05er fliegen ein Stück weit unter dem Radar
Mainz. Thomas Tuchel wiederholt gebetsmühlenartig sein Credo: „Wem soll das nützen?“, fragt der 40-Jährige zu Beginn eines intensiven Gedankenaustausches in dieser Thematik. „Wenn es irgendwie ersichtlich wäre, dass wir daraus einen Vorteil ziehen könnten, würden wir nichts anderes tun. Aber wir brauchen doch diese Baustelle bei uns nicht aufzumachen, um künstlich etwas herauszukitzeln.“
Er und seine Mannschaft liefen doch nicht Gefahr, den internen Druck zu verringern oder in ihren Bestrebungen nachzulassen. „Solche Ziele öffentlich zu formulieren, das greift für mich zu kurz“, sagt der Trainer des FSV Mainz 05. 23 Spieltage sind absolviert. Jetzt zu sagen, Platz sechs sei das Ziel, könne riskant sein. „Ich habe 27 Spieler. Die einen sagen: ,Jetzt kommt der uns mit Platz sechs.‘ Und plötzlich ist Angst, etwas verlieren zu können, im Spiel. Andere sagen vielleicht: ,Was, mehr will der nicht, wo es so gut läuft bei uns?‘.“
Was, wenn sich aktuelle Top-Leistungsträger verletzen? Sperren? Tuchel will sein Team auch medial nicht unbedingt mit erhöhten Ambitionen in den bundesweiten Fokus rücken. Mainz 05 fühlt sich derzeit pudelwohl in seiner Nische. „Wir fliegen sicherlich ein Stück weit unter dem Radar“, sagt der Coach, „aber das ist für uns die Basis, um in Ruhe weiterhin Leistung bringen zu können.“
Klar formulierte Zwischenziele
Intern, das gesteht der Trainer ein, gibt es dagegen schon klar formulierte Marken und Ziele. „Wir formulieren eindeutig Leistungskriterien, arbeiten aber lieber mit Zwischenzielen“, sagt Tuchel. Das erste dieser Ziele war das schnellstmögliche Erreichen der 30-Punkte-Marke. Die nächste Etappe gilt den berühmten 40 Zählern. Die soll das Team so schnell wie möglich klarmachen. Die weiteren Ziele, die sich das Team gegeben hat, bleiben geheim. Doch wohin das führt, wenn die Tuchelschen Zwischenziele erreicht werden, kann sich jeder selbst ausrechnen.
„ Wir müssen uns freimachen von dem, was von außen kommt“, sagt der Coach. Zu erwarten, mit den vielen guten Ergebnissen gehe es nun leichter im Rest der Saison, sei gefährlich. Wer sich ausschließlich übers Ergebnis definiere, sei schnell dabei, sich zurückzulehnen.
Immer wieder kurzfristige Ziele stecken
„Ich glaube, es gibt keine andere Möglichkeit, als immer wieder kurzfristige Ziele zu stecken, die für die Mannschaft absehbar sind. Wir müssen immer und jetzt erst einmal um die drei Zähler kämpfen, die es im nächsten Spiel zu holen gibt“, sagt der Fußballlehrer. „Den Grundstein dafür legen, dass uns am Sonntag die richtigen Mittel zur Verfügung stehen, um uns möglichst erfolgreich mit Hertha BSC auseinanderzusetzen. Wir finden das wichtiger, als etwas hinauszuposaunen und damit vielleicht alle verrückt zu machen.“
Tuchels Team spielt nun seit vielen Wochen auf einem selten zuvor dagewesenen Gesamtniveau und punktet sehr konstant. Dennoch gibt es in jedem Spiel genügend Teilaspekte, die Tuchel intern kritisiert und mit den Profis aufarbeiten muss. Beim 1:0 in Leverkusen war die Defensivhaltung nahezu optimal, doch die Passqualität, die Laufwege, die Abstimmung der Stürmer untereinander boten Ansatzpunkte für konstruktive Kritik und harte Trainingsarbeit diese Woche. Da habe die Mannschaft nicht so gut agiert, wie es ihr möglich gewesen wäre.
Standardniveau? Tuchel traut sich nicht
Deshalb tut sich der 40-Jährige noch immer schwer damit, die Leistungen vom Unentschieden auf Schalke oder vom Sieg in Leverkusen als normal und als Maßstab anzunehmen. Als Standardniveau. „Ich finde das Niveau, auf dem wir spielen, noch immer sehr besonders, auch wenn die Serie schon richtig lange hält“, sagt Tuchel. „Ich traue mich aber nicht zu sagen, das ist das, was von uns künftig dauerhaft zu erwarten ist.“ Das ändert jedoch nichts daran, dass der 05-Trainerstab intern genau dies trotzdem fordert von den Spielern: sich auf diesem Level zu etablieren.
Die Mannschaft erfahre derzeit eine außergewöhnliche Belohnung für ihr intensives, konzentriertes und enorm aufmerksames Arbeiten. Das sei die optimale Verstärkung dafür, um alle im Kader in dieser Aufgabe zu halten. Er versuche seine Profis immer wieder darin zu bestärken, nicht nachzulassen, weiterzuarbeiten, alle Prinzipien und Verhaltensweisen in jedem einzelnen Training abzurufen. Der Trainer gibt seinen Spielern viel positives Feedback. Doch das interne Lob dreht sich nicht um schöne Hackentricktore. „Da kann jeder sicher sein, dass wir darüber nicht sprechen.“
„Da wird nicht weggeguckt, nichts verschenkt“
Stattdessen gibt es Bilder, die gelungenes Gegner-Anlaufen zeigen, gutes Positionsspiel. Ordnung halten, Räume bespielen. Weil das die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung steigert. „Alle müssen voll im Handeln bleiben, da wird niemand bei uns rausgelassen“, sagt Tuchel. Die nächste Trainingseinheit müsse wieder auf hohem Niveau ablaufen. „Da wird auch nach einem Sieg nicht weggeguckt, da wird nichts verschenkt.“ Immer mit dem Ziel, im nächsten Spiel an die Grenze heranzureichen, die die Tagesform hergibt. „Die Spieler“, sagt Tuchel, „geben seit Jahren ihr volles Vertrauen in unsere Hände. Wir versuchen alle weiterzuentwickeln. Und das gelingt uns ja auch ganz gut.“