Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 15.07.2022

„Wenn es um meine Schwächen geht, bin ich selten überrascht“

NEUES AUS GRASSAU (3) | Seine Flexibilität ist eines der Elemente, die Anton Stach so wertvoll machen. Der 23-Jährige ist sich mit seinen Trainern aber auch über die Dinge einig, in denen er sein Potenzial noch entfalten muss. Und über eine Nominierung für den WM-Kader würde sich der Jungnationalspieler riesig freuen.
Den einen oder anderen Spieler des FC Bayern hat Anton Stach auch bei der Nationalmannschaft getroffen.
Den einen oder anderen Spieler des FC Bayern hat Anton Stach auch bei der Nationalmannschaft getroffen. | Eva Willwacher

Aus dem Trainingslager des FSV Mainz 05

berichtet Peter H. Eisenhuth

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Grassau. Feedback für seine Leistungen erhält Anton Stach seit etwas rund vier Monaten von zwei Cheftrainern. Von Bo Svensson im Verein, von Hansi Flick in der Nationalmannschaft, seit der Bundestrainer den Mittelfeldspieler des FSV Mainz 05 im März erstmals berief. Was Stach von beiden zu hören bekommt, unterscheidet sich allenfalls im Akzent, nicht aber inhaltlich.

„In ihren Einschätzungen sind sie ähnlich“, erzählt er in einer Presserunde während des Trainingslagers im Chiemgau. „Ich kann meine Schwächen aber auch selbst gut einschätzen. Wenn es in den Gesprächen um Schwächen geht, gibt es selten Momente, in denen ich überrascht bin und denke: ,Was? Stimmt doch gar nicht‘…“ Stach lacht, als er das sagt, und er lacht viel während des rund viertelstündigen Gesprächs. Aber wer, wenn nicht er, hätte Grund zu lachen, nach seinem kometenhaften Aufstieg in der vergangenen Saison.

Der 23-Jährige gehört zu den Späteinsteigern. Sowohl mit Bezug auf den Profifußball an sich als auch in der in Grassau versammelte Mainzer Gruppe. Wie die übrigen Nationalspieler auch, durfte er über den Beginn der Saisonvorbereitung hinaus Urlaub machen und stieß erst zu Beginn dieser Woche wieder zum Kader. Nach den Nations-League-Spielen der Nationalelf habe er zwei Wochen Urlaub im Sinne von Urlaub gemacht, bevor für weitere elf, zwölf Tage der individuelle Laufplan hinzukam.

Zwei Wochen komplett abgeschaltet

„Für die ersten beiden Wochen wurde mir gesagt, dass ich mal gar nichts machen soll“, berichtet Stach, „und das hat mir gutgetan nach der langen Saison und dem vorigen Sommer, in dem ich kaum frei hatte.“ Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2021 war er mit der deutschen U21, darunter seine späteren Mannschaftskameraden Jonathan Burkardt und Finn Dahmen Europameister geworden.

Während sein neuer Verein zum Trainingslager in Tirol weilte, nahm Stach an den Olympischen Spielen teil. Und von Tokio ging’s fast nahtlos nach Elversberg, wo er als Einwechselspieler mit seinen beiden Vorlagen für Burkardt sowie dem letzten verwandelten Elfmeter maßgeblich dazu beitrug, dass den 05ern ein Erstrundenaus im DFB-Pokal erspart blieb.

Jetzt zwei Wochen mit der Familie zu verbringen, am Strand oder am Pool zu liegen und nicht über Fußball zu reden, habe er genossen. „Das unterschätzen vielleicht viele“, sagt Stach, aber gerade mental sei es sehr wichtig, komplett abzuschalten. Und das geht, nach einem derart ereignisreichen Jahr und innerhalb einer sportbegeisterten Familie zwei Wochen lang den Fußball komplett auszuschalten? Stach lacht. „Das kann ich super.“

Noch etwas Nachholbedarf

Inzwischen hat er wieder umgeschaltet, merkt, dass er in punkto Fitness noch etwas Nachholbedarf hat, aber auch, dass es relativ schnell vorangeht. In etwas mehr als zwei Wochen steht das Pokalspiel in Aue an, eine Woche später beginnt die Bundesligasaison, und selbstverständlich würde Stach gerne von Beginn an auf dem Platz stehen. Von falschem Ehrgeiz aber wird er nicht getrieben. „Wenn ich fit bin, möchte ich spielen, aber ich werde auf die Athletiktrainer hören und abwarten, wie ich die Belastung annehme.“

Was seine Belastbarkeit angeht, kann Stach nicht klagen, in der zurückliegenden Runde steckte er die zahlreichen intensiven Spiele gut weg. Nur während der letzten englischen Woche mit den drei Auswärtsbegegnungen gegen Gladbach, den FC Augsburg und den 1.FC Köln habe er gemerkt, dass die die Beine schwer waren. „Aber das war normal, solche Wochen hatte ich vorher ja noch nicht erlebt. Und klar gab es mal Tage, an denen die Beine sagten: ,heute nicht‘“ – aber dann war der Kopf stärker.

Erstaunliche Vita

Das Erstaunliche an Stachs Weg in die Nationalmannschaft ist seine eigene Vita. Mit 16 Jahren aus dem Nachwuchsleistungszentrum des SV Werder Bremen ausgeschieden, spielte er noch 2019/20 für den VfL Wolfsburg II in der Regionalliga. Es folgten eine Zweitligasaison in Fürth (als Stammspieler) und trotz des Aufstiegs der Wechsel nach Mainz. Bei den 05ern, daran erinnert Bo Svensson regelmäßig, wenn es um Stachs Karriere geht, kam er zwar vom dritten Spieltag an fast durchgehend zu Einsätzen – aber bis Ende November mit einer Ausnahme stets von der Bank. Stammkraft wurde der Neuzugang erst mit dem 3:0 gegen den VfL Wolfsburg, dem Heimspiel, in dem er sein bislang einziges Bundesligator machte.

Das ist denn auch einer der Aspekte, die Svensson meint, wenn er davon spricht, dass Stach sein Potenzial bei Weitem noch nicht ausgeschöpft hat: Ein Spieler mit so guter Technik, mit einem derart kraftvollen Abschluss müsse mehr als einen Treffer pro Saison erzielen.

Was noch? Das Kopfballspiel. Seine Größe von 1,94 Meter muss Stach in der Luft besser zur Geltung bringen. „In erster Linie muss er dabei defensiv besser werden, um in der Lage zu sein, den stärksten gegnerischen Kopfballspieler rauszunehmen“, fordert der Mainzer Trainer. Und Stach müsse „etwas mehr strategisch unterwegs sein“, sprich, das Spiel noch besser lesen, gerade gegen sehr gut organisierte Mannschaften, um Lösungen zu finden und Impulse zu geben.

Ein paar Schritte übersprungen

Gerade diese Fähigkeit auf Erstliganiveau noch nicht perfektioniert zu haben, ist normal. „Das braucht seine Zeit“, sagt Svensson. „Anton hat mit der frühen Nominierung für die Nationalmannschaft vielleicht ein paar Schritte übersprungen. Der Bundestrainer sieht das Riesenpotenzial und weiß, dass Stachi noch nicht am Ende ist.“ Für den Spieler gehe es im nächsten Schritt darum, die erwähnten Defizite zu verbessern – „und diesen Schritt muss er bei uns machen“.

„Das ist der Plan“, sagt Anton Stach auf die Frage, ob er auch die nächste Saison bei den Rheinhessen spielen werde. „Man hat bei mir gesehen, wie schnell alles gehen kann, aber das ist der Plan.“ Bo Svensson lässt keinen Zweifel daran, dass dieser Plan auch umgesetzt wird. „Wir lassen einen Wechsel nicht zu“, zu wichtig ist die Rolle, die Stach in den Überlegungen des Trainers einnimmt. „Ich glaube auch nicht, dass jemand, der erst seit so kurzer Zeit Stammspieler ist, gut daran täte, den Verein zu wechseln.“

Am liebsten auf der Acht

Zu den Elementen, die den 23-Jährigen so wertvoll machen, gehört seine Flexibilität. Im 05-Trikot hat er in Vertretung von Dominik Kohr als alleiniger Sechser überzeugt, hat die Rolle als Achter herausragend interpretiert und zuletzt auch offensiver, auf der Zehn und der rechten Bahn überzeugt. „Es geht darum, die Spieler nach ihren Fähigkeiten einzusetzen, auch danach zu schauen, was der Gegner erfordert“, sagt Svensson, „und da bietet Stach mehrere Optionen an.“

Wo fühlt der Spieler sich am wohlsten? „Voriges Jahr hätte ich noch gesagt, als alleinige Sechs, aber jetzt sage ich auf der Acht“, sagt Stach. „Dort bin ich mehr in Tornähe und komme häufiger zum Abschluss. Und ich glaube, dass ich ein guter Box-to-box-Spieler bin. Ich kann auch mal dribbeln und eine Linie überlaufen.“ Seine Antritte im Mittelfeld sind für einen Spieler seiner Größe außergewöhnlich dynamisch, dank seiner engen Ballführung ist er nur schwer von der Kugel zu trennen – und die langen Beine helfen, sich einen verlorenen Ball wieder zu angeln.

Wertvolle Zeit beim DFB

Die Aufenthalte bei der Nationalelf im März und im Juni mit den Einsätzen im Testspiel gegen Israel (2:0) und im mit 5:2 gewonnenen Nations-League-Spiel gegen Italien, insbesondere aber mit den Trainingseinheiten, „in denen ich mich mit den Besten messen konnte“, hätten ihm „super viel“ gebracht, sagt Stach. „Das war eine wertvolle Zeit. Auch für meine Persönlichkeit.“ Anfangs habe er vor den gestandenen DFB-Kickern großen Respekt gehabt und sich zurückgenommen. „In den letzten Wochen habe ich mich auch mal gewehrt, und ich habe mich immer besser aufgehoben gefühlt.“

Inhaltlich habe er in jedem Training dazugelernt und auch erkannt, woran er arbeiten müsse. „An meiner Handlungsschnelligkeit und an meiner Vororientierung, damit ich immer weiß, was im nächsten Moment passiert.“ Das Spiel in der Nationalmannschaft sei noch etwas schneller und sauberer als im Verein – sich auf diesem Level einzufinden, gehört ebenfalls zum nächsten Entwicklungsschritt.

Erst mal anstellen

Dass er drei der fünf Länderspiele nur als Zuschauer erlebte, habe er nicht als Stagnation oder gar Rückschritt empfunden, sagt Stach. „Klar möchte ich immer spielen, aber ich weiß, dass gerade auf meiner Position keine schlechten Spieler sind. Da muss ich mich erst mal hinten anstellen, im Training zeigen, was ich kann, damit die Trainer Vertrauen in mich bekommen und mich reinschmeißen – und dann muss ich da sein.“

In den nächsten Wochen wird Stach beim FSV Mainz 05 auch daran arbeiten, dass sein Name fällt, wenn Hansi Flick den Kader für Katar bekanntgibt. „Wenn man bei der Nations League so kurz vor einer WM dabei war, dann … ist Hoffnung vielleicht das falsche Wort“, sagt er mit leichtem Zögern. Ersetzen wir es durch Überzeugung? „Ich würde mich super freuen“, sagt er, „aber es wäre kein riesiger Zusammenbruch, wenn es nicht reichen sollte.“

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