Christian Karn | 25.04.2020

Quasi ein Golden Goal

Das 05-Kalenderblatt* für den 25. April.
In der Zweiten Liga (hier im Spiel gegen Energie Cottbus) überzeugte Marcio nur selten. Im DFB-Pokal hingegen sorgte er für ein Highlight am Bruchweg.
In der Zweiten Liga (hier im Spiel gegen Energie Cottbus) überzeugte Marcio nur selten. Im DFB-Pokal hingegen sorgte er für ein Highlight am Bruchweg. | Bernd Eßling

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es um zwei vielseitige Mittelfeldspieler und einen Brasilianer, der den vom Platz geflogenen Jürgen Klopp in der Kabine eingesperrt haben soll.

 

25. April  

Heute vor 97 Jahren kam Hermann Ronde zur Welt. Der kleine Mittelfeldspieler wechselte 1950 schon im recht fortgeschrittenen Fußballeralter von 27 Jahren vom SV Zeilsheim zu den 05ern, war aber noch fünf Jahre lang regelmäßig dabei, ohne jemals eine Stammposition zu haben: Die meisten seiner 120 Oberligaspiele für die Mainzer bestritt Ronde im linken Mittelfeld, aber auch etliche auf der rechten Seite, in der Abwehr und als Flügelstürmer. Ronde war ein Auffüllspieler, ein Allrounder, der, wenn er seinen Stammplatz verlor, anderswo auf dem Feld weiterhin gegen den Mann und im eigenen Aufbau wertvoll war.

 

Und damit kommen wir zu Horst Schuch, vor 79 Jahren geboren und ähnlich vielseitig. Als der damals 18-Jährige 1959 aus der Jugend ins Oberligateam übernommen wurde, war er bereits rechter Verteidiger, wurde bei seinen noch recht wenigen Einsätzen aber auch auf allen anderen Positionen auf der rechten Seite eingesetzt, dreimal auch als Innenverteidiger. Im zweiten Jahr spielte Schuch immer noch nicht regelmäßig, wenn, dann meist im Abwehr- oder Mittelfeldzentrum. Der Durchbruch gelang ihm, als 1961 die Stammspieler Helmut Müllges und Norbert Liebeck oft fehlten, wodurch sich die gesamte Statik der 05-Abwehr verschob, erst rechts und dann in der Mitte lange ein Platz frei wurde für den Nachwuchsmann. Schuch setzte sich rechts schließlich fest und war drei Jahre lang Stammspieler.

Durch die Verpflichtung Heinz Wassermanns im Sommer 1964 verlor er diesen Status wieder. Drei Jahre lang war er unregelmäßiger dabei, in der starken Mannschaft der Saison 1967/68 wurde er noch einmal gesetzt. Bis zum Ende seiner Profikarriere im Sommer 1970 spielte Schuch insgesamt 204-mal in der Liga und im DFB-Pokal für Mainz 05, dabei schoss er fünf Tore.

 

45 Jahre alt wird Marcio Rodrigues Machado, einer der ersten Brasilianer am Bruchweg. Marcio kam 1998 von Internacional Santa Maria nach Mainz, wo er nie der Torjäger wurde, den die Verantwortlichen sich erhofft hatten. In 39 Zweitligaspielen traf er nur viermal und war daher meist nur ein Einwechselspieler. Auch Regionalligist Kickers Offenbach konnte anschließend nicht viel mit ihm anfangen.

Und doch hat sich der Brasilianer in Mainz einen gewissen Legendenstatus erarbeitet, in einem einzigen Spiel, dem Pokalspiel gegen Hertha BSC am 30. November 1999. In einer bis dahin unansehnlichen Partie führte der Champions-League-Teilnehmer nach einer guten Stunde mit 1:0, Michael Thurk aber sorgte in der 82. Minute nach Vorarbeit von Marcio mit seinem erste Profitor für die Verlängerung – die der FSV wegen einer Gelb-Roten Karte gegen Jürgen Klopp in Unterzahl bestreiten musste. Die Gäste wollten nun kurzen Prozess machen und ließen die 05er kaum noch von deren Strafraum weg.

Tor geschossen, Trikot ausgezogen, Gelb-Rot gesehen

Beim ersten Mainzer Entlastungsangriff in der 99. Minute aber spielte Sirous Dinmohammadi einen seiner fabelhaften Steilpässe auf Marcio, der das 2:1 schoss – und einen vermeintlich fatalen Fehler beging: Offenbar im Irrglauben, er habe gerade das Golden Goal geschossen und das Spiel sei vorbei, riss sich der Brasilianer das Trikot vom Leib, schwenkte es über dem Kopf. Schiedsrichterbetreuer Rocky Mayer, Schlimmstes ahnend, versuchte noch, den Torschützen einzufangen, purzelte in seinem Entsetzen aber nur kopfüber über die Werbebande.

Das Problem: Marcio hatte bereits eine Gelbe Karte gesehen. „Es tat mir in der Seele weh“, sagte Schiedsrichter Helmut Fleischer, aber Gelb-Rot musste er trotzdem zeigen.

Jürgen Klopp, so geht zumindest die Legende, bekam nicht viel mit von dem, was anschließend passierte. Marcio soll ihn aus Versehen in der Kabine eingeschlossen haben, Klopp habe sich auf das verlassen müssen, was durch die dünnen Wände von den Tribünen an sein Ohr drang. Und es war laut am Bruchweg. Die 05-Fans wurden tatsächlich der zehnte Mann, der die Unterzahl wenigstens ein bisschen wettmachte.

Die Mauer hält

Hertha stürmte, belagerte den Strafraum. Die 05er zogen sich zurück in ein 4-4-0-System mit Thurk als Rechtsverteidiger. An der Seitenlinie standen Wolfgang Frank und Serjik Teymourian, der iranische Ersatzspieler, synchrongestikulierend. Bälle flogen in den Strafraum und – vor allem von Steffen Herzbergers Schädel – wieder hinaus.

Beim Anstoß zur zweiten Hälfte der Verlängerung waren nur zwei Mainzer nahe der Mittellinie, die den Ball einfach in Richtung Eckfahne schlugen und sich in die Abwehr zurückzogen. Dimo Wache boxte einen Ball aus dem Winkel, den Sterbliche normalerweise nicht erreichen können. Hertha ließ überhaupt keine Entlastung zu, bis in die 121. Minute, in der Thurk um ein Haar das 3:1 geschossen hätte. Die Mainzer Mauer hielt, neun 05er brachten das 2:1 gegen elf Berliner über die Zeit. Und in gewisser Weise war Marcios Treffer wirklich ein Golden Goal.

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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