Bundesliga | Gert Adolphi | 02.12.2021

„Noch einmal Mannschaftsmeister werden“

IM PORTRÄT | Etka Sever vom Ringen-Bundesligisten ASV Mainz 88 hat keine internationalen Ambitionen mehr, aber dennoch ein großes Ziel. Gewicht zu machen, fällt dem Greco-(Halb-)Schwergewichtler leichter als früher, das Gewicht zu halten aber nicht. Für die laufende Saison schwant ihm nichts Gutes.
Hofft darauf, dass die Saison regulär zu Ende gebracht wird: Etka Sever (l.).
Hofft darauf, dass die Saison regulär zu Ende gebracht wird: Etka Sever (l.). | Bernd Eßling

Mainz. Die Angst vor einem erneuten Saisonabbruch geht auch bei den Ringern um. „Es wäre ganz nett, wenn die Runde durchgezogen würde“, sagt Etka Sever, der beim Bundesligisten ASV Mainz 88 das Schwer- und Halbschwergewicht im griechisch-römischen Stil besetzt. „Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass in ein paar Wochen Schluss ist.“

Theoretisch seien die im Januar beginnenden Play-offs sicherlich machbar, fraglich sei aber, ob es sich für die Vereine unter den dann wahrscheinlich geltenden Restriktionen noch lohnen würde. Bei einer 2-G- oder 2-G-plus-Regelung sei es fraglich, ob die Vereine die nötige Anzahl an ehrenamtlichen Helfer aufbringen könnten, um die Kontrolle zu gewährleisten.

In der Oststaffel hatte der FC Erzgebirge Aue vor zwei Wochen seinen Heimkampf gegen den RV Lübtheen abgesagt, da er zu wenige geimpfte Mitarbeiter hatte, um die Einhaltung der 2-G-Regel zu überprüfen. Werden Zuschauer jedoch komplett ausgeschlossen, fällt den Bundesligisten eine wichtige Einnahmequelle weg. Selbst wenn die Begegnungen per Livestream übertragen würden, wäre offen, wie Sponsoren darauf reagieren würden.

Gesundheit hat Vorrang

Sever vermutet, dass es dann wie im vorigen Jahr zu einer Abstimmung der Klubs käme. Falls der Deutsche Ringerbund ihnen die Teilnahme an den Play-offs freistellen würde, könnte es zu Rückzügen kommen, die eine Endrunde zur Farce werden ließen. Sever stellt die Notwendigkeit der Einschränkungen aber nicht infrage. „Wir wollen ringen, die Zuschauer wollen Kämpfe sehen. Aber es geht auch um die Gesundheit aller.“

Mit den Auswirkungen der vierten Welle wurden die Mainzer schon am Samstag konfrontiert, als sie kurz vor dem Ziel über die Absage der Begegnung beim RC Düren-Merken informiert wurden. Der Grund: drei Corona-Fälle bei den Gastgebern. Über die kampflos zugesprochenen Punkte kann sich Sever nicht. „Das wünscht sich keiner. Schade war es auch für die Merkener, die sich ihren Zuschauern präsentieren wollten.“

Zweimal Deutscher Meister

Etka Sever ringt seit drei Jahren für die 88er, zuvor war er eine Saison in Heilbronn aktiv. Mit dem Ringen begonnen hatte der gebürtige Nordrhein-Westfale, der als Dreijähriger in die Vorderpfalz gekommen war, wo sein Vater sich selbstständig machte, beim VfK Schifferstadt mit zwölf Jahren, also relativ spät. Nach ersten sportlichen Versuchen im Fußball und Boxen probierte er es auf der Matte – in der pfälzischen Hochburg des Ringsports war das naheliegend.

„Wir hatten gutes Training, es waren auch viele Freunde von mir dabei“, erzählt der heute 26-Jährige. „Ich war aber der Einzige, der dabeigeblieben ist.“ Zum einen stellten sich Erfolge ein, zum andern spielten die türkischen Wurzeln seiner Familie eine Rolle; Ringen ist in deren Heimat Nationalsport.

2016 wurde Sever U-23-Europameister und gewann ein Jahr später in derselben Altersklasse EM-Bronze. Bei den Männern war er 2016 und 2017 Deutscher Meister und 2018 Vizemeister. Bis Januar 2020 gehörte er der Nationalmannschaft an, ehe er sich nach gründlichen Überlegungen freiwillig zurückzog. „Die berufliche Karriere geht vor“, sagt er. „Mein Trainingspensum reicht für die Bundesliga“ – dort bestreitet er seine neunte Saison – „aber nicht für mehr.“

Sparringspartner der Ex-Kollegen

Dank flexibler Arbeitszeit steht der 88er am Leistungszentrum Heidelberg seinen ehemaligen Kaderkollegen als Sparringspartner weiterhin zur Verfügung. „Ringen ist nach wie vor ein Bestandteil meines Lebens“, sagt Sever. „Aber früher, als ich noch internationale Ambitionen hatte, war es wichtiger, da war ich noch verrückter.“

Dennoch versteht Sever sich als Leistungssportler, trainiert dementsprechend intensiv und richtet seinen Lebensstil danach aus, beispielsweise indem er auf sein Gewicht achtet, um auch im Halbschwergewicht auf die Matte gehen zu können. Zeitweise hatte er damit geliebäugelt, ganz ins Schwergewicht zu wechseln, änderte seinen Entschluss aber wieder. „Es liegt an meiner Körpergröße“, sagt er. „Die guten Schwergewichtler sind größer.“ Auf 110 Kilo war er gekommen, mehr wären nicht möglich gewesen, ohne an Athletik zu verlieren.

Sein geplanter Wechsel ins Schwergewicht war allerdings der Hauptgrund für den Wechsel nach Mainz. „In Heilbronn wurde ich nur in der Rückrunde im 98-Kilo-Limit eingesetzt. Damals fiel mir das Gewichtmachen schwer.“ Und in der höchsten Gewichtsklasse hatten die Red Devils keine Verwendung für ihn, weil sie dort mit Eduard Popp, der zudem als Eigengewächs minus zwei Ringerpunkte einbrachte, erstklassig besetzt waren.

Zu früh zurückgezogen

Im Gespräch mit den 88ern ging es deshalb in erster Linie um Einsätze im Schwergewicht. Doch in Mainz wuchs zum einen die Erkenntnis, nie wirklich zu den ganz schweren Jungs zu gehören. Zum anderen fiel Sever das Gewichtmachen wieder leichter. „Man lernt mit der Zeit. Ich habe entschieden, meine Ernährung umzustellen, um leichter zu werden.“ Mittlerweile besetzt er beide Gewichtsklassen und tritt jeweils dort an, wo ihn die Mannschaft braucht.

Das Gewicht zu halten falle ihm nicht immer leicht. „Ich schieße schnell hoch, wenn es keine Wettkämpfe gibt. Im Frühjahr, als wegen Corona keine Turniere ausgetragen wurden, wog ich schon wieder 110 Kilo.“

Dass er sich kurz bevor die Coronapandemie Europa erreichte, aus der Nationalmannschaft zurückzog, wirkte sich negativ aus. Zwar durfte zunächst niemand sportartspezifisch trainieren, doch als es die ersten Lockerungen gab, waren die Kaderathleten wieder im Einsatz, Sever hingegen musste sich individuell fithalten. „Das war von Anfang an eine anstrengende Zeit“, sagt er. „Nicht nur für die Sportler, sondern für alle. Man wusste nicht, was auf einen zukommt.“

Alle Bemühungen vergebens

Er selbst hatte gerade seinen Masterabschluss abgelegt, war aber noch auf Jobsuche. Die Zeit fühlte sich für ihn an wie ein Zwangsurlaub. „Ich wünschte, ich hätte Arbeit, dann wäre ich abends ausgepowert“, sagte Sever damals zu SPORTAUSMAINZ.de. Im Frühsommer besserte sich die Situation, die Ringer durften wieder gemeinsam trainieren, zunächst im Freien mit Abstand, dann auch wieder in der Halle mit Körperkontakt. Sever fand zudem eine Anstellung in der IT-Branche.

Die Bundesligasaison rückte näher, stand aber schon vor dem Auftakt unter Vorbehalt. Die Teilnahme war freiwillig, die Staffeln dementsprechend unterbesetzt. Schon nach zwei Wochen kam das Aus. „Alle hatten sich vorbereitet, ihr Leben darauf ausgerichtet, und dann wird einfach abgebrochen“, sagt Sever. „All die Bemühungen der Trainer und Sportler waren vergebens.“ Doch auch in diesem Fall habe die Gesundheit Vorrang gehabt.

Jetzt hofft der 26-Jährige auf einen regulären Rundenabschluss, denn nach dem Verzicht auf internationale Einsätze hat er auch kein gesteigertes Interesse an nationalen Einzeltiteln, will mit der Mannschaft aber noch etwas erreichen. „Bevor ich aufhöre, will ich einmal Deutscher Mannschaftsmeister werden. Das ist mein persönliches Ziel.“

 

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