Christian Karn | 28.04.2020

Rekordspieler, Schweiger, Eisenmann

Das 05-Kalenderblatt* für den 28. April.
Am 2. September 2017, zwei Jahre nach seinem letzten Bundesligaspiel...
Am 2. September 2017, zwei Jahre nach seinem letzten Bundesligaspiel... | Thomas Dang
...verabschiedete sich Nikolce Noveski offiziell von der Fußballbühne.
...verabschiedete sich Nikolce Noveski offiziell von der Fußballbühne. | Thomas Dang

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es um zwei überdurchschnittliche Verteidiger, einer aus der älteren, einer aus der jüngeren Vergangenheit: Carlo Storck wird 82, Nikolce Noveski 41 Jahre alt.

 

28. April

Carlo Storck kam 1959 als 21-Jähriger von Germania Bieber in die Oberliga. Anfangs drängte er sich nur gelegentlich auf, im Herbst 1960 aber gelang dem nicht allzu schnellen, aber im Stellungsspiel und Zweikampf exzellenten Innenverteidiger der Durchbruch. Meist als Manndecker, hin und wieder im defensiven Mittelfeld, ab 1961 auch hinter der Abwehr war Storck jahrelang eine Stütze der Mannschaft. 1965 wurde er Norbert Liebecks Nachfolger als Libero – indirekt: Wegen langwieriger Leistenprobleme verpasste der inzwischen routinierte Stammspieler die Hinrunde fast komplett, aber von der Rückrunde an war er unumstritten und blieb es und blieb er jahrelang. Von Januar 1966 bis Dezember 1969 verpasste Storck nur ein einziges Spiel.

Der neue Trainer Erich Gehbauer beendete Anfang 1970 die Karriere des inzwischen fast 32-jährigen. Storck war über seinen Zenit hinaus, hatte im Februar schon einmal wegen einer Verletzung gefehlt. Beim 2:3 gegen den FV Speyer Ende März wechselte Gehbauer den Libero direkt nach dem 0:2 in der 17. Minute aus; im restlichen Saisonverlauf wurde der damalige 05-Rekordspieler noch hin und wieder im Mittelfeld eingesetzt, aber nie wieder auf seiner alten Position.

Im Sommer 1970 war er einer von mehreren alten Leistungsträgern, die keinen neuen Vertrag mehr bekamen. Bis dahin hatte Carlo Storck in 290 Spielen für die Mainzer 18 Tore geschossen und eine viel größere Zahl an Gegentoren verhindert; nur elf Leute trugen das 05-Trikot häufiger als er, ein zwölfter ist momentan weit und breit nicht in Sicht.

 

Einer dieser elf ist Nikolce Noveski – und die eine oder andere Parallele zu Storcks Karriere ist offensichtlich. Auch der große Mazedonier musste noch ein bisschen dazulernen, ehe er aufgestellt wurde, Stammspieler, Leistungsträger, Abwehrchef, Kapitän wurde. Auch er stellte einen Langzeitrekord auf. Und auch er erhielt nach elf Jahren keinen neuen Vertrag mehr; wieder zählten Verletzungsprobleme, Alterserscheinungen und ein Trainerwechsel zu den Gründen.

Der FC Erzgebirge Aue, so heißt es, soll 2004 schon darüber nachgedacht haben, Noveski aus Mainz zurückzuholen, als dieser nach seinem Transfer zum Bundesligaaufsteiger wochenlang nicht mal auf der Ersatzbank auftauchte. Wie der Innenverteidiger doch in die Startelf gelangte, ist hinlänglich bekannt: Im Training war sein Arm stärker als der Schädel von Stammspieler Tamás Bódog. Der Ungar fiel nach der Kollision monatelang aus, der Platz neben Manuel Friedrich war damit frei. Und wenn Noveski auch seine Defizite in der Spieleröffnung nie ganz wettmachte, gab er als zweikampfstarker, kopfballstarker, willensstarker und gleichzeitig nie aus der Ruhe zu bringender Fels in der Brandung von da an ein Jahrzehnt lang seine Position nicht mehr her.

Kurios: Eine 34-Spiele-Saison schaffte Noveski dennoch nie. Irgendwas kam immer dazwischen. Eine Gelbsperre im zweiten Jahr. Drei kleinere Wehwehchen im dritten. Beides sowie eine Rotsperre im vierten, unterschiedlicher Kleinkram (darunter Noveskis Klassiker, die Platzwunde am Kopf – vermutlich wurde nie ein Bundesligaspieler vor und nach ihm so oft am Spielfeldrand getackert wie der „Eisenmann“) im fünften und sechsten, noch eine Rotsperre im siebten.

„Immer da, wo es brennt“

Im achten Jahr, 2011/12, erlitt er erstmals eine größere Verletzung, in deren Folge auch ein kurzes Formtief, dessentwegen der Verteidiger erstmals seit September 2004 ein paar Wochen auf der Bank saß. Danach aber spielte er noch zwei volle Jahre nahezu durch.

Sechs Eigentore bedeuten zusammen mit dem früheren Hamburger Manfred Kaltz einen Bundesligarekord, angekreidet hat sie ihm niemand. „Nikolce ist halt immer da, wo es brennt“, kommentierte der damalige Manager Christian Heidel dies einmal. Stattdessen war man war stolz auf ihn, als er im November 2005 mit zwei solcher Missgeschicke Eintracht Frankfurt in den ersten sechs Minuten binnen 132 Sekunden eine 2:0-Führung ermöglichte, aber selbst dazu beitrug, noch einen Punkt zu behalten: mit seinem unbändigen Willen, das Spiel zu drehen, mit seinem Tor zum 1:2 und mit der Hoffnung, die der Anschlusstreffer den Kollegen verlieh, die in der 90. Minute in Petr Rumans Ausgleich mündete.

Dabei wäre Noveski nach wenigen Jahren beinahe weggewesen. Nach dem Mainzer Abstieg im Sommer 2007 hätte er nach Stuttgart, Frankreich oder England wechseln können, die Angebote waren lukrativ. Der 1. FC Köln hatte sogar schon die Zusage des Spielers, den im letzten Moment wohl der Mut verließ; den nahezu sicheren Transfer ließ der Verteidiger noch platzen. Und die 05er bauten Noveski schließlich ein Denkmal – einen Pappkameraden unter der Fantribüne der Arena am Europakreisel.

Abschiedsspiel mit Verspätung

Unter Kasper Hjulmand verlor Noveski 2014 seinen Stammplatz; bei Thomas Tuchel hätte das freilich auch passieren können. Der Kapitän war nicht fit, als die Saison begann, wurde von Niko Bungert, Stefan Bell, Gonzalo Jara abgehängt, spielte unglücklich, als er doch mal gebraucht wurde, durfte sich aber am Ende mit ein paar erstklassigen Leistungen in Freiburg und gegen den 1. FC Köln verabschieden.

Der große Schweiger, vom Klub zum Ehrenspielführer ernannt, wäre durchaus noch länger geblieben, aber der Verein machte klar: Die Tür stehe immer offen für den Mainzer Rekord-Bundesligaspieler, der Führung in der Rangliste vielleicht ewig halten wird, aber nicht mehr als Aktiver. Weil sich auch diverse andere Kontakte zerschlugen, endete Noveskis Karriere eher schleichend.

Auch deshalb vergingen bis zum versprochenen Abschiedsspiel mehr als zwei Jahre. Am 2. September 2017 bezwang das „Team Mainz 05“, gecoacht von Jürgen Klopp, das „Team Nikolce“, gecoacht von Thomas Tuchel, vor rund 14.000 Zuschauern mit 10:6. Noveski wechselte in der Pause ins Klopp-Team, behielt aber die Orientierung. Ein Eigentor erzielte er nicht.

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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