Groß zu denken ist erlaubt, Luftschlösser sind unerwünscht
Mainz. Nein, sagt Thomas Tuchel, es sei kein Aberglaube, dass er und die Verantwortlichen des FSV Mainz 05 nicht das Erreichen der Europa League als Saisonziel postulierten. „Es ist ja nicht so, dass wir Angst hätten, sobald wir das böse E-Wort aussprechen, stürze die Coface-Arena ein“, sagte der Trainer am Freitag in der Pressekonferenz zum bevorstehenden Bundesligaspiel gegen Hertha BSC. Es habe vielmehr schlicht keinen Sinn, sich derartigen Gedankenspielen hinzugeben.
Tuchel ist nicht weltfremd, er weiß, dass zumindest einige Medien – und bei Weitem nicht nur der Boulevard – mit dem möglichen Einzug ins internationale Geschäft Schlagzeilen produzieren wollen. „Das ist Business“, sagt er. „Und es ist natürlich angenehmer, dass so über uns geredet wird, als dass wir in den unteren Regionen der Tabelle stünden.“ Nur: Befördern muss und will er dieses Business nicht.
Einen Milchshake zur Belohnung
Daran wird sich auch aller Voraussicht nach bis zum letzten Spieltag nichts ändern. 2011 jedenfalls, als die 05er am vorletzten Spieltag mit dem 3:1-Sieg auf Schalke vorzeitig einen Europa-League-Platz gesichert hatten, sei ihm selbst diese Erkenntnis erst auf der Rückfahrt im Bus zu ihm durchgedrungen. Auf der A3 in Höhe Leverkusen – aber mit unmittelbaren Folgen: „Wir sind die nächste Ausfahrt rausgefahren, zu einem McDonalds, um uns einen Milchshake reinzuziehen…“
Der Mainzer Trainer geht in seiner Haltung vollkommen d’accord mit seinem Manager. Christian Heidel blickte etwas verwundert drein, als er gefragt wurde, inwieweit er sich schon mit dem Thema Europa beschäftige – zugegeben: Nicht so verwundert wie Tuchel bei der Frage eines ARD-Hörfunkjournalisten, was er denn vom Fall Uli Hoeneß halte. Souffliert von Vizepräsident Peter Arens ließ der Trainer wissen: „Ich soll mich da bloß raushalten.“
Hängematte bringt nicht weiter
Gleichwohl haben die Verantwortlichen des Bruchwegklubs kein Problem damit, wenn Spieler, nach ihren Ambitionen befragt, Europa als Ziel ausgeben, wie dies zuletzt Ja-Cheol Koo getan hat. „Wenn er uns das zutraut, ist das in Ordnung“, sagt Tuchel. „Aber anschließend muss er sich fachlich und inhaltlich mit mir im Training auseinandersetzen“. Sprich: Den Worten müssen die entsprechenden Taten folgen.
Groß zu denken ist nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. „Das tun wir jede Woche“, erläuterte der Coach, „wenn die Mannschaft sich in aller Bescheidenheit aufs Training oder auf die Videoanalyse einlässt und sich zutraut, jedes noch ausstehende Spiel zu gewinnen.“ Das bedeute allerdings nicht, an die Europa League zu denken. „Das ist wegträumen, das sind Luftschlösser“, sagte Tuchel. Und die will er in Mainz nicht sehen. „Ich kann mir natürlich ausmalen, wenn ich das will, dass wir noch 33 Punkte holen, und dann kann ich mich daheim in die Hängematte legen und mich über den geilen Saisonabschluss freuen. Aber das bringt uns nicht weiter.“
Hertha BSC nicht als Aufsteiger betrachten
Genauso wenig wie eventuelle Videoanalysen von der 1:3-Hinrundenniederlage bei Hertha BSC. Wenn er sich auf diesen Gegner vorbereite, dann anhand der vergangenen drei, vier Partien der Berliner. „Das interessiert mich mehr als die Frage, wie Hertha vor einem halben Jahr gespielt hat.“
Vor einem Gedanken warnte Tuchel die Mainzer Fans: Niemand solle glauben, dass die 05er nach den nicht unbedingt erwarteten Auswärtspunkten bei Schalke 04 (0:0) und Bayer Leverkusen (1:0) im Vergleich mit der Hertha die Favoritenrolle innehabe. Der 05-Trainer ahnt, dass in den Köpfen der meisten Mainzer Anhänger der Klub aus der Hauptstadt vor allem mit dem Etikett „Aufsteiger“ behaftet sein könnte. Dabei gerieten zwei Dinge zu schnell in Vergessenheit: „Die Berliner stehen nur zwei Punkte hinter uns. Und sie sind eine der besten Auswärtsmannschaften der Liga.“