Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 03.10.2020

So reicht es nicht

In Abwehr und Angriff zweikampfschwach, dazu Probleme in Ballannahme und Passpiel: Viel mehr Probleme, als der FSV Mainz 05 beim 0:4 bei Union Berlin offenbarte, sind kaum vorstellbar.
Jan-Moritz Lichte (r.) und Kotrainer Michael Falkenmayer versuchten vergeblich, Einfluss auf das Spiel ihrer Mannschaft zu nehmen.
Jan-Moritz Lichte (r.) und Kotrainer Michael Falkenmayer versuchten vergeblich, Einfluss auf das Spiel ihrer Mannschaft zu nehmen. | René Vigneron

Berlin. Das Spiel hatte Jan-Moritz Lichte mit seiner Mannschaft verloren, den Humor offenbar noch nicht. Er möge doch mal drei Punkte nennen, an denen es zu arbeiten gelte, bat ein Journalist den neuen Cheftrainer des FSV Mainz 05 nach der 0:4-Niederlage bei Union Berlin. Lichte ging in seiner Antwort auf die Fähigkeit in der Offensive ein, auch unter Druck technisch sauber zu bleiben, und auf die Notwendigkeit, defensiv in die Zweikämpfe zu kommen und sie zu gewinnen. Dann sagte er: „Das wären zwei Punkte. Und den dritten muss ich mir noch überlegen.“

Wahrscheinlich muss er das nicht. Was Lichte aufgeführt hatte, waren exakt die beiden Mankos, derentwegen die Rheinhessen am Freitagabend auch in ihrem ersten Bundesligaspiel nach Achim Beierlorzers Entlassung leer ausgingen und erneut einen debakulösen Eindruck hinterließen. Die Hoffnung, mit dem unter anderem durch den Spielerstreik vor anderthalb Wochen herbeigeführten Trainerwechsel werde die Mannschaft ein anderes Bild abgeben als in Leipzig und gegen den VfB Stuttgart, war einer „brutalen Enttäuschung“ (Sportvorstand Rouven Schröder) gewichen. Und der Erkenntnis: „Wir schaffen es im Moment nicht, besser zu sein als Mannschaften wie Union“, wie Robin Zentner, der einzige überzeugende 05er, eingestand.

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Zentners klare Analyse

Die Analyse des Torwarts fiel so klar und kompromisslos aus, wie man sich zuvor das Spiel seiner Kollegen gewünscht hätte. „Wir waren die schlechtere Mannschaft“, hielt er fest. „Die Gegentore haben wir sehr schlecht verteidigt, beziehungsweise nicht verteidigt. Im Aufbau und in Kontersituationen waren wir unsauber, der erste Kontakt war meistens schlecht, und somit konnten wir uns keine Chancen herausspielen.“ Solche Tage, an denen nach vorne nichts zusammenläuft, gibt es. Aber wenn, „dann müssen wir hinten so gut stehen, dass die Gegner sich an uns die Zähne ausbeißen wie wir an ihnen“.

Davon konnte lediglich in den ersten zwölf Minuten die Rede sein. So lange stand die 05-Defensive stabil und ließ nicht mehr als einen uninspirierten Distanzschuss zu. Länger aber auch nicht. Mit einem Doppelpass ließen Robert Andrich und Sherando Becker den Mainzer Linksverteidiger Daniel Brosinski ins Leere laufen, Beckers Flanke verwertete am zweiten Pfosten Union-Debütant Max Kruse. „Mit dem 0:1 haben wir gemerkt, dass das, was man sich vornimmt, relativ schnell verlorengehen kann“, sagte Jan-Moritz Lichte. Fortan habe seine Mannschaft die entscheidenden Momente im Sechzehner nicht mehr für sich entscheiden können. „Deshalb ist die Niederlage leider auch in der Höhe verdient.“

Keine 100-prozentige Bereitschaft

Wobei das Problem beim 2:0 schon etwas früher begann, erneut auf der linken Abwehrseite und diesmal durch Brosinskis Passivität verursacht. Der Routinier ließ Christopher Trimmel auf dem Flügel viele Meter machen, ohne ihm entgegenzugehen. Ungeachtet dieser Nachlässigkeit hätte auch noch die Möglichkeit bestanden, Marcus Ingvartsen an der Direktabnahme zu hindern. „Wir haben über Flanken und Zuordnung gesprochen“, kommentierte Lichte später auch diese Szene aus der 49. Minute, „trotzdem kommen die Berliner frei an den Ball. Weil wir in den entscheidenden Momenten neben dem Gegner stehen statt beim Gegner und nicht in der nötigen Geschwindigkeit mitgehen.“

Das galt in gewisser Weise auch fürs 0:3, das Marvin Friedrich nach einem Freistoß und ewig langen Anlauf per Kopf erzielte. „Standards sind immer Sondersituationen“, relativierte Lichte, beim vierten Gegentreffer jedoch hätte Alexander Hack den nach dem Ball stochernden Joel Pohjanpalo energischer stören müssen. Robin Zentners Kritik galt daher auch für den Innenverteidiger: „Wir sind einfach nicht da, wir sind in der Aktion nicht zu 100 Prozent bereit, mit allem, was wir haben, zu verteidigen.“

Arbeit, Selbstkritik, Verstärkungen

Aus der Misere herauskommen könne man nur mit harter Arbeit und Selbstkritik, sagte sein Trainer in einem Interview mit dem ARD-Hörfunk. „Wir müssen uns hinterfragen, ob wir mit der Qualität, die wir haben, mit den Zweikämpfen, die wir führen, im Moment berechtigt sind, in der Bundesliga zu spielen.“ Eine Frage, die sich Offensiv- wie Defensivspieler stellen müssen, die Antwort liegt auf der Hand: So, wie die 05er in den ersten drei Partien aufgetreten sind, wird es nicht reichen.

Für seine Angreifer gehe es beispielsweise darum, mit physisch starken Kontrahenten klarzukommen. „Wir wussten, dass Union eine sehr starke Dreierreihe hat, aber man muss sich dagegen durchsetzen, man muss auch unter Druck technisch sauber bleiben und die Angriffsoptionen sauber zu Ende spielen, um im nächsten Schritt gefährlich zu werden.“ Hinten gehe es darum, auf gegnerische Angriffsreihen den Stress auszuüben, den die Berliner auf seine Stürmer ausgeübt hatten. „Union kann da Vorbild für uns sein.“

Und vielleicht gibt es aber doch den dritten Punkt, über den Jan-Moritz Lichte noch nachdenken wollte. Der da heißt: Neuzugänge. Spätestens nach Ridle Bakus Wechsel zum VfL Wolfsburg ist Rouven Schröder gefordert, Verstärkungen für die Außenverteidigerpositionen an Land zu ziehen. Selbst wenn sie am Bruchweg davon ausgehen dürfen, dass Phillipp Mwenes schwächste Leistung im 05-Trikot ein Ausrutscher bleibt, braucht Lichte eine Alternative für hinten rechts. Links ist Brosinski entweder außer Form oder überfordert, und dass der schon seit mehr als einem Jahr abwanderungswillige und im Dauertief befindliche Spanier Aarón wieder zu alter Stärke findet, ist derzeit vielleicht eine Hoffnung. Mehr aber auch nicht.

 

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