Bundesliga | Jörg Schneider | 25.03.2014

Und dann fällt noch ein Tor des Jahres

Schlimmer geht’s kaum. Drei Tage nach der bemerkenswerten Vorstellung gegen den Deutschen Meister ist beim FSV Mainz 05 quasi über Nacht der große Frust eingekehrt. Da war nichts mehr zu sehen von Spielfreude, taktischen Höhenflügen und individuellen Stärken am Dienstagabend. Die Mannschaft von Thomas Tuchel präsentierte sich vielmehr als ein Schatten ihrer selbst und kam ausgerechnet beim Tabellenletzten gehörig unter die Räder. Mit der 1:3 (1:2)-Niederlage bei Eintracht Braunschweig vor 21.880 Zuschauern im Stadion an der Hamburger Straße waren die 05er im Grunde noch gut bedient.
Traumtor zur Vorentscheidung: Mit seinem zweiten Treffer in dieser Partie erzielte Domi Kumbela in der 77. Minute das 3:1. Die 05er (v.r.) Todor Nedelev, Loris Karius, Elkin Soto und Stefan Bell können nur zuschauen.
Traumtor zur Vorentscheidung: Mit seinem zweiten Treffer in dieser Partie erzielte Domi Kumbela in der 77. Minute das 3:1. Die 05er (v.r.) Todor Nedelev, Loris Karius, Elkin Soto und Stefan Bell können nur zuschauen. | René Vigneron

Braunschweig. Von Gegensätzen war die Rede seit Samstag am Bruchweg. Drei Tage nach dem Duell mit dem alten und neuen Deutschen Meister eine Auswärtsaufgabe beim Tabellenletzten. Dass diese Gegensätze jedoch tatsächlich derart krass ausfallen könnten, dass sich die Profis des FSV Mainz 05 innerhalb weniger Tage derart befreit von der zuvor gezeigten Mentalität und diesem Selbstverständnis präsentieren könnten, damit durfte niemand rechnen.

Es sei spannend zu beobachten, hatte der 05-Trainer vor der Partie im Stadion an der Hamburger Straße gesagt, wie seine Spieler diese Gegensätze verkraften würden. Ob sie nach dem in allen Bereichen kraftzehrenden Heimspiel die nötige Frische und Konzentration haben würden. Nach dieser 1:3-Niederlage muss man konstatieren: Tuchels Profis waren nicht in der Lage , den von ihrem Trainer geforderten nächsten Entwicklungsschritt zu gehen, sich in einer wichtigen Partie zu einer weiteren Höchstleistung aufzuschwingen und diese Hürde zu nehmen.

Eintracht rennt und kämpft

Stattdessen gingen die Mainzer am Ende mehr oder weniger sang- und klanglos unter und öffneten dem früheren Mainzer Profi Thorsten Lieberknecht und dessen Braunschweiger Eintracht die Tür, um in den Abstiegskampf zurückzukehren. „Laufen bis der Arzt kommt“, hatte Lieberknecht angekündigt. Seine Mannschaft setzte nicht nur diese Vorgabe um, der Tabellenletzte spielte, kämpfte, rannte und stürmte um seine vermeintlich letzte Chance. Die Mainzer hatten dieser Willensleistung insgesamt zu wenig Adäquates entgegenzusetzen, verloren zunehmend die Ruhe und damit ihr eigenes Spiel.

Einige gut kombinierte Ansätze, spielerisch reifer, auch mit mehr Ballbesitz vor der Pause, viel mehr war nicht. Dennoch war Tuchel nicht ganz unzufrieden mit der Leistung bis dahin. „Ich finde wir waren ganz griffig und teilweise auch gefährlich“, sagte der Coach später. „Doch zwei inkonsequente Verteidigungshaltungen bei Standardsituationen, das geht nicht.“ Die Folge: Zwei Tore der Eintracht.

Beim ersten war am Ende der Fehlerkette niemand mehr bei Domi Kumbela, der einen von Ken Reichel weitergeleiteten Ball aus kurzer Distanz an Loris Karius vorbei zur Führung verlängerte. Beim zweiten Treffer der Braunschweiger, in der Nachspielzeit der ersten Hälfte, wehrte Stefan Bell im Luftduell zu kurz ab, der Ball dotzte billardmäßig irgendwie zu Harvard Nielsen, Karius sah den Schuss aus dem Hinterhalt zu spät.

Optimale Reaktion

Die 05er reagierten aber optimal auf die Führung, beruhigten die Druckphase des Gegners vom Anpfiff weg sogar irgendwann halbwegs und wurden immer dann selbst gefährlich, wenn sie flach und präzise durchs Mittelfeld kombinierten. Zwei Minuten nach der Braunschweiger Führung gelang dies perfekt. Niki Zimling auf Eric-Maxim Choupo-Moting, der verlagerte schnell auf die rechte Seite, wo Zdenek Pospech freie Bahn hatte, präzise vors Tor passte, wo Nicolai Müller blank stand und zum Ausgleich vollstreckte. Insgesamt leisteten sich die Mainzer jedoch danach zu viele leichte Ballverluste. „Trotzdem war das ganz in Ordnung“, sagte Tuchel, „das Problem an der Sache war nur, dass wir auch diese erste Hälfte verloren haben.“

Gegen ein ums nackte Überleben fightendes Schlusslicht verloren die Mainzer in der zweiten Hälfte so ziemlich alle ihre Stärken. Das Team ließ sich ein auf das harte, bedingungslose, unstrukturierte Spiel des Tabellenletzten. Der schlug oft die Bälle weit nach vorne, setzte nach und gewann die zweiten Bälle. Mit zunehmender Spielzeit wirkten die Mainzer da verlorener. „Dann fällt noch ein Tor des Jahres, wir hätten sofort zurückschlagen können, haben dies aber nicht getan. Also gibt es keinen Grund, uns darüber zu beschweren. Wir hatten großen Anteil daran, dass wir dieses Spiel verloren haben“, sagte Tuchel.

Okazaki scheitert

Und so einfach kam Kumbela zu seinem zweiten Treffer an diesem Abend: Flanke von rechts, Fallrückzieher, Tor. Auf der Gegenseite schaffte es Shinji Okazaki im Gegenzug nicht, den Ball aus drei Metern Entfernung an Daniel Davari vorbeizubringen. Kumbela hätte noch einen drauflegen können, verzog aber.

Tuchel hatte in diesem Spiel auf fünf Positionen umgestellt, wollte den körperlich arg gestressten Vielspielern wie Johannes Geis oder Okazaki eine Pause geben. Doch so richtig glücklich wird der Coach mit diesen Maßnahmen nicht gewesen sein. Elkin Soto und Julian Koch auf der Doppelsechs leisteten sich in beide Richtungen doch recht viele leichte und unnötige Ballverluste, waren selten in der Lage, Ruhe in die Kombinationen zu bringen.

Zimling muss einstecken

Niki Zimling zeigte über einige Phasen eine starke Vorstellung, musste jedoch unglaublich harte Attacken einstecken. Ungeschützt vom Schiedsrichter. Das war grenzwertig. Der Däne war nach knapp einer Stunde am Ende.

Yunus Malli durfte als Spitze ran. „Wir wollten das mal ausprobieren“, sagte Tuchel. Zu Beginn war die Leistung des Neu-Stürmers ganz okay, doch Malli tauchte zunehmend ab in diesem extrem intensiven Spiel. Und auch Junior Diaz hatte mehr Probleme in der Partie, als dass dem Linksverteidiger viel Produktives gelungen wäre.

Insgesamt in allem zu wenig, um diese Braunschweiger (Lieberknecht: „Eine wahnsinnige Energieleistung meiner Mannschaft“) mit Ruhe, Cleverness und der vorhandenen fußballerischen Überlegenheit zu kontrollieren. Diese Prüfung hat Tuchels Mannschaft doch recht kläglich abgeschenkt.

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