Peter H. Eisenhuth | 03.03.14

"Stab kann jeder – wenn man's kann"

Nach dem überraschenden Ausstieg von Balian Buschbaum im Frühjahr vorigen Jahres war die Stelle des Stabhochsprung-Stützpunkttrainers beim USC Mainz lange vakant. Gegen Ende des Jahres verpflichtete Abteilungsleiter Stephan Kallenberg dann die einstige Weltklasseathletin Anastasija Reiberger. Mit SPORT AUS MAINZ sprach die 36-Jährige über ihre Entscheidung für den USC und die Arbeit, die hier auf sie zukommt.
Noch ist die Zahl der Athleten, mit denen Anastasija Reiberger (l., mit Lisa Deubel und Christian Kallenberg) beim USC Mainz arbeitet, überschaubar. Aber das soll sich ändern.
Noch ist die Zahl der Athleten, mit denen Anastasija Reiberger (l., mit Lisa Deubel und Christian Kallenberg) beim USC Mainz arbeitet, überschaubar. Aber das soll sich ändern. | Eva Willwacher

Frau Reiberger, seit Dezember sind Sie Stabhochsprung-Stützpunkttrainerin beim USC Mainz. Wann haben Sie vom Interesse des Vereins gehört?

Ich habe das irgendwann über den Deutschen Leichtathletik-Verband erfahren, dass in Mainz ein neuer Trainer gesucht wird. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Balian Buschbaum schon seit dem Frühjahr weg war, dass jemand Neues gebraucht wird für den Olympiastützpunkt. Aber die näheren Umstände kannte ich nicht.

Das heißt, Sie wussten auch nicht, dass momentan in Mainz eigentlich keine Stabhochspringer mehr sind?

Das wusste ich nicht. Für mich war Mainz mit erfolgreichem Stabhochsprung verbunden. Ich dachte mir: Balian ist weg, okay, aber ich übernehme die Athleten und die Strukturen, die der Verein über die Jahre hinweg aufgebaut hat.

Und jetzt stehen Sie hier wie ein König ohne Land…

So etwa. Aber das Ziel von USC-Abteilungsleiter Stephan Kallenberg war es ja, zunächst einmal den Stützpunkt zu sichern, also einen Trainer zu verpflichten, der dann etwas Neues aufbauen soll. Meine Situation im Herbst vorigen Jahres sah so aus, dass ich im Odenwald gewohnt habe und immer nach Frankfurt gefahren bin, wo ich als Landestrainerin arbeitete. Das war zwar nur eine Honorarstelle, aber es war für mich in Ordnung. Irgendwann war ich dann aber auf eine feste Stelle angewiesen, und es war klar, dass es die in Frankfurt nicht geben würde. Als dann die Anfrage aus Mainz kam, dachte ich: Toll. Mainz ist nicht so weit weg, und es ist eine Stabhochsprung-Hochburg.

Es ist ja auch noch nicht so lange her, dass es drei Athletinnen gab, von denen zwei, Caro Hingst und Anna Battke, auch international schon erfolgreich waren und die dritte, Katharina Bauer, vor ihrem Durchbruch stand.

Ja, Herbert Czingon hat damals hier als Trainer sehr, sehr gute Arbeit gemacht und den Stützpunkt weit nach vorne gebracht. Aber jetzt müssen wir mal schauen…

Wie sieht denn Ihre Arbeit aus? Mit wem arbeiten Sie?

Ich habe im Dezember hier angefangen, da lief die Vorbereitung auf die Hallensaison. Da konnten wir nicht groß planen, wie es perspektivisch weitergehen soll. Bis jetzt habe ich hauptsächlich mit den USC-Mehrkämpfern gearbeitet. Und dann haben wir Stefanie Dauber, die nach einer Pause wieder eingestiegen ist, und Lena Deubel, die jetzt in Mainz studiert. Es gibt eine Schülergruppe, von der ich aus den Ergebnislisten wusste, dass diese Jungs sehr gut sind. Trainer dieser Gruppe war bis jetzt Alex Bohr – er hat früher bei meinem Papa trainiert, insofern sind unsere Trainingsvorstellungen die gleichen. Das ist schon mal sehr gut.

Es sind also zumindest schon mal Athleten da, mit denen sie arbeiten können.

Genau, und die nächste Aufgabe ist es, eine Mädchengruppe aufzubauen. Es gibt schon fünf, sechs Mädchen um die 14, die in den vergangenen Jahren mal ein bisschen in den Stabhochsprung reingeschnuppert haben und sich jetzt spezialisieren wollen.

Wann und wie sind Sie damals zum Stabhochsprung gekommen?

Über meinen Papa. Der war ja auch mal Stabhochspringer, musste aber wegen einer Verletzung früh seine Karriere beenden. Ich habe dann mit 16 Jahren angefangen…

…so spät?

Vorher gab es diese Disziplin für Frauen ja noch gar nicht. Ich habe zu den ersten Stabhochspringerinnen gehört, mit Athletinnen wie Christina Adams, mit Nicole Humbert, mit Andrea Müller, die in Zweibrücken meine Trainingskameradin war. Die sind drei, vier Jahre älter als ich. Aufgehört habe ich 2009 mit 31 Jahren, und für damalige Verhältnisse war das ziemlich alt. Jetzt ist es überhaupt nichts mehr Besonderes, mit 31, 32 noch zu springen. Bei mir war es so, dass die Nächstälteren in Deutschland drei Jahre jünger waren, Carolin Hingst beispielsweise. Weltweit sah es ähnlich aus. Und genauso alt habe ich mich auch gefühlt.

Und heutzutage hat Caro Hingst schon angekündigt, bis zu den Olympischen Spielen 2016 weitermachen zu wollen…

Ja, und das zu recht. Sie hat ja auch im vorigen Sommer wieder gezeigt, dass sie auch trotz gesundheitlicher Probleme immer wieder in der Lage ist, sich unter den besten deutschen Athletinnen zu behaupten.

Waren Sie selbst damals schon Leichtathletin, oder kamen Sie als Quereinsteigerin dazu?

Ich habe ein bisschen Leichtathletik gemacht, aber nix Besonderes. Ich bin 1,70 Meter hoch gesprungen, aber ich glaube, wenn mein Vater nicht mein Vater wäre, dann würden meine Schwester und ich in keiner Sportart irgendwas machen… Ich bin eigentlich komplett unsportlich. Für die Aufnahmeprüfung zum Sportstudium musste ich den ganzen Mist wochenlang üben. Beim Fußball bin ich durchgefallen – aber einmal durfte man ja.

Und trotzdem haben Sie sich dann für die anspruchsvollste leichtathletische Disziplin entschieden.

Ja, aber Stabhochsprung hat den Vorteil, dass man mit der Technik physische Nachteile ausgleichen kann. Stab können grundsätzlich alle springen: Große, Kleine, Dicke, Dünne. Beim Hochsprung zum Beispiel muss man lang und dünn sein, um erfolgreich zu sein. Beim Sprint und beim Langlauf muss man bestimmte Muskeln haben. Stab dagegen kann jeder.

Wenn man’s kann.

Wenn man’s kann. Zumindest gibt es keine körperlichen Begrenzungen.

Ist es schwer, junge Athletinnen und Athleten zu einer so komplexen Disziplin zu bekommen?

Überhaupt nicht. Meine Erfahrung ist: Die Kinder sind begeistert. Ich leite in Seligenstadt noch eine Trainingsgruppe mit zehn, zwölf Kindern. Das ist ziemlich chaotisch, aber die sind alle mit unglaublich viel Energie dabei. Und wenn sie dann mal in den Bereich von 3 Metern kommen, ist das für die Jungs und Mädels schon ein tolles Gefühl.

Das heißt, Sie fahren auch noch regelmäßig in den Odenwald?

Einmal die Woche bin ich dort. In Seligenstadt hatte ich meine erste Trainerstelle, und der Verein dort hat mich in allem immer toll unterstützt. Deshalb will ich die Nachwuchsgruppe auch nicht aufgeben, ich habe ihnen versprochen, weiterzumachen. Und ich habe in Mainz ja auch nur eine halbe Stelle, von daher ist das auch kein zeitliches Problem.

Ansonsten spielt sich Ihr Job komplett in Mainz ab, oder sind Sie als Stützpunkttrainerin auch noch im Land unterwegs?

Wahrscheinlich wird es so sein, dass die Athleten zum Kadertraining nach Mainz kommen. So war es jedenfalls auch in Frankfurt mit den hessischen Kaderathleten. In der Pfalz war es überhaupt nicht üblich, zum Kadertraining irgendwohin zu fahren. Wer für einen Kaderplatz infrage kam, har sowieso entweder in Zweibrücken oder Ludwigshafen bei guten Trainer gearbeitet.

Wie alt ist ihr Vater?

Jahrgang 55. Warum?

Dann ist er noch zu jung für den Ruhestand.

Ach, Sie meinen, ich könnte sonst meine Schwester nach Mainz holen? Um Gottes willen… Das geht, glaube ich nicht.

Wie war es, vom eigenen Vater trainiert zu werden?

Ich kannte nichts anderes. Und letzten Endes, denke ich, war er der einzige, mit dem ich arbeiten konnte, auch wenn es nicht immer einfach war. Bei meiner Schwester und meinem Vater ist es viel einfacher, weil sie komplett unterschiedliche Typen sind. Mein Vater und ich dagegen sind komplett gleich, das hat dann schon mal zu Reibungen geführt. Aber woanders hätte ich nichts erreicht. Wenn du in einer Trainingsgruppe bist, in der die Kolleginnen schon beim Warmlaufen ein Tempo vorlegen, dass du nicht mehr hinterherkommst, oder wenn du beim Krafttraining nur 30 Prozent von dem machst, was die anderen schaffen, funktioniert das auf Dauer nicht. Meinem Vater ging es nicht darum, irgendetwas durchzuziehen, sondern ihm war es wichtig, dass es uns gutgeht.

Er war dann auch kein sehr strenger Trainer?

Nein, gar nicht.

Bei Wettkämpfen sah es manchmal so aus, wenn Sie bei ihm am Zaun standen…

Hahaha, das liegt wohl an meinem Temperament. Mein Freund hat mich letztens gefragt, was denn passiert sei, dass ich mich am Telefon so mit meiner Mutter streite. Dabei habe ich ihr nur den Weg nach Bretzenheim erklärt…

Welche Perspektive sehen Sie, talentierte Stabhochspringer nach Mainz zu holen?

Wir wollen schon einen Schwerpunkt auf Frauen-Stabhochsprung legen, aber wir wären nicht abgeneigt, auch männliche Kaderathleten in Mainz zu haben. Es gibt aber noch keine konkreten Namen, über die wir nachdenken. Bei den Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften waren viele talentierte Springerinnen am Start, die aber noch zu jung sind, um sie aus ihren Heimatvereinen wegzuholen. Am besten wäre es, Zeit zu haben, selbst mit eigenem Nachwichs etwas aufzubauen. In meiner Zeit als hessische Landestrainerin habe ich das erlebt. Es war ein langer, schwieriger Weg, aber die letzten Deutschen Meisterschaften waren für die HLV-Springer die ersten erfolgreichen Meisterschaften in den vergangenen zehn Jahren – und das, nachdem ich im Dezember abgetreten bin. Der erste Athlet, den ich jemals hatte, der bei mir mit 3,40 Meter angefangen hat, ist jetzt als 19-Jähriger erstmals 5 Meter gesprungen. Das war ein tolles Erlebnis. Aber wir haben auch lange gebraucht. Wie oft sind wir von Deutschen Meisterschaften ohne vernünftige Ergebnisse zurückgekommen, wenn wir überhaupt die Qualifikation geschafft hatten. Es wurde auch nicht einfacher dadurch, dass es ja nicht alles meine Athleten waren, sondern dass die meisten in ihren Heimatvereinen trainiert haben und nur einmal die Woche zum Kadertraining kamen.

Welche Schwerpunkte haben Sie dann gesetzt?

Ich habe irgendwann nur noch Techniktraining gemacht. Am Anfang hatte ich mehr Elemente dabei, aber letzten Endes sind die Jugendlichen ja nach Frankfurt gekommen, um zu springen, deshalb habe ich gesagt: Gut, dann springen wir eben zwei Stunden. Viel hängt natürlich von den Heimtrainern ab und der Arbeit, die sie mit den Jugendlichen machen.

Was waren für Sie die Höhepunkte Ihrer Karriere?

Der Hallen-Weltmeistertitel 1999, ganz klar. Und die Nominierung für die Olympischen Spiele in Peking 2000. Das war etwas ganz Besonderes, weil mein Körper mich limitiert hat. Ich hatte zwei Bandscheibenvorfälle, unten links und an der Halswirbelsäule rechts. Ich durfte eine ganze Weile den rechten Arm nicht mehr hochheben und das linke Bein nicht mehr belasten.

Gute Voraussetzungen für Stabhochsprung. Sie haben als persönliche Bestleitung 4,63 Meter stehen. Überrascht es Sie, dass Sie damit bei Deutschen Meisterschaften immer noch ganz vorne dabei wären?

Hm, nein, nicht unbedingt. Damals war ich mit meinem 4,50 Meter Weltmeisterin. Soo schlecht war ich also auch nicht… Es gibt heute viele Springerinnen, die 4,60 springen können, aber es gibt nicht so viele, die deutlich höher springen. Für die Hallen-WM an diesem Wochenende liegt die Norm bei 4,71 Meter – und erstaunlicherweise haben schon viele Springerinnen diese Höhe gemeistert.

Gleich nach Ihrem Wechsel zum USC sind Sie auch nach Mainz gezogen…

Für mich stand in dem Moment, in dem ich mit dem USC einig war, fest, dass wir nach Mainz ziehen würden. Die Fahrerei von Frankfurt aus wäre mit meiner Kleinen zu viel.

Haben Sie von der Stadt schon irgendwas gesehen?

Die Leichtathletikhalle an der Uni und Spielplätze. Ich war zwei-, dreimal in der Stadt, aber da musste es immer schnellgehen. Ich war noch nicht in der Altstadt, aber das werde ich alles noch nachholen.

Im 05-Stadion waren Sie auch noch nicht?

Im neuen nicht. Aber ich war 2008 am letzten Saisonspiel im alten Stadion, als es für die Mainzer um den Aufstieg ging, sie es aber nicht geschafft haben. Wir hatten die Karten, weil meine Schwester mit Neven Subotic zusammen war. Ich hatte eigentlich keine Lust und gesagt, ich nehme mir ein Buch mit…

Nein.

Doch.

Und, haben Sie gelesen?

Das hat der Neven mich hinterher auch gefragt. Nein. Das war eine unglaubliche Atmosphäre mit den 23.000 Menschen im Stadion, die Mainzer haben 5:1 gewonnen – und hinterher saßen wir da und haben geheult. Wenn du ein solches Drama miterlebst, verstehst du schon, warum sich so viele Menschen für Fußball interessieren.

Dramen spielen sich auch in anderen Sportarten ab.

Klar, aber dass da immer Zehntausende sitzen und mitfiebern, das gibt es zumindest in Deutschland nur im Fußball.

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