Peter H. Eisenhuth | 19.07.2022

Splitter und Splatter

NEUES AUS GRASSAU (10) | Von Israel Kamakawiwoʻole, Riesling in Riad und Jackie Cola in Dosen: Tagträume und Nachtgedanken in der Chiemgauer Hitze.
Auf diese Idee hätte auch Ex-Kapitän Moussa Niakhaté schon kommen können.
Auf diese Idee hätte auch Ex-Kapitän Moussa Niakhaté schon kommen können. | Mainz 05

Aus dem Trainingslager des FSV Mainz 05

berichtet Peter H. Eisenhuth

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Rainbow Warriors: Egal ob im Original von Judy Garland oder erst recht von Israel (!) Kamakawiwoʻole gecovert: Falls sie in Saudi-Arabien „Somewhere over the rainbow“ kennen, dürfte der Song auf dem Index stehen. Musik ist dort zwar nicht mehr verboten, die Homoehe hingegen verpönt wie alles, was der LGBTQ-Bewegung näher kommt als der Wahhabismus dem Pluralismus. Und die Regenbogenflagge ist nun mal Symbol einer Bewegung, deren Tun das Herrscherhaus in Riad, schon mal mit Tausenden Peitschenhieben ahndet. Wenn das nicht reicht, gibt’s ja auch noch die Todesstrafe, die Kronprinz Mohammed bin Salman gerne auch bei anderen Vergehen gegen die Diktatur zur Anwendung bringt, sei es auch außerhalb der eigenen Landesgrenze.

Den König der Zerstückeler und Chef des Konsortiums, dem Newcastle United seit Herbst vorigen Jahres gehört, wird es wahrscheinlich nicht weiter gekümmert haben, so er das Spiel seines Premier-League-Klubs gegen den FSV Mainz 05 am Montagabend überhaupt angeschaut hat – aber dass der Mainzer Silvan Widmer als Kapitän eine regenbogenfarbene Armbinde trug, war zumindest ein Symbol. „Das passt immer gut“, sagte Bo Svensson. „Und heute vielleicht noch besser.“

 

Schoppen in der Wüste: Dass Regimes wie das in Riad über ihren Einstieg in den europäischen Profifußball oder auch mit der Einführung einer milliardenschweren Golf (liegt ja nahe)-Tour ihr Image im demokratischen Ausland verbessern wollen, wird mit dem Begriff Sportwashing bezeichnet. Dass sich dadurch andererseits die Menschenrechtssituation zu Hause ändert, ist so unwahrscheinlich wie die Tatsache, dass in China ein Sack Reis auf den Kopf von Xi Jinping fällt.

Bei den Saudis aber gibt es vage Anzeichen für einen Paradigmenwechsel beim Alkoholverbot. Wenn schon das Konsortium hinter Newcastle United abgekürzt auf die Silbe PIF hört, folgt als nächstes das Piffche. Und dann ist es bis zum Schoppen nicht mehr weit. Das würde Perspektiven eröffnen. Wirtschaftsminister Robert Habeck könnte auf seiner demütigen Suche nach neuen Energiequellen in ganz neuer Währung zahlen und gleichzeitig, den rheinhessischen Winzern neue Absatzmärkte erschließen, Rainer Brüderle fände als Rieslingbotschafter endlich wieder eine Verwendung. Und eine alte Vision der Neuen-Deutschen-Welle-Band Ideal würde Wirklichkeit: „Sekt in der Wüste“ (oder so ähnlich).

 

Von Besiktas lernen, heißt feiern lernen: Man kann davon ausgehen, dass der Kronprinz und sein Gefolge nicht mehr so verkniffen dreinschauen würde, sobald es um antidiktatorische Bestrebungen ginge, folgten sie dem Beispiel der Fans von Besiktas Istanbul. Wobei: „Der“ Fans ist natürlich Quatsch, genauso wie es nicht „die“ Fans des FSV Mainz 05 waren, die auf die Absage des Tests gegen Newcastle pochten. Besagte Besiktas-Anhänger dürften freilich deutlich mehr gewesen sein als erwähnte 05er, sie reisten zu ihrem Spiel gegen den Bundesligisten keineswegs nur aus der Kufsteiner Grenzregion an, sondern kamen, wie ihre Autokennzeichen verrieten, unter anderem aus Heidenheim, Köln und Siegen.

In ihren Händen hielten sie am Ende ihrer Pilgerreise – tatsächlich hatte die Verehrung der Spieler nahezu religiöse Züge – Dosen, die sie in kurzen Abständen zu ihren Mündern zu führen, um am bourbonhaltigen Mischgetränk aus Jack Daniels und Coca Cola zu nippen. Und was soll man sagen: Sie waren bester Laune, stimmgewaltig, feierten ausgelassen und waren trotz allem in der Lage, nach dem Abpfiff unfallfrei alle Absperrungen zu überwinden, um sich Fotos, Autogramme und Trikots zu sichern.

Die österreichischen Order griffen nicht ein, sondern ließen die mehreren Hundert Fans gewähren. „Sonst kriegst am End was auf Maul“, erläuterte einer die Zurückhaltung. Aggressiv aber war die Stimmung ganz und gar nicht.

 

Gruppendynamik: Originell war im Übrigen das Zeremoniell, mit dem die Besiktas-Fans ihre Elf beim Aufwärmen begleiteten. Auf der Tribüne skandierten sie einen Namen nach dem anderen, stets so lange, bis sich der jeweilige Spieler aus seine Aufwärmgruppe entfernte, zur Tribüne trabte, dreimal die Faust zu einem lauten Ruf in die Luft stieß und wieder zu den Kollegen zurückkehrte. Die Trainer störten sich daran nicht, im Gegenteil: Einem der von den Fans gewünschten Akteure bedeutete ein Coach, sich auf den Weg zu machen. Zur Nachahmung in der Arena am Europakreisel wahrscheinlich nicht empfohlen.

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