freitagmittag vollkommen unerwartet während der Arbeit gestorben.

 

Die Trauerfeier findet am Donnerstag, 13. Juni, ab 13 Uhr auf dem Wiesbadener Nordfriedhof statt.

Alle Artikel von Sonstige Sportarten