Peter H. Eisenhuth | 02.04.2020

Das ideale Wartezimmer

Harry Letzelter, der Sportliche Leiter des USC Mainz, und seine Frau Roswitha, sitzen derzeit in Neuseeland fest. Immerhin in privilegierter Wohnlage. Und in Cambridge, der „Heimat der Champions“.
In das den Sportheroen aus Cambridge gewidmete Museum kommt Harry Letzelter wegen des Lockdowns ins Neuseeland nicht hinein. Grund zur Klage hat er dennoch nicht.
In das den Sportheroen aus Cambridge gewidmete Museum kommt Harry Letzelter wegen des Lockdowns ins Neuseeland nicht hinein. Grund zur Klage hat er dennoch nicht. | privat

Cambridge/Mainz. Mehr als 10.000 deutsche Urlauber halten sich derzeit in Neuseeland auf, ohne zu wissen, wann sie die Heimreise antreten können. Zwei von ihnen sind Harry und Roswitha Letzelter – und nicht jeder der festsitzenden Touristen ist so entspannt wie der Sportliche Leiter der USC Mainz und seine Frau.

Sicher, „morgens geht der erste Blick aufs Handy, um zu sehen, ob es eine Nachricht zur Rückholaktion gibt“, erzählt Letzelter im Telefonat mit SPORTAUSMAINZ.de. Wobei er ahnt, dass er noch etliche Male vergebens nachschauen wird. Seit die neuseeländische Regierung dem Flugverkehr wegen beinahe chaotischer Zustände an den Flughäfen einen Riegel vorgeschoben hat, sind die Gespräche zwischen Wellington und dem Auswärtigen Amt in Berlin über den Einsatz von Sondermaschinen noch nicht so weit gediehen, dass die Urlauber sich einen Termin für den Heimflug notieren könnten.

„Wir sind privilegiert“, sagt Harry Letzelter, „nicht, weil wir besonders schlau waren, sondern weil wir Glück hatten.“ Weil sie auf den letzten Drücker vor dem Lockdown, wenige Tage vor dem eigentlich anvisierten Urlaubsende, am Dienstag voriger Woche ein Haus in Cambridge mieteten, einem rund 15.000 Einwohner großen Städtchen auf der Nordinsel – kein Vergleich zu jenen Backpackern, die andernorts in überfüllten Hostels, häufig auch in (Zwangs-)Quarantäne ausharren müssen.

Spaziergänge am Waikato River

Für insgesamt drei Wochen hätten sie die Unterkunft gemietet, und umgerechnet 80 Euro pro Tag seien geradezu ein Schnäppchen für die sehr geräumige Unterkunft. „Das Haus verfügt über drei Schlafzimmer“, sagt Letzelter, „es könnten also noch vier Leute kommen…“ Kleiner Scherz am Rande, schließlich sind nicht nur die Flughäfen dicht, sondern die öffentlichen Verkehrsmittel nur jenen Personen zugänglich, die in systemrelevanten Berufen arbeiten oder (irgendwann) eine Rückflugbescheinigung vorlegen können.

Auch in der Beziehung befinden sich die Letzelters nicht nur klimatisch auf der Sonnenseite: Vor dem Haus steht ein Mietwagen, „den wir inzwischen gar nicht mehr leihen können“. Nutzen dürfen die beiden das Auto zwar nur noch einmal, für die rund anderthalbstündige Fahrt zum Auckland Airport, wenn es denn so weit ist. Volle Busse und Bahnen aber bleiben ihnen damit erspart.

Wenn ein Urlaub 18.000 Kilometer von zu Hause entfernt schon so endet, ist Cambrigde für Harry Letzelter aus mehreren Gründen der ideale Platz, um die Wartezeit zu überbrücken. Den Ort im Stil US-amerikanischer Vorstädte durchquert der Waikato River, an dessen Ufern ausgedehnte Spaziergänge möglich sind. „Das ist nicht nur erlaubt, sofern man nur zu zweit unterwegs ist, sondern von der Regierung ausdrücklich erwünscht“, berichtet Letzelter, dem das Auftreten der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern imponiert.

Weltmeister und Olympiasieger

„Sie hat übers Fernsehen einen Vierstufenplan verkündet, der ganz klar festlegte, an welchem Tag welche zusätzlichen Einschränkungen in Kraft treten“, erzählt er. „Das Programm ist zunächst auf vier Wochen angelegt, jeden Tag geben sie und der Gesundheitsminister ein Update. Jeder weiß, dass die Restriktionen verlängert werden, wenn sich abzeichnet, dass vier Wochen nicht ausreichen, um das Virus einzudämmen. Aber anders als in Deutschland wird hier nicht schon wieder über Lockerungen diskutiert, sondern die Leute sehen ein, dass das Vorgehen richtig ist und halten sich an die Vorgaben.“

So strikt, dass es in Cambridge kein Problem darstelle, auf der Straße den Mindestabstand von anderthalb bis zwei Metern auf fünf Meter zu vergrößern. „Man sieht in der Stadt ja kaum jemanden. Und im Supermarkt verhalten sich alle sehr diszipliniert.“

Was dem langjährigen Cheftrainer des USC Mainz ebenfalls gefällt: „Cambridge ist die Heimat der Champions.“ Ruderer (Rob Waddell, Georgina und Caroline Evers-Swindell), Reiter (Mark Todd) und Radsportlerinnen (Sarah Ulmer) bescherten der Kleinstadt diverse WM-Titel und Olympiasiege. Welchen Stellenwert der Sport dort spiele, belegten schon die großen Sportanlagen, auch an Schulen. Pech: Das Museum, in dem Letztelter sich gerne näher mit den Heroen beschäftigt hätte, hat seine Türen derzeit selbstverständlich geschlossen. Allenfalls bleibt ein Ausflug zum Lake Karapiro, auf dem 2010 der Deutschland-Achter Weltmeister wurde.

 

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