Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 06.12.2017

Die letzte Idee war die beste

Zum Rücktritt von Johannes Kaluza. Ein Kommentar von Peter H. Eisenhuth.
Im Juni setzte Johannes Kaluza (r.) sich gegen Jürgen Doetz (M.) und Frank Röhr durch. Beide schließen eine erneute Kandidatur nicht aus.
Im Juni setzte Johannes Kaluza (r.) sich gegen Jürgen Doetz (M.) und Frank Röhr durch. Beide schließen eine erneute Kandidatur nicht aus. | Eva Willwacher

                                           „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen

                                                            den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

 

Angetreten war er als „der Mann mit den frischen Ideen“. Gegen den Kommerz im Fußball wetterte er, ein regelmäßiges öffentliches Mitmachtraining des Profikaders propagierte er, das Fernsehgeld wollte er nach einem neuen Schlüssel verteilen, die Fußballkultur retten. Diese Programmpunkte, gepaart mit ein paar markigen und ein paar semiwitzigen Sprüchen, mit dem Verzicht auf eine Positionierung zum Thema Pyrotechnik und mit der Ankündigung, sein Ehrenamt unentgeltlich auszuüben, sicherten Johannes Kaluza Ende Juni die Wahl zum Vereins- und Vorstandsvorsitzenden des FSV Mainz 05.

Knapp fünfeinhalb Monate später ist er am Mittwoch zurückgetreten. Man könnte sagen, seine letzte Idee sei seine beste gewesen.

Kaluza hatte geglaubt, die Vita als erfolgreicher Unternehmer werde ihm helfen, einen Verein zu führen, dessen Jahresumsatz bei 110 Millionen Euro liegt, der aber gleichzeitig darum kämpfen muss, seine Seele und damit die Fans nicht zu verlieren. „Wer Busfahrer werden will, muss auch einen Führerschein haben“, lautete einer der Sätze aus seiner Bewerbungsrede. Das stimmt zwar. Aber ein Führerschein feit den Fahrer nicht zwingend davor, den Bus an die Wand zu setzen.

Nur kurz die eigene Welt verlassen

Die Führungskräfte des Vereins, denen nach Kaluzas Stichwahlsieg über Jürgen Doetz der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand, hofften, der neue Mann an der Spitze werde sich mit der Zeit einnorden lassen. Sie hofften, wenn Kaluza erst einmal mit dem realen Leben und den Abläufen innerhalb des Vereins und der Verbände vertraut sei, werde er etwas zurückhaltender auftreten.

Beide Seiten haben sich getäuscht.

Der neue Vorsitzende sei nicht nur beratungsresistent, sondern höre selbst dann nicht richtig zu, wenn er sich komplexere Zusammenhänge erklären lassen wolle. „Nach wenigen Minuten weiß er schon, wie’s geht“, sagte vor einigen Wochen ein leicht resignierter Mitarbeiter.

Kaluza hingegen versicherte selbst dann noch, die Zusammenarbeit mit Sportvorstand Rouven Schröder und den vier Geschäftsführern verlaufe problemlos, nachdem ebendieses Quintett ihn zum Rücktritt aufgefordert hatte. Druck durch den Aufsichtsrat stecke dahinter, sagte der Vorsitzende, der auf die Breitseite jedoch reagierte, indem er ankündigte, den Weg für Neuwahlen freizumachen. Es war einer der seltenen Momente, in denen Kaluza, im persönlichen Gespräch im Übrigen ausgesprochen nett, humorvoll und im Gegensatz zu seinem Vorgänger kritikfähig, die eigene Wahrnehmungswelt verließ, die er seit seiner Wahl bewohnt hatte.

Was hängenblieb: Er will absahnen

Dass Johannes Kaluza noch bei der jüngsten Mitgliederversammlung mit Sätzen wie „Mainz 05 ist arm, aber sexy“ zu punkten versuchte, war im Prinzip nicht mehr als die logische Fortsetzung dessen, was er vor seiner Wahl gesagt hatte. Der wesentliche Unterschied: Jetzt jubelte ihm niemand mehr zu. Selbst die Ultras, die im Juni maßgeblich zum Sieg des Quereinsteigers beigetragen und ihn anschließend mit Fangesängen gefeiert hatten, blickten jetzt drein, als habe ihnen jemand qualmende Brandfackeln in die Nase gesteckt.

Obendrein sprach der Vorsitzende auch noch ohne Not und entgegen vieler guter Ratschläge das Thema „Aufwandsentschädigung“ an. Er, der drei Monate vorher mit dem Argument für sich geworben hatte, kein Geld zu wollen, brachte plötzlich nicht nur einen Verdienstausfall, sondern auch einen Dienstwagen ins Gespräch. Dass er dies nicht für sich beanspruchte, sondern lediglich über die Zeit nach sich reden wollte und dass er dabei nur die Ideen des Vereinsjuristen auflistete, ging im allgemeinen Grummeln unter.

Man könnte Kaluzas Exkurs als taktisch ungeschickt bezeichnen. Oder als große Dummheit. Was hängenblieb war: Der Strutz-Nachfolger will jetzt doch absahnen. Und: Die 3000 Euro, die ihm der Aufsichtsrat als pauschale Aufwandsentschädigung zusprach, seien ihm zu wenig. Da mochte er noch so sehr beteuern, dass er niemals eine wie auch immer geartete Summe genannt hatte.

Prozedere wirft Fragen auf

Seit Mittwoch spielt all dies keine Rolle mehr. Johannes Kaluza ist zurückgetreten, der Mann mit der roten Hose macht im Interesse des Vereins den Weg frei für einen Neuanfang. Den zweiten binnen kurzer Zeit.

Am 21. Januar soll ein Nachfolger an die Spitze des Vereins und des bis dahin wohl aus zwei Hauptamtlichen bestehenden Vorstands gewählt werden. Das Prozedere wirft noch einige Fragen auf. Zum Beispiel, ob auch der künftige Vorsitzende die Höhe seiner Aufwandsentschädigung im Nachhinein vom Aufsichtsrat erfährt (was dazu führen könnte, dass sich nur Rentner oder finanziell abgesicherte Interessenten zur Wahl stellen). Zum Beispiel aber auch, was geschieht, wenn der von einer Gruppe von Mitgliedern angekündigte Antrag zu einer Satzungsänderung, keinen ehren-, sondern einen hauptamtlichen Vorsitzenden zu wählen, eine Mehrheit finden sollte? Dann müsste konsequenterweise das Bewerbungsverfahren neu eröffnet werden.

Kaluzas im Juni unterlegene Kontrahenten schließen eine erneute Kandidatur nicht aus, wollen aber auch nichts forcieren. „Ich habe mir das Amt vor sechs Monaten zugetraut, seither ist nichts passiert, weswegen ich es mir nicht mehr zutrauen sollte“, sagt Jürgen Doetz, der langjährige Vizepräsident unter Harald Strutz, der in der Stichwahl wohl auch daran gescheitert war, dass er als „Kandidat des Establishments“ galt.

Erst mal geht's um Sport

Jetzt aber gelte zunächst einmal die Rücksichtnahme auf Rouven Schröder, Trainer Sandro Schwarz und die Mannschaft, um die nicht ganz einfache sportliche Situation und die noch vier Pflichtspiele in diesem Jahr vernünftig zu überstehen. „Sollte ich im Laufe der nächsten Wochen zu dem Ergebnis komme, dass ich antrete, wird das noch früh genug sein.“ Die Bewerbungsfrist endet an Heiligabend. Ganz sicher aber werde er vor einer möglichen Kandidatur Gespräche mit dem Aufsichtsrat führen. „Das Wichtigste“, sagt Doetz, „ist der Verein. Das muss jeder bedenken, der sich Überlegungen für eine Kandidatur macht.“

So sieht es auch Frank Röhr, damals im ersten Wahlgang ausgeschieden. Er sei froh, „dass dieses Kapitel rum ist“, kommentiert er den Kaluza-Rücktritt. „Überspitzt gesagt, ist das heute ein großer Tag für Mainz 05.“ Ob der 21. Januar 2018 zum großen Tag für ihn selbst werden soll? „Es geht nicht um Personen, sondern um Mainz 05. Das ist jetzt eine ganz andere Situation als im Sommer. Bevor ich mich entscheide, werde ich mich mit den Verantwortlichen unterhalten. Und am Ende werde ich eine Entscheidung mittragen, von der ich glaube, dass sie die richtige ist für den Verein.“

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