Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 20.06.17 „Zum Küssen braucht man immer zwei“ Johannes Kaluza, Kandidat für das Amt des 05-Vorsitzenden, über die demokratische Öffnung des Vereins, Glaubwürdigkeit,eine geplante Umfrage unter den Fans und seine Kritik am Manchester-Kapitalismus im Fußball. Will das Rad nicht alleine drehen: Johannes Kaluza. | privat Mainz. Am Sonntag endet beim FSV Mainz 05 die Ära des Präsidenten Harald Strutz. Für das in der neuen Struktur vorgesehene Amt des Vereinsvorsitzenden haben sich vier Männer beworben, von denen die Wahlkommission drei zugelassen hat. In alphabetischer Reihenfolge: 05-Vizepräsident Jürgen Doetz (Journalist und Unternehmensberater), Johannes Kaluza (Geschäftsführer Speyer & Grund) und Frank Röhr (Prokurist Fischer & Co.). SPORTAUSMAINZ.de hat mit den die Kandidaten gesprochen. Hier das Gespräch mit Johannes Kaluza. Herr Kaluza, Sie sind von den drei übriggebliebenen Kandidaten derjenige, der als letzter in den Wahlkampf eingestiegen ist. Ist es überhaupt ein Wahlkampf? Natürlich ist es ein Wahlkampf. Zunächst einmal ist es ja das erste Mal, dass der Verein sich demokratisch öffnet und versucht, sich so breit aufzustellen. Ich finde, das ist eine tolle Sache, und ich halte es für richtig, dass die Wahlkommission für den Aufsichtsrat 16 Bewerber ausgewählt hat und dass daraus jetzt die Besten gewählt werden sollen. Beim Vorstandsvorsitzenden ist es etwas schwieriger gewesen. Die Anforderungen, die man an diesen Job stellt, sind enorm. Man muss ja ein super Unternehmer und Mutter Teresa gleichzeitig sein, um den Job machen zu können. Also die Hürde ist sehr hoch, das muss ich echt sagen. Und wie sieht Ihr Wahlkampf aus? Gehen Sie in Fangruppierungen, suchen Sie noch Gespräche, oder ist die Zeit für Sie sehr knapp geworden, nachdem Sie bis vor anderthalb Wochen im Urlaub waren? Ich fand es erst mal richtig, mit den eigenen Aktivitäten abzuwarten, bis man offiziell von der Wahlkampfkommission zum Kandidaten ernannt wurde. Insgesamt ist der Prozess natürlich relativ knapp angelegt, um zu einer Meinungsbildung zu kommen. Aber ich mache einiges, ich gebe Interviews, heute auch noch zwei weitere. Ich bin schon bei den Ultras eingeladen, ich beantworte die Fragen der Supporters und ich habe eine eigene Webseite aufgemacht; einige Leute haben mir auch schon geschrieben und sich nach meinen Ideen erkundigt. Also, da geht einiges. Ich öffne mich und zeige die Unterschiede zwischen den Kandidaten auf. Wie empfanden Sie die Info-Veranstaltung am Sonntag? Ich fand es sehr interessant und ich habe mich auch darüber gefreut, dass wir noch die Möglichkeit hatten, drei Minuten zu allen Anwesenden zu sprechen, damit diese einen Überblick bekamen. Danach konnte man die Dinge in kleinen Gruppen vertiefen… Wie waren die Reaktionen in diesen Gesprächen? Was haben Sie an Zuspruch, Anregungen oder Kritik mitgenommen? Da ich mit 40 oder 50 Leuten gesprochen habe, kamen natürlich auch ganz unterschiedliche Fragen und Anregungen, die den Leuten wichtig sind. Zum Beispiel hat man mich gefragt, wie ich zu meiner Kandidatur gekommen bin. Die ist natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern ich beschäftige mich seit zwei Jahren sehr intensiv mit Mainz 05 und habe mit Fans, Unternehmerkollegen und Wissenschaftlern immer wieder diskutiert. Wir haben fünf Thesen zur Weiterentwicklung des Vereins formuliert, aus denen ich dann mein Programm entwickelt habe. Natürlich kam dann auch die Frage, ob man diese Thesen mal sehen könne und wer daran mitgearbeitet habe. Aber die Namen der anderen möchte ich nicht nennen, dafür muss ich mir erst deren Einverständnis holen. Was war denn letztlich Ihre Motivation zu kandidieren? Sich mit ein paar Leuten hinzusetzen und Thesen zu erstellen, ist das Eine. Aber sich bereit und in der Lage zu fühlen, das Amt auszuüben, ist ja noch mal etwas anderes. Also, meine Freunde haben mich gedrängt. Als im Mai klar wurde, dass es vielleicht nur einen Kandidaten gibt, nämlich Herrn Doetz, und somit keinen richtigen Neuanfang, haben wir intensiv überlegt, was wir machen könnten und sind alle möglichen Konstellationen durchgegangen. In meinem Unternehmen ist witzigerweise die Situation eingetreten, dass am 2. Juli mein Nachfolger kommt. Ich werde mich also aus meinem Job zurückziehen und habe sozusagen Freizeit. Eigentlich wollte ich eine völlig neue Freiheit gewinnen – jetzt kann es natürlich sein, dass sie wieder weg ist. Aber es war Zufall gewesen, dass aus unserem Kreis ich derjenige bin, der sich am ehesten Vollzeit einem solchen Job widmen kann. Man muss davon ausgehen, dass die Ämter des Vereinsvorsitzenden und des Vorstandsvorsitzenden sehr arbeitsintensiv sein werden. Sie haben darauf hingewiesen, dass man dafür entsprechend viel Zeit mitbringen muss – heißt das, einer der drei Kandidaten müsste damit schon ausscheiden? Nein, die Wahl und die Vorstellung bei den Mitgliedern finden ja erst am Sonntag statt. Aber natürlich wird es nicht funktionieren, wenn man das Amt als 20-stündige Freizeitbeschäftigung ausüben will. Ich finde, man muss sich schon, so wie ich auch, entscheiden, was man machen will. Man kann nicht Diener zweier Herren sein. Man muss auch bereit und in der Lage sein, im Krisenfall mal 60 oder 80 Stunden für Mainz 05 zu arbeiten. Diese Entscheidung steht sicherlich bei einem Kandidaten noch aus, und die muss er ganz bestimmt treffen. Ein weiterer Punkt ist die finanzielle Unabhängigkeit. Sie betonen, nicht auf Mainz 05 angewiesen zu sein, um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen… …richtig. Auch wegen der Querelen aus der Vergangenheit möchte man einen Neuanfang haben und niemanden, der das Amt aus wirtschaftlichen Interessen übernimmt. Das macht die Sache für viele natürlich extrem schwierig. Aber bei mir ist es jetzt nun mal der Fall, dass ich am Ende meiner beruflichen Karriere stehe und alles erreicht habe, was ich erreichen wollte. Ich hab‘ ein Auto, ich hab‘ ein Haus, ich bin wirtschaftlich abgesichert. Ich brauche keine zusätzlichen Einnahmequellen. Was ich allerdings etwas bedauere, ist, dass sich für einen solch wichtigen Posten letztlich nur vier Bewerber gefunden haben, von denen drei ausgewählt wurden. Ich hätte mir gewünscht, dass der Verein auf viel mehr Leute zugeht. Es wäre doch besser gewesen, die Wahlkommission hätte aus zehn Kandidaten fünf auswählen und dann wäre der Beste ins Amt gekommen. Aber daraus kann man lernen, es ist schließlich alles das erste Mal. Ist es für einen Neuanfang unabdingbar, dass der neue Mann an der Spitze nicht mit den alten Strukturen in Verbindung gebracht werden kann? Ich glaube, das ist schon wichtig. Man fordert Transparenz, der Neue muss ja auch seine Bezüge offenlegen. Gleichzeitig endet am Sonntag die große Ära der Präsidentschaft von Herrn Strutz. Es war eine Ära mit viel Glanz und mit vielen großen Erfolgen, zum Schluss aber eben auch mit einigen Schatten. Ich finde, ein Schlussstrich ist gut, da viel Licht auch durch viel Schatten verdunkelt wurde. Generell haben die Erfahrungen in den letzten Jahren gezeigt, dass Vereine viel demokratischer geführt werden müssen als es früher der Fall war, und eine neue Ära bietet auch die Möglichkeit, von einem funktionär- zu einem mitgliederorientierten Verein zu kommen. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten. Gehen wir mal davon aus, Sie werden am Sonntag gewählt. Was würden Sie am Montag tun? Womit finge die Arbeit an? Mein erster Schritt wäre eine repräsentative Umfrage unter den Fans zu machen. Die wäre relativ kurz und hätte nur zwei Fragestellungen. Die eine Frage lautete: Was läuft aus Deiner Sicht gut, und was läuft schlecht bei Mainz 05? Und die andere: Was ist Dir wichtig, und was ist Dir nicht wichtig bei Mainz 05? Und aus diesen zwei Fragestellungen ergeben sich zwei Handlungsfelder. Die Dinge, die gut laufen müssen wir erhalten und fördern, und was wichtig ist, aber schlecht läuft, müssen wir verbessern. Dann haben wir gleich ein schönes Programm, das wir uns nicht irgendwie ausgedacht haben, sondern das den Willen der Mitglieder widerspiegelt. So bringt man den Verein in Bewegung, das ist sozusagen die Basis. Dann glaube ich, dass der Schlüssel zum Erfolg eines Vereins ein einzigartiges Vereinsleben ist, um das man sich kümmern muss. Dazu habe ich drei Punkte: Der erste Punkt ist der, dass wir die Heimspiele als echte Feiertage begreifen und dass wir das ganze Event Live-Fußball interessanter machen. Das fängt mit einer möglicherweise größeren Vorberichterstattung im Stadion an, vielleicht muss man schon auf den Fußwegen zum Stadion Dinge verändern. Haben Sie denn den Eindruck, dass die Leute deshalb in den letzten zwei, drei Jahren zunehmend weggeblieben sind weil das Drumherum nicht stimmt, oder war zuletzt einfach der Fußball nicht attraktiv genug? Es ist sicherlich ein ganzes Bündel von Gründen, die dazu führten, dass die Euphorie verlorengegangen ist. Für mich kommt es vor allem darauf an, herauszufinden, was die Leute verbessert haben wollen. Zum Beispiel, ob wir für mehr Begegnungsbereiche sorgen müssen. Dann muss man sich auch die verschiedenen Zielgruppen anschauen. Es gibt die Ultras, es gibt die normalen Fans, dann gibt es die Haupttribüne, die Vip-Fans, die Frauen, die Kinder und auch die Senioren. Gerade Senioren sind so ein Punkt, der mir wichtig ist. Machen wir es alten Leuten leicht genug, ins Stadion zu kommen, sodass sie gerne auch noch lange zu Mainz 05 gehen? Und der dritter Punkt ist, dass wir von der Satzung her angehalten sind, für den Breitensport zu sorgen – auch da habe ich verschiedene Überlegungen angestellt. Wir sollten mal überprüfen, ob es nicht einmal im Monat ein öffentliches „Mitmachtraining“ der Profis mit 100 ausgewählten Fans geben kann. Da wird sich warmgemacht, ein bisschen rumgekickt, ein bisschen Taktik gemacht, so dass wir die Leute zu mehr Bewegung animieren und gleichzeitig Mannschaft und Mitglieder wieder näher aneinanderbringen. Sie sind seit 30 Jahren Mitglied… Nein! Ich bin seit 30 Jahren Fan. Mitglied bin ich seit 2012, weil ich damals für Mainz 05 Charity-Konzerte organisiert habe. Aber als Fan bin ich seit meiner Studienzeit mit Mainz 05 verbunden. Fühlten Sie sich denn als Mitglied bisher ernstgenommen? Naja, wir kommen natürlich aus einer Zeit, in der das Wohl des Vereins sozusagen vom Geschick des Geschäftsführers und des Vorstandes abhing. Wir hatten sehr lange das Führungsduo Strutz und Heidel. Die hatten einen sehr guten Bezug zu ihrer Basis, die wussten, wohin die Reise geht. Das war ein Glücksfall. Heutzutage glaube ich, dass wir alleine auf ein solches Funktionärswesen nicht vertrauen können, sondern viel näher an den Fan ranmüssen und ihn stärker einbeziehen müssen. Das ist die Zukunft des Vereinssports, dass man viel demokratischer und partizipativer herangeht. Somit ist dieser Wahlkampf um den Posten Nummer eins schon mal ein gutes Zeichen. Die Mitglieder können entscheiden, wer den Verein führen soll. Ob sie beispielsweise jemanden wollen, der sagt: „Ich weiß, wie der Verein funktioniert, wie der Verein ist und wo das Herz schlägt“. Nur, das ist entweder anmaßend oder populistisch, aber so führt man weder ein großes Unternehmen noch einen großen Verein. Unternehmen ist ein gutes Stichwort. Sie werden in AZ zitiert, im Prinzip müsse die gesamte Führungsebene aus der unternehmerischen Elite aus der Region rekrutiert werden. In Ihrem Programm wiederum kritisieren sie Manchester-Kapitalismus, der im Fußball Einzug gehalten habe. Das klingt ein bisschen wie Mix aus BWL und Antikapitalismus. Wie bringt man das unter einen Hut? Wir haben in Deutschland eine tolle Tradition. Die Kandidaten für den Aufsichtsrat zeigen, dass die wirtschaftliche Elite durchaus bereit ist, in den Ring zu steigen und Verantwortung zu übernehmen. Und der Aufsichtsrat wird sicherlich ein ganz neues Gewicht haben, es gibt keine Blockwahlen mehr wie früher, als der Vorstand sagte, entweder ihr nehmt uns alle oder keinen. Und per Handzeichen. (lacht) Genau, und das wird alles aufgebrochen. Natürlich ist Mainz 05 ein mittelständisches Unternehmen, das entsprechend geführt werden muss. Es ist ein Wirtschaftsunternehmen, in dem es selbstverständlich um Steigerung, Erträge und Budgets und andere Sachen geht. Wenn man sich allerdings die Bundesliga in ihrer heutigen Form ansieht, muss ich sagen, sie hat zwei Konstruktionsfehler. Der eine Fehler ist der, dass man das TV-Geld eben nach Tabellenstand verteilt. Das bedeutet, dass Vereine, die über einen längeren Zeitraum erfolgreich sind, nie wieder eingeholt werden können. Und der andere Fehler ist, dass man zu 100 Prozent Eigentümer eines Vereins sein kann. Das hat mit unserer Fußballkultur nichts zu tun, und das führt dazu, dass es im Fußball einen übermäßigen Kapitalismus gibt. Das Geld entscheidet über die Platzierung. Bayern München mit dem höchsten Spieleretat wird Meister, dann kommen sechs weitere Vereine mit einem sehr hohen Etat, und der Rest kann um den Abstieg spielen. Die aktuelle Tabelle widerspricht Ihnen. Wolfsburg war in der Relegation, der HSV hat seit Jahren Probleme und Freiburg darf jetzt ins internationale Geschäft. Der HSV ist durch Herrn Kühne eine Mischform eingegangen, den nehmen wir also mal raus. Ich sage nicht, dass sich Vereine mit sehr viel Geld zu 100 Prozent den Erfolg kaufen können, sie können auch auf die Nase fallen, so wie eben Wolfsburg. Freiburg ist es gelungen, wie ja auch uns vor einem Jahr, als echter Traditionsverein die Europa League zu erreichen, aber denen werden jetzt die besten Spieler weggekauft und in der nächsten Saison spielen sie gegen den Abstieg. Das System schlägt also zu. Diese Gesetzmäßigkeiten kann man kurzfristig mal verändern, im Grundsatz aber nicht. Und genau das, alles vom Kapital abhängig zu machen, geht zu weit. In Deutschland haben wir ja auch die soziale Marktwirtschaft und eine Umverteilung – aber nicht von Arm zu Reich, sondern von Reich zu Arm. Und der Bundesliga täte es gut, wenn der FC Bayern aus dem Topf des Fernsehgeldes nur 30 Millionen bekäme oder vielleicht gar nichts. Die Bayern haben ja auch noch Einnahmen aus der Champions League. Wenn man das Geld anders verteilt, verändern sich auch die Rollen im Fußball. Und dann steigen die Bayern aus dem Vermarktungsmodell aus, und andere Klubs mit weniger Zugkraft bekommen noch weniger Geld. Zum Küssen braucht man immer zwei! Die Bayern können ja keine eigene Liga aufmachen und gegen sich selbst spielen. Noch haben die Traditionsvereine die Mehrheit und die können die Regeln aufstellen. Stellen Sie sich vor, wir hätten nur zwei Vereine in der Bundesliga. Nur Bayern München und Mainz 05. Und jetzt sagt Bayern München: Wir haben gewonnen, wir sind Meister. Wir kriegen 100 Millionen und ihr 30 Millionen. Dann sagen wir doch: So nicht, da machen wir nicht mit. Dann treten wir nicht mehr an, dann kriegt ihr auch nichts, und schließlich ist der ganze Kuchen weg. Die normale Verteilung wäre: Alle starten, alle kriegen das gleiche Geld, oder aber man sagt, aus Fairnessgründen kriegen die Kleinen mehr und die Großen weniger. Das wäre ein normales Verhalten in der sozialen Marktwirtschaft. Ich bin Unternehmer, und ich sage Ihnen, dass 99 Prozent der Unternehmer keinen Kapitalismus wollen, weil der das System irgendwann gegen die Wand fährt. Und wenn schon Oliver Bierhoff sagt, irgendwann werde es im bezahlten Fußball knallen, dann sage ich: Ja! Der Mann hat Recht, aber dann muss man auch mal anfangen, an den Problemen zu arbeiten. Und wenn die Bayern aussteigen wollen, steigen sie halt aus und gründen eine eigene Liga. Also, auf die Gefahr hin, dass wir sehr weit abgleiten, aber in der Wirtschaft gibt es doch keine Umverteilung von Reich nach Arm. Welcher Manager eines Autokonzerns oder einer Bank sagt denn, er komme auch mit 10 statt 40 Millionen aus und gönnt stattdessen den Mitarbeitern mehr Lohn? Aber natürlich! Wir haben ein Besteuerungssystem und wir haben ein System, das Monopolstellungen aufbrechen soll. Bayern hat ein Meisterschaftsmonopol, das ist halt so. Also müsste die Monopolkommission, wie auf dem normalen Markt, sagen: Das darf nicht sein. Mal abgesehen davon, dass von den üblichen Tarifabschlüssen immer die stärker profitieren, die ohnehin mehr verdienen: Die Bayern haben sich ihre Position doch selbst erarbeitet. Und ein Traditionsverein sind sie auch, oder nicht? Natürlich. Aber sie profitieren von dem System, dass wir das TV-Geld nicht nach Antritt, sondern nach Tabellenstand ausschütten, das ist ja erstmal eine willkürliche, von Menschen gemachte Regelung, über die man reden kann. Führt sie zu guten oder schlechten Ergebnissen? In England gibt es nur noch Firmen und Unternehmen und gar keinen Vereinssport mehr. Wollen wir das? Ich möchte meine Kandidatur nicht in erster Linie an diesem Punkt festmachen, und es ist auch ein langfristiges Thema. Aber Mainz 05 spielt schon eine ganz entscheidende Rolle in dieser Diskussion, weil wir mit Freiburg einer der wenigen Vereine sind, die so eine Diskussion glaubhaft anstoßen können und das nicht aus einer Position der Schwäche heraus. Das Beispiel 1860 München zeigt ja gerade, wohin die Fehlentwicklungen führen können. Die 50+1 Regel, die gibt es doch schon lange nicht mehr. Heutzutage kannst du dich 100-prozentig in die Bundesliga einkaufen, über ein paar Umwege und mit ein bisschen Geduld kannst du die 50+1 Regel locker aushebeln. Ich fand die Entscheidung der 05-Mitglieder gegen eine Ausgliederung vor dem Hintergrund des Transparenzproblems erst mal erstaunlich. Aber das Signal war natürlich klar: Man hat deutlich gesagt, dass man keine Beteiligung von Investoren will. Ich finde, das ist so ein Zeichen, dass man überlegen sollte, ob es nicht eine 100+0-Regelung geben sollte – also 100 Prozent gehören dem Verein. Das ist ein großes Rad, an dem Sie drehen wollen. Ich drehe ja nicht alleine. Wenn man keine Mehrheiten mit anderen Vereinen findet, wird diese Diskussion nur unter Fußball-Intellektuellen laufen. Es gibt ja etliche Professoren, die sich für die Aktion „Financial Fair Play“ einsetzen, und das ist etwas Fundamentales, das eigentlich viel stärker in die Öffentlichkeit gehört. Denn viele Sachen im Profifußball sind nicht von Gott gegeben, sondern von Menschenhand gemacht, und wir können sie verändern. Haben Sie jemanden, der irgendwie im Fußballgeschäft drin ist und Sie berät? Zu meinem Team gehört ein ehemaliger Bundesligamanager. Oh. Wer ist das? Wie gesagt, um die Namen zu nennen, muss ich mir erst das Einverständnis der Leute einholen. Aber es ist einer, der das Geschäft sehr gut kennt. Wie viel Einblick haben Sie also in die Strukturen, mit denen Sie sich außerhalb von Mainz 05 beschäftigen müssten. Ich weiß, dass es einen Aufschrei in Fußballdeutschland geben wird, wenn der Präsident eines Bundesligavereins sagt, die Strukturen sind nicht ganz optimal, und wir sollten überlegen, ob wir sie verändern oder ob die den Knall hören wollen, den Herr Bierhoff prophezeit. Noch mal zurück zu den Mainzer Führungspositionen: Sie haben vorhin die Funktion von Mainz 05 als Breitensportverein hervorgehoben. Jetzt kandidiert für den Aufsichtsrat beispielsweise Eva Federhenn, die Handball-Abteilungsleiterin. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die Unternehmerin ist… Ein Aufsichtsrat funktioniert dann, wenn möglichst unterschiedliche Qualifikationen hineinkommen. Also natürlich soll da auch die unternehmerische Elite der Region vertreten sein, es müssen aber auch Frauen vertreten sein, es sollten auch andere Sportarten vertreten sein. Dies sind ja schon zwei Gründe, weshalb ich jeden nur auffordern kann, sie zu wählen. Denn je heterogener so ein Aufsichtsrat ist, desto mehr Ideen hat man, desto breiter ist auch die Kontrolle des Vereins. Können Sie Ihre Chancen für Sonntag einschätzen? Ich weiß ja nicht, wie sich meine Konkurrenten in den nächsten Tagen noch entwickeln, aber ich habe ja schon gesagt, dass Herr Röhr sich entscheiden muss, was er machen will: Beruf oder 05-Vorsitz. Bei Herrn Doetz sehe ich ein Glaubwürdigkeitsproblem, nachdem er zuletzt gesagt hat, nichts über die DFL-Bezüge von Harald Strutz gewusst zu haben. Gewundert hat mich auch, dass wir trotz der großen Transparenz bezüglich der Bezüge des Präsidenten sehr wenig über die Leistungen wissen, die der Vizepräsident vom Verein erhalten hat. Vielleicht klärt er das ja bis zum Sonntag auf. Wenn man mehr Transparenz will, muss man sich auch stellen. Aber am Ende wünsche ich mir einen sportlichen Wettstreit, und der Beste soll gewinnen. Ich kann auch gut mein Leben anders verbringen, aber ich bin bereit, diese schwierige Aufgabe anzugehen. Ich glaube, es ist eine komplexe Aufgabe, sie ist super anstrengend und man muss jemanden finden, der kompetent ist, der auch schon einen Laden dieser Größenordnung geführt hat und weiß, wie man‘s macht, der die richtigen Ideen hat, der für Transparenz und Offenheit steht und der sich auch zeitlich 100-prozentig diesem Job widmen kann. Haben Sie denn schon Urlaubspläne für den Sommer? (lacht) Ich hatte mich für einen sehr gemächlichen Übergang zu meinem Nachfolger entschieden, und danach wollten wir viel reisen. Daraus wird vielleicht nichts. Und ich spiele gern Golf. Aber das machen ja viele ehemalige Fußballprofis und Präsidenten. Aber nicht mit Dietmar Hopp, oder? Auf seinem Platz habe ich schon gespielt und ihn auch schon getroffen. Aber ich würde heute mit ihm etwas anders über Fußball reden als ich es damals getan habe. Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth. Alle Artikel von Fußball (Bundesliga)