Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 07.10.2020

„Wir können es uns nicht leisten durchzuatmen“

05-Sportvorstand Rouven Schröder über die überschaubaren Transferaktivitäten des Vereins, die unruhigen ersten Wochen dieser Saison, skeptische Fans und die Kritik an seiner Person.
Rouven Schröder, hier mit Karim Onisiwo, will auch künftig nahe an der Mannschaft sein.
Rouven Schröder, hier mit Karim Onisiwo, will auch künftig nahe an der Mannschaft sein. | Eva Willwacher

Herr Schröder, am Montag endete die Transferperiode, Ihre Transferaktivitäten sind abgeschlossen und bis zum nächsten Bundesligaspiel sind es noch anderthalb Wochen. Gönnen Sie sich ein paar Tage Entspannung?

Nein, das ist momentan nicht drin. Ich weiß, dass ein paar Kollegen in der Branche die Zeit für einen kurzen Urlaub nutzen, aber bei uns geht es im Normalbetrieb weiter.

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Im normalen Normalbetrieb oder im Normalbetrieb der zurückliegenden zwei, drei Wochen?

Normalbetrieb heißt, dass wir weiter intensiv an unseren Themen arbeiten. Wir können es uns nicht leisten durchzuatmen, unsere Lage hat sich nicht entspannt. Wir müssen weiter hart arbeiten, jeden Tag versuchen wir Dinge anzuschieben, wir schauen, wo wir uns verbessern können. Jan-Moritz Lichte und sein Trainerteam machen das mit der Mannschaft sehr gut, und ich unterstütze sie dabei. Da kann ich mich nicht raushalten.

Die Mainzer Transfers in diesem Sommer waren sehr überschaubar. Ridle Baku ist der einzige echte Abgang, Florian Müller wurde nach Freiburg verliehen, und nur Dimitri Lavalée, Luca Kilian und Kevin Stöger sind von außen dazugekommen.

Wir waren und sind auf dem Transfermarkt nicht untätig, aber aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat nicht alles funktioniert, was wir uns vorgestellt hatten.

In beide Richtungen?

Ja. Zunächst beim Thema Abgabe von Spielern. Es war einiges anders geplant, doch die wirtschaftlich schwierige Lage durch Corona in Verbindung mit den jüngsten Leistungen haben dazu geführt, dass sich die Dinge anders entwickelt haben. Wenn ein Verein weniger Geld zur Verfügung hat, schaut er bei Verpflichtungen noch genauer hin als sonst, will einen Spieler vielleicht nicht direkt kaufen, sondern nur mit Kaufoption leihen. Das wiederum war für uns keine Option. Wenn wir einen wichtigen Spieler abgeben, brauchen wir das Geld sofort, um Ersatz holen zu können. Die Zurückhaltung im Markt aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation und der Unklarheit darüber, wie es weitergeht, war ein grundsätzliches Problem. Hinzu kamen dann die Leistungen einzelner Spieler in den ersten drei Spielen, die ihren Teil dazu beitrugen, dass sich größere Vereine gegen Transfers entschieden haben. Wir selbst hätten unseren Kader gerne noch bereichert, aber ohne entsprechende Einnahmen waren uns die Hände gebunden. Jetzt gilt es, mit dem vorhandenen Personal die Kurve zu kriegen.

Können Sie verstehen, wenn Fans angesichts dieser Situation Schlimmes befürchten?

Ich weiß, dass es vielen aktuell schwerfällt, positiv in die Zukunft zu schauen. Wir geben unsere Visitenkarte auf dem Feld ab, das ist unsere Benchmark, und die hat zuletzt keinen guten Eindruck gemacht. Die Fans haben Augen im Kopf, und was in den drei bisherigen Saisonspielen gesehen haben, war nicht gut. Dass die Leute damit unzufrieden sind, ist verständlich, dass sie Sorgen haben, auch. Aber wir im Verein dürfen uns nicht von dieser Stimmung oder den Rahmenbedingungen ablenken lassen. Wir müssen ohnehin dringend die Dinge verbessern, die wir beeinflussen können.

Kann der kurzfristige Transfer von Kevin Stöger die Gemüter ein wenig beruhigen?

Das kann ich nicht beurteilen, das ist auch nicht unser Ansatz. Wir sind überzeugt, dass Kevin Stöger unserer Mannschaft helfen kann. Er ist ein toller Fußballer, der sich immer aktiv ins Spiel einbringen will und der unbelastet und motiviert an die Aufgabe herangeht. Aber er wird nicht alleine für eine Kehrtwende sorgen können, das kann nur das Team als Ganzes.

Abgesehen von Baku und Florian Müller als Abgängen sowie Stöger und Kilian als Zugängen ist es jetzt der Kader, von dem Sie und Achim Beierlorzer zu Beginn der Vorbereitung sagten, damit könne man in die Saison gehen.

Fakt ist, dass die Mannschaft in der Besetzung gezeigt hat, dass die Bundesliga spielen und auch die nötigen Punkte holen kann. Das ist ihr gerade in der Schlussphase der vorigen Saison sehr eindrucksvoll gelungen, in der Anfangsphase der neuen Saison leider nicht. Gegen Leipzig konnten wir zwar noch sagen, dass dieser Gegner nicht unsere Kragenweite ist, aber danach ging das nicht mehr. Die Entwicklung in der Woche zwischen Leipzig und Stuttgart hat gezeigt, dass wir ein paar Entscheidungen falsch getroffen hatten. Dafür sind wir verantwortlich. Letztlich war es ein schwer verdaulicher Cocktail. Dass wir gegen den VfB unsere Leistung nicht auf den Platz bekommen haben, war am Ende auch ein Spiegelbild der vorhergehenden Woche.

Würden Sie als Konsequenz aus dieser Erfahrung sagen, der Verein hätte sich früher von Achim Beierlorzer trennen müssen? Schon nach der vorigen Saison?

Im Nachgang kann man immer alles anders betrachten. Wir haben aus der Analyse der vergangenen Saison ein paar Hausaufgaben mitgenommen, ein paar Punkte, in denen wir uns weiterentwickeln wollten und mussten. Aber wir hatten die Mission Klassenerhalt dank eines Endspurts aller Beteiligten erfüllt, und es war ein Grundvertrauen vorhanden, dass dieser Erfolg uns für die neue Saison beflügeln würde. Eine Trennung in dieser Situation wäre ein zweischneidiges Schwert gewesen. Mainz 05 will eigentlich nicht der Verein sein, der sich innerhalb eines Jahres von zwei Trainern trennt. Wir haben immer zuerst den Anspruch, die Dinge aus eigener Kraft und mit den vorhandenen Mitteln zu regeln. Aber wir mussten die Lage nun neu bewerten und dann entsprechend handeln. Der Prozess der Aufarbeitung ist dabei immer noch im Gange.

Mit einem Trainerwechsel verbindet sich immer auch die Hoffnung auf ein sofortiges Erfolgserlebnis…

… diese Hoffnung hatten auch wir. Jan-Moritz ist sehr gut in die vorige Woche reingekommen, mit seiner klaren Ansprache und der Arbeit auf dem Platz. Aber in Berlin hat man nach dem 0:1 in der 13. Minute gemerkt, dass die Mannschaft verunsichert und in ihren Strukturen überfordert war. Das müssen wir jetzt ändern. Das Vertrauen in die eigenen Stärken kriegst du nur über harte Arbeit. Situationen wie die, in der wir jetzt sind, gab es immer schon, auch an diesem Standort, aber ich lasse mir nicht ausreden, dass wir einen handlungsfähigen Kader haben.

Gehen Sie davon aus, dass alle Spieler voll mitziehen? Oder befürchten Sie, dass der eine oder andere, der sich schon bei einem größeren Klub oder in einer anderen Liga gesehen hat, es an Engagement mangeln lässt, wie es vorige Saison bei Aarón der Fall war?

Ich habe das Vertrauen in die Menschen, dass jeder sein Potenzial abrufen will, aber in die Köpfe kann ich nicht reinschauen. Es kann schon sein, dass mancher enttäuscht ist, aber vor einem Wechsel muss die Leistung stehen. Die Transferzeit ist vorbei, die Spieler sind in einer Gemeinschaft, im Team und im Verein, und haben die Pflicht, gut zu arbeiten und positive Ergebnisse zu liefern. Wenn sie das tun, werden auch andere Vereine wieder auf sie aufmerksam, und dann wird der nächste Schritt wieder möglich. Aber erst müssen sie performen.

Hat Sie die Kritik an Ihrer Person getroffen?

Es ist nie schön, in der Kritik zu stehen, aber in meiner Position muss ich damit leben, wenn Entwicklungen so sind, wie sie bei uns in den letzten Wochen waren. Ich stehe im Wind, ich trage die Verantwortung, und das immer mit dem Anspruch, es besser zu machen. Ich tue alles für diesen Verein, und natürlich möchte ich, dass die harte Arbeit mit Erfolgen belohnt wird. Wenn es nicht im Sinne des Vereins funktioniert, leide ich selbst wie ein Hund. Aber ich darf mich in meiner Arbeit nicht von Emotionen oder öffentlicher Kritik beeinflussen lassen, sondern muss mich aufs Wesentliche konzentrieren.

War es eigentlich schwieriger, sich von Achim Beierlorzer zu trennen oder die Nachfolge zu regeln?

Ersteres. Sich vom Cheftrainer zu trennen, mit dem man bis dahin jeden Tag vertrauensvolle Gespräche geführt und die Zukunft geplant hat, ist immer wie eine Niederlage, die einen beschäftigt. Dennoch muss man rational bleiben.

War eine Rückkehr von Sandro Schwarz ein Thema?

Nein.

Apropos Rückkehr: Ádám Szalai ist wieder bei der Mannschaft. Das verstärkt die Zweifel daran, dass für seine Suspendierung sportliche Gründe ausschlaggebend gewesen seien…

Erst mal geht es um eine Rückkehr ins Training. Wir hatten eindreiviertel Wochen vor Transferschluss eine Bewertung aus dem Kader heraus vorgenommen. Das Thema ist medial total aufgeploppt, wir wissen ja alle, was dann passiert ist. Aber wir mussten uns auch die Frage nach der arbeitsgerichtlichen Thematik stellen, und wir wollen keine juristische Auseinandersetzung. Er hat einen Vertrag und keinen neuen Verein, also haben wir uns zusammengesetzt, miteinander über die einzelnen Punkte gesprochen. Auch Jan-Moritz hat mit ihm ein klares Gespräch geführt und ihm gesagt, was er von ihm erwartet. Am Ende dieser Gespräche steht Ádáms Rückkehr ins Training, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth.

 

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