Peter H. Eisenhuth | 21.08.2021

Der Fluch der Wildcard

Bei den SiNN Mainz Open scheitert Livia Kraus im Achtelfinale trotz großen Einsatzes und zähen Widerstands an der topgesetzten Diana Marcinkevica. Von Form und Leistungsvermögen her wäre die Spielerin des TSC Mainz eine Halbfinalkandidatin gewesen.
Livia Kraus vergaß sich für ihren Einsatz zu belohnen.
Livia Kraus vergaß sich für ihren Einsatz zu belohnen. | Peter H. Eisenhuth
Diana Marcinkevica steht am Sonntagmorgen im Halbfinale.
Diana Marcinkevica steht am Sonntagmorgen im Halbfinale. | Peter H. Eisenhuth

Mainz. Wer sich am Freitag und Samstag am Ebersheimer Weg das eine oder andere Spiel der Damenkonkurrenz anschaute, kam kaum umhin, Livia Kraus als potenzielle Halbfinalistin einzustufen. Von Spielstärke und aktueller Verfassung her zählte die 22-Jährige vom TSC Mainz zu den stärksten Akteurinnen im Feld der sechsten SiNN Mainz Open, und wahrscheinlich hätte sie gegen die allermeisten Gegnerinnen die zweite Runde überstanden. Die Auslosung aber meinte es nicht gut mit ihr.

Denn nach ihrem Erstrundensieg am Freitagnachmittag (→ Fast alle Mainzer kommen durch) traf Kraus am Samstagmorgen auf Topfavoritin Diana Marcinkevica, die Nummer 17 der deutschen Rangliste. Und diese Rangliste ist momentan das größte Problem der Mainzerin. Da sie in den vergangenen Jahren in den USA studierte und außer einigen Medenrundenspielen in Deutschland keine Turniere bestritt, sackte sie im nationalen Ranking in die tiefen 400er ab.

Mehr von sich erwartet

Ihre Qualitäten spiegelt diese Platzierung in keinster Weise wider. Sie führt jedoch dazu, dass Kraus, die mit ihrer Schwester Sinja vor wenigen Wochen österreichische Meisterin im Doppel geworden war und im September mit dem UTC Ried in der Endrunde um die Mannschaftsmeisterschaft ihres Heimatlandes steht, zu deutschen A-2- oder A-3-Turnieren nur per Wildcard Zutritt erhält. Was wiederum zur Folge hat, dass in der Regel spätestens im zweiten Match eine der stärksten Kontrahentinnen wartet.

Gleichwohl war die einzige Lokalmatadorin, die im 32er-Feld stand, gegen Marcinkevica nicht chancenlos. Das zu wissen, machte die 2:6, 4:6-Niederlage noch ärgerlicher. „Ich habe mehr von mir erwartet“, sagte Kraus kurz danach. „Aber ich hatte vor allem im ersten Satz überhaupt keine Sicherheit. Und ich habe viel zu lange gebraucht, um herauszufinden, wie ich gegen sie spielen muss. Als ich es wusste, war es schon fast zu spät.“ Zumindest für den ersten Durchgang, in dem die Lettin rasch auf 3:0 davongezogen war. „Den Breakball habe ihr mit einem Doppelfehler geschenkt.“

Eigenes Break im zweiten Satz

Doch Kraus deutete an, dass sie über die Mittel verfügte, dem Match eine Wende zu geben. Gegen Marcinkevicas brillante Vorhandstopps blieb sie zwar fast immer machtlos, aber im fünften Spiel des ersten Satzes nahm sie erstmals das Tempo aus den Ballwechseln und setzte viele hohe Schläge an, um entweder im geeigneten Moment zur Attacke überzugehen oder zu warten, bis ihre Gegnerin die ungeduldig wird und die Kugel verschlägt. So arbeitete die Mainzerin sich auf 1:4 heran, im Anschluss gelang ihr ein Break nach einem Ball an die Grundlinie, den Marcinkevica Aus geben wollte, was sich aber nach Hinzurufen des Oberschiedsrichters als unhaltbar erwies.

Im zweiten Satz ließ Kraus die Favoritin nicht davonziehen. Stattdessen gelang ihr ein Break zum 2:1 nach einem schier endlosen Ballwechsel, den sie mit einer Vorhand die Linie entlang beendete. Dass sie diesen Schlag noch mit einem lauten „Yeeahhh“ begleiten konnte, war angesichts der allein für diesen Punkt erforderlichen Laufleistung erstaunlich. Doch die 22-Jährige wehrte sich mit einen unglaublichen Zähigkeit, um eine Niederlage abzuwenden; sie legte während der beiden Sätze wahrscheinlich mehr Kilometer zurück als mancher Jogger am Mainzer Rheinufer.

Lohnt sich die Lauferei?

„Aber die Lauferei war so anstrengend“, sagte sie später. Betonung auf so. „Und manchmal habe ich mich gefragt, wofür ich eigentlich laufe.“ Der Grund für diese Zweifel lag auf der Hand. So zäh die zierliche Spielerin auch kämpfte, so sehr sie Marcinkevica damit auch zusetzte, versäumte sie es doch in zu vielen Situationen, sich dafür zu belohnen. Auf überragend herausgespielte Punkte folgte schon mal ein billig verschlagener Ball, ihrem Break im zweiten Satz folgte prompt ein Aufschlagsverlust und ein zu null abgegebenes Spiel bei gegnerischem Service.

„Ich weiß nicht, was da los war“, zeigte sich Livia Kraus hinterher ratlos. „Aber nicht nur in diesem einem Spiel. Schlimmer war, dass ich zu viele Chancen nicht genutzt habe. Sonst hätte es statt 4:5 nämlich 5:4 geheißen – und das ist nicht nur ein Zwischenstand, sondern wirkt sich auch im Kopf aus.“

Matchball via Netzkante

Der Matchball wirkte, als wollte Diana Marcinkevica die Mainzerin noch ein bisschen verspotten: Bei Aufschlag Kraus und Stand von 4:5 und 30:40 setzte die Nummer eins eine Rückhand via Netzkante ins Feld – unerreichbar kurz für Livia Kraus.

Marcinkevica gewann am Nachmittag ihr Viertelfinalspiel gegen die an sieben gesetzte Bad Homburgerin Hannah Nagel mit 7:6, 6:1. Im Halbfinale trifft sie am Sonntag auf Laura Putz (TC Aschheim, die Nummer vier der Setzliste). Im zweiten Vorschlussrundenspiel stehen sich die Nummer zwei, Sarah Gronert (Eschborn), und die ungesetzte Alona Fomina (Doggenburg) gegenüber.

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