Regionalliga | Peter H. Eisenhuth | 05.06.2014

„Aufstieg kann zur Sucht werden“

Martin Schmidt, Trainer der 05-Amateure, über den Aufstieg in die Dritte Liga, die neue Herausforderung und seinen Förderer Thomas Tuchel.
So ist das halt, wenn man aufsteigt: Seine Spieler verpassten Martin Schmidt nach dem 3:1 gegen die TSG Neustrelitz diverse Bier- und Sonstwasduschen.
So ist das halt, wenn man aufsteigt: Seine Spieler verpassten Martin Schmidt nach dem 3:1 gegen die TSG Neustrelitz diverse Bier- und Sonstwasduschen. | Eva Willwacher
Stille Freude: Trainer Martin Schmidt und 05-Amateuremanager Manfred Lorenz nach dem Schlusspfiff im zweiten Aufstiegsspiel.
Stille Freude: Trainer Martin Schmidt und 05-Amateuremanager Manfred Lorenz nach dem Schlusspfiff im zweiten Aufstiegsspiel. | Eva Willwacher
In seinen Interviews betonte Martin Schmidt auch die Bedeutung Thomas Tuchels für den Erfolg der 05-Amateure.
In seinen Interviews betonte Martin Schmidt auch die Bedeutung Thomas Tuchels für den Erfolg der 05-Amateure. | Eva Willwacher
Engagiert und notfalls laut: Beim vorerst letzten Spiel als Regionalligist waren Martin Schmidts Anweisungen aber allenfalls in nächster Nähe zu verstehen - für mehr war es im mit 6099 Zuschauern gefüllten Bruchwegstadion zu laut.
Engagiert und notfalls laut: Beim vorerst letzten Spiel als Regionalligist waren Martin Schmidts Anweisungen aber allenfalls in nächster Nähe zu verstehen - für mehr war es im mit 6099 Zuschauern gefüllten Bruchwegstadion zu laut. | Eva Willwacher
Thomas Tuchels Ausstieg war für Martin Schmidt keine Überraschung. Das Fehlen des Cheftrainers in den ersten Wochen nach dem Abschied fand er dennoch schockierend.
Thomas Tuchels Ausstieg war für Martin Schmidt keine Überraschung. Das Fehlen des Cheftrainers in den ersten Wochen nach dem Abschied fand er dennoch schockierend. | Eva Willwacher

Mainz. Seit 2010 trainiert Martin Schmidt die Amateure des FSV Mainz 05. Zum Abschluss der Saison 2013/14 krönte er die Erfolgsserie, die das Regionalligateam in der Rückrunde des vorigen Jahres begonnen hatte, mit dem Aufstieg in die Dritte Liga – das 2:0 bei der TSG Neustrelitz und der anschließende 3:1-Heimsieg gegen den Nordost-Meister waren die herausragenden Ereignisse für Coach und Mannschaft.

SPORTAUSMAINZ.de sprach mit dem 47 Jahre alten Schweizer über diesen Triumph, die neue Herausforderung und seinen Förderer Thomas Tuchel.

Herr Schmidt, die Mannschaft ist nach dem Aufstieg nach Mallorca aufgebrochen. Wie und wo verbringen Sie Ihren Urlaub?

Dieses Jahr gibt es fast keinen Urlaub. Das haben wir uns selbst angetan. Für die Regionalliga wäre alles erledigt gewesen. Aber die Dritte Liga haben wir die ganze Zeit über extra von uns weggehalten. Sich zu viel damit zu befassen, hätte nur die Sinne verwirrt.

Sie haben nicht zweigleisig geplant?

Die Kaderplanung haben Manni Lorenz und ich so weit abgeschlossen, dass nur noch drei Spieler fehlen…

…für die Regionalliga?

Generell. Wenn wir in der Regionalliga geblieben wären, hätten wir diese Plätze mit Nachwuchsspielern besetzt, aber jetzt werden es Verstärkungen.

Verstärkungen von außen? Oder gibt es Überlegungen, mit dem einen oder anderen, dessen Vertrag ausläuft, zu verlängern?

Es können Spieler von außen sein, es kann sein, dass wir Verträge verlängern, aber es kann auch sein, dass die Profis noch Spieler holen, die dann bei uns eingesetzt würden. Die Profis werden sicher ihren Kader noch ein wenig aufrüsten, dann fallen unten auch wieder Leute weg. Möglicherweise müssen wir für bestimmte Positionen niemanden holen, weil wir die Spieler von oben bekommen.

Das heißt aber, Ihre Planungen verzögern sich, weil Sie warten müssen, was oben passiert?

Die Gespräche laufen schon, auch mit Christian Heidel. Es wird keine Verzögerungen geben. Wir hatten schon viele Namen auf der Liste, die wir angehen wollten, wenn es die Dritte Liga würde – und die gehen wir jetzt an. Wir werden einen Kader von 21 plus 3 bereitstellen, für die Dritte Liga brauchst du das. Und wenn dann einer von oben dazukommt, sind es halt 22. Dritte Liga ist was anderes als Regionalliga, wo ich den Frühling mit 15, 16 Spielern durchgezogen haben. Das geht nach dem Aufstieg so nicht mehr.

Das klingt, als könne sich das Gefühl, etwas geschafft zu haben, gar nicht richtig entfalten. Es hört sich eher an nach: „Wir müssen jetzt noch bisschen mehr schaffen…“

Ja, das habe ich am Sonntag in der Pressekonferenz nach dem Spiel auch ziemlich ernstgemeint, als ich sagte, die Spieler wüssten noch gar nicht, was wir uns mit dem Aufstieg angetan haben. Ich glaube, das geht jetzt erst los, das sind ganz viele Kleinigkeiten. Zum Bespiel die Spielanalyse: Dafür ist Peter Perchtold bisher nach Homburg, Frankfurt oder Koblenz gefahren. Und jetzt? Wiesbaden ist schön, aber ansonsten musst du durch ganz Deutschland reisen, alleine sechs-, siebenmal in den Osten. Das sind Dinge, die sich auf einmal brutal verändern. Das gilt auch für die Auswärtsreisen. Klar, es überwiegt noch die Freude über das, was wir geschafft haben und wie wir es geschafft haben, mit der Vollendung am Sonntag. Aber jetzt beginnt es schon wieder zu rattern, wie wir nächste Saison in der höheren Liga bestehen können.

Können Sie denn in den drei Wochen Pause bis zum Trainingsauftakt  einigermaßen entspannen?

Ich habe nächste Woche in der Schweiz meine mündlichen Abschlussprüfungen für die Uefa-Pro-Lizenz, die nächsten Tage muss ich dafür investieren. Ich muss im Zuge meiner verschiedenen Praktika drei Referate halten. Dienstag sind die Prüfungen, und dann sind es nur noch zehn Tage, bis es hier wieder losgeht. Es bleibt eigentlich bei Arbeit; das einzige, was sich ändert, ist das Umfeld, wenn ich in den Bergen bin, das ist sicher auch ein bisschen Erholung.

Schauen wir nochmal zurück. Wie haben Sie am Sonntagnachmittag den Schlusspfiff empfunden. Was ging ihnen in diesem Moment durch den Kopf?

Was ging mir durch den Kopf: Es waren unglaubliche Momente, ich konnte das gar nicht richtig wahrnehmen. Bis morgens um drei habe ich mir im Internet noch einmal das gesamte Spiel angeschaut, mit allen Interviews danach, und da fielen mir dann Dinge auf, die ich gar nicht wusste, die ich während des Spiels gar nicht mitbekommen hatte. Die Spieler hatten mir erzählt: „Ey, wenn wir ein Tor geschossen haben, was war das für ein Lärm im Stadion, das sind wir gar nicht gewohnt.“ Auch die volle Tribüne hintendran, die Jubelszenen, das war bei mir alles untergegangen. Ich war irgendwo weg in Gedanken. Das war ein Mix aus Freude, Ehre, Wertschätzung. Wir haben Aufmerksamkeit bekommen, die wir so nicht gewohnt sind. Dann bedankst du dich bei den Schiris und bei der anderen Mannschaft, da prasseln so viele Dinge auf dich ein… Ich habe nachts gesehen, dass ich über den Platz gelaufen bin  und jeden Gegner abgeklatscht habe – das war mir überhaupt nicht mehr bewusst. Ich glaube, da passiert etwas im Kopf, worauf du dich lange freust, und dann gibt es eine Explosion. Das war schon ein unglaubliches Gefühl. Vor allem hast du damit eine ganze Meisterschaft gekrönt, die ja auch in die andere Richtung hätte gehen können. Ich muss sagen: Aufsteigen ist schon geil. Das kann zur Sucht werden.

Für Sie war es nicht der erste Aufstieg.

Nein, der dritte in sechs Jahren. Aber ich erlebe das jedesmal neu, es ist jedesmal anders. Das erste Mal war es bei meiner ersten Trainerstelle in meinem Heimteam, dem FC Raron, mit dem ich auch von der Vierten in die höchste Amateurliga aufgestiegen bin – für das Dorf war das damals, 2008,  eine große Geschichte. Nach dem Aufstieg bin dann zum FC Thun und dort 2010 mit der U21 ebenfalls in die Dritte Liga aufgestiegen. Das war allerdings eine Meisterschaft, die fünf, sechs Spieltage vor Schluss entschieden war, da zogen sich die Feierlichkeiten über einen längeren Zeitraum. Dieser dritte Aufstieg jetzt mit Mainz 05 in eine Profiliga war das wahnsinnigste von allen.

Wegen der Entscheidungsspiele?

Genau. Das ist etwas anderes, als wenn du die Tabelle mit zehn Punkten Vorsprung anführst und jeder weiß, dass du Meister wirst. Jetzt hatten wir eine sehr gute Saison gespielt, aber dann gab es eben noch die Aufstiegsspiele. Die Situation war ähnlich wie die der Profis vor dem letzten Spieltag: Wenn Du die Europa League nicht schaffst, ist die Saison nur noch halb so gut. Auch für uns wäre die Saison minderwertig gewesen, wenn wir den Aufstieg verpasst hätten.

Sie hatten zwar vorher immer wieder betont, die Saison werde nicht schlechter, sollte die Mannschaft den Aufstieg verpassen – aber vom Gefühl her wäre das doch eine Katastrophe gewesen, oder? Ich weiß nicht, wie sich eure Kollegen aus Neustrelitz jetzt fühlen…

Das kann ein sehr einschneidendes Ereignis sein. Wenn du in deiner Liga Meister geworden bist mit  70 Punkten und einem riesigen Vorsprung, du hast seit einer Ewigkeit daheim kein Spiel mehr verloren, und dann verlierst Du die beiden Aufstiegsspiele – dann ist die ganze Meisterschaft im Eimer, und du musst zudem noch neun, zehn Stunden nach Hause fahren… Die taten mir am Sonntag leid. Ich halte es für keine gute Regelung, dass ein Meister nicht automatisch aufsteigen darf, aber das ist offenbar so gewollt, und die Entscheidung ist sportlich gefallen. Okay, die Sichtweisen waren manchmal bisschen speziell…

Inwiefern?

Mein Kollege Thomas Brdaric hat in einem Interview gesagt, unser Sieg in Neustrelitz sei etwas glücklich und unverdient gewesen. Das sehe ich ganz anders, aber man versucht sich so wahrscheinlich die Niederlage zu erklären. Tatsächlich waren die Aufstiegsspiele eine eindeutige Machtdemonstration der Regionalligen West und Südwest. Ich glaube, wir waren durch die harte Meisterschaft so gestärkt, dass wir auch in der Lage waren, sogenannte Flaschenhalsspiele zu gewinnen. Und wenn man unser Spiel am Sonntag gesehen hat, muss man auch sagen: Das war Fußball.

Wahrscheinlich auf höherem Niveau als zu früheren Zweitligazeiten, in denen am Bruchweg 6000 Zuschauer waren.

Da haben sich die Dinge extrem geändert. Die Spieler sind läuferisch, taktisch und technisch ganz anders geschult. Und man hat gesehen: Wenn man die Spitze der A-Jugend dazunimmt, funktioniert das. Auch die ist gewachsen, da sieht man die Fortschritte, die im gesamten Nachwuchsleistungszentrum getätigt werden. Du kannst jetzt einen Devante Parker reinwerfen, und der spult dir die 90 Minuten ab und schießt in den letzten Spielen entscheidende Tore – und der ist noch jüngerer A-Jugend-Jahrgang. Die Jungs haben mittlerweile eine interne Vorbereitung, um guten Fußball auf höherem Niveau zu spielen.

Sie hatten am Sonntagabend darauf hingewiesen, diese Entwicklung habe schon ein Jahr zuvor begonnen. Mit der 0:5-Heiniederlage am ersten Spieltag gegen die TSG Hoffenheim II…

…das war ein auslösendes Moment. Schon im Frühling 2012 habe ich gesehen, dass es in der vorhandenen Konstellation schwierig wird, uns weiterzuentwickeln. Damals hat uns Dortmund II hier eine Lehrstunde erteilt, was das Läuferische, den Einsatz, den Willen, die Leidenschaft angeht. Schon da habe ich mir gesagt: Ab jetzt wird nur noch auf Spieler gesetzt, die rennen bis zum Umfallen, die dieses Aggressivpressing zu spielen bereit sind. So haben wir das Team für die Saison 2012/13 dann auch zusammengestellt. Ich habe damals die Vorbereitung so derart überrissen, weil ich das laufstärkste Team haben wollte, dass wir wahrscheinlich auch dadurch den Start so in den Sand gesetzt haben. Aber was danach kam, wissen wir mittlerweile.

Für mich war es keine große Überraschung, dass wir in diesem Jahr ganz vorne mitgemischt haben. Viele haben sich zwar gewundert, weil wir doch voriges Jahr so lange im Abstiegskampf steckten – aber wenn man die Tabelle vom vorigen Frühjahr an geführt hat, waren wir  ganz vorne dabei. Und in diesem Frühjahr haben wir uns unter den Top 3 etabliert, obwohl wir keinen Nej Daghfous mehr hatten, obwohl Petar Sliskovic lange verletzt war. Insgesamt war das eben ein Steigerungslauf über zwei Jahre. Und die Spieler, die wir aus der A-Jugend übernehmen, werden jedes Jahr besser.

Hatten Sie einem Daniel Bohl zugetraut, dass er sich von einem reinem Zerstörer im defensiven  Mittelfeld zu einem Spieler entwickeln würde, der nicht nur wichtige Tore schießen kann, sondern sich auch im Passspiel so deutlich steigern würde?

Daniel war auch für mich eine Überraschung. Die Hauptaufgabe für mich war, ihn als allererstes in seiner Mentalität zu schulen, in seiner Persönlichkeit, mit der er sich immer wieder durch doofe Aktionen und Karten geschadet hat. Und zum anderem war bei ihm die Spielentwicklung ein Hauptansatzpunkt: im Zentrum aufdrehen, in die Tiefe gucken, vertikal das Speil auslösen – da ist  er noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung, aber er hat gemerkt, was es braucht, um bei uns eine wichtige Rolle zu spielen. Er hat die Dinge gut umgesetzt und in den letzten Wochen tatsächlich eine wesentliche Rolle eingenommen.

Ein anderer, der ebenfalls lange gebraucht hat, war Mounir Bouziane. Der war kurz vor Saisonbeginn als potenzieller Sliskovic-Ersatz für die Zeit nach der Winterpause gekommen…

…und im Juni kann man sagen: Er hat Slisko ersetzt. In den letzten acht, neun Spielen mit Sicherheit, auch wenn es nicht immer in Toren gegipfelt hat. Aber wenn man guckt, was der Junge an Laufleistung hinlegt, auch in diesem Tempo, das ist schon ein Wahnsinn. Mounir hat mir am Sonntagabend in einem Gespräch gesagt, dass er im Sommer nicht fit war, er hatte ja die Vorbereitung nicht mitgemacht. Und wenn du nicht fit bist, kannst du nicht die Wege gehen, so wie er sie zuletzt gegangen ist. Mounir musste also zuerst einmal die Fitness erlangen – und dann war sein Problem, dass Petar Sliskovic eine Hinrunde von einem anderen Stern gespielt hat, mit 21 Toren  bis Weihnachten. Darunter haben Mounirs Einsatzzeiten gelitten, aber als Petar dann verletzt war, durfte er spielen. Und wir wussten immer: Wenn er irgendwann spielt, kommt er. Seine zweite Luft hintenraus war schon mitentscheidend für unseren Aufstieg. Gerade, weil er ein Stürmer ist, der über das Athletische kommt. Überhaupt haben wir die Aufstiegsspiele schon aufgrund unserer Laufstärke, unserer Athletik, unserer Schnelligkeit gewonnen. Das ist schon mal eine gute Voraussetzung, um eine Liga höher zu bestehen. In diesem Bereich sind wir sicher dabei.

Sie haben nach dem Aufstieg ausdrücklich Thomas Tuchel gedankt, ohne den die gesamte Entwicklung so nicht möglich gewesen sei…

…also, ich habe das Fernsehinterview nachts ja auch noch mal gesehen, und ich war wirklich überrascht, was ich da alles gesagt habe. Aber das war ehrlich und von Herzen: Thomas hat hier am Sonntag gefehlt, ich wäre stolz gewesen, wenn er da oben gestanden und zugeschaut hätte, weil in dem, was wir erreicht haben, unheimlich viel Gedankengut von ihm drin ist. Das begann damit, dass er mich als Trainer wollte. Er hatte damals eine Idee mit der U23, die ein bisschen schräg ankam und für die es auch im Verein Überzeugungsarbeit brauchte…

…als er auf eine drastische Verjüngung der Mannschaft setzte.

Genau. Auch bei den Verantwortlichen ist das nicht überall gleich auf Begeisterung gestoßen. Durch Thomas‘ Schirmherrschaft wurden mir sämtliche Handlungsfreiheiten zuteil. Ich konnte mein eigenes Funktionsteam zusammenstellen, und Manni Lorenz und Darius Salbert erfüllen mir dabei jeden Wunsch. Jetzt sind wir nach Neustrelitz mit einem Betreuerteam von acht bis zehn Personen gefahren. Wir konnten die U23 in den vergangenen Jahren professionalisieren. In den Abläufen, im  Trainingsbetrieb, strukturell und infrastrukturell, trainings- und spielinhaltlich. Und das war, und da komme ich zum zweiten Punkt, auch etwas, das  Thomas eingegeben hat. Indem ich oben als Assistent dabei war und die Vorbereitungen und die Trainingslager im Winter mitmachen konnte, habe ich das aufgenommen und auf mein eigenes Team projizieren können. Das beginnt beim Spielaufbau, bei der Art und Weise, wie man anläuft, bei der Frage, was wir nach der Balleroberung mit dem Ball machen. Da ist in unsere Arbeit sehr viel vom Profiteam eingeflossen. Dazu meine Ideen und meine Art, junge Leute zu führen – das gab dann einen Mix, der uns diesen Erfolg gebracht hat. Natürlich hat der Verein das alles auch finanziell mitgetragen, aber Thomas war der Schirmherr über dieser U23-Story.

Ganz glatt ging der Verjüngungsprozess aber nicht vonstatten.

Wir hatten Spiele, bei denen man nur den Kopf geschüttelt hat. Und nach diesem 0:5 gegen  Hoffenheim habe ich dann auch gesagt, so geht es nun auch nicht. Wir hatten in diesem Spiel ein Durchschnittsalter von 19,3 Jahren. Daraus haben wir die Schlüsse gezogen, das war ein Lernprozess für uns alle. Aber wir haben das Projekt fortgeführt; endgültig geschnürt wurde es mit meiner  Vertragsverlängerung im Frühjahr 2013. Damals hätte ich auch andere Aufgaben im Verein übernehmen können, aber ich habe gesagt, ich möchte das Ding mit der U23 meistern, auch wenn es schiefgehen und wir in die Oberliga absteigen sollten. Von da an war ich mittendrin, und von da an begann die Erfolgsgeschichte.

Sie waren schon bisschen länger über Tuchels Entscheidung informiert. Wie haben Sie das empfunden?

Ich war in den Prozess des Loslassens schon sehr früh eingeweiht, schon im Herbst vorigen Jahres. Deshalb war es für mich zunächst kein Schock, sondern ein Prozess, der in ihm über lange Zeit gewachsen ist. Thomas hat auf ein Bauchgefühl gehört, wo er allmählich gemerkt hat, die Beziehung werde auseinandergehen. Für die Öffentlichkeit kam der Schlussstrich natürlich mit einem Knall. Ich war darauf vorbereitet, aber ich muss trotzdem sagen, dass bei mir der Schock in den ein, zwei Wochen nach dem letzten Bundesligaspiel kam. Bei ihm gibt es einen „inner circle“, der so dicht ist, da kommst du nicht einfach rein. Aber wenn du drin bist, lernst du einen ganz anderen Menschen kennen. Ja, natürlich wird nach seinem Abgang draußen erzählt, er sei ja immer merkwürdig gewesen. Aber sein Verhalten war nie persönlich gemeint, sondern diente immer nur als Schutz des Wichtigsten – und das war für ihn Mainz 05, der Erfolg, sein Team, seine Trainerkollegen. All dies hat er beschützt gegen Dinge von außen. Das war manchmal die Presse, manchmal auch ein Sponsoren- oder Fan-Event, wenn er gerade unpassend war.

Hatten Sie schon ein erstes Gespräch mit dem neuen Cheftrainer, Kasper Hjulmand?

Nein, ich hatte noch keinen Kontakt. Bei seiner Vorstellung hatte ich hier normalen Trainingsbetrieb, da waren wir in der entscheidenden Saisonphase, deshalb hat es nicht gepasst. Ich denke, dass es vom Verein auch so gewollt war. Man wollte mich zunächst in Ruhe arbeiten und den Aufstieg in Angriff nehmen lassen, statt über das kommende Jahr zu reden.

Selbst als Nachfolger im Gespräch zu sein und dann irgendwann gesagt zu bekommen: Wir haben uns für einen anderen entschieden – was das schwer zu verdauen?

Nein. Ich muss sagen, zuerst war es eine riesengroße Wertschätzung meiner Person, als ich das Gespräch mit Christian Heidel und Axel Schuster hatte. Das war ein sehr langes und sehr gutes Gespräch. Sie haben mir auch ganz offen gesagt, dass es noch einen weiteren Kandidaten gibt, mit dem sie reden würden. Es war klar, dass es einer von uns beiden werden würde, und ich glaube, dass es letztlich eine Millimeter-Entscheidung war. Frust war bei mir nicht dabei, eher eine gewisse Traurigkeit, weil ich ja nahe dran war an einem Ziel. Das war eine kleine Ernüchterung, derart, dass ich mir gesagt habe: Dann bin ich vielleicht doch noch nicht so weit. Aber die beste Antwort kannst du immer auf dem Platz geben. Das war dann auch mein Ziel, sportlich zu zeigen, dass ich ein guter Trainer bin, der sein Team auf den Punkt vorbereiten kann. Aber mit der Entscheidung für Kasper Hjulmand habe ich kein Problem.

Sie werden die nächsten Wochen in der Schweiz verbringen, und wenn Sie zurückkommen, werden Sie die Uefa-Pro-Lizenz in der Tasche haben?

Ja, die werde ich am kommenden Dienstag abschließen – diese Lizenz brauche ich auch für die Dritte Liga. Damit und mit dem Aufstieg ist meine Ausbildung beendet. Jetzt arbeite ich in einer Profiliga, gegen professionelle Mannschaften. Das ist auch gut so. Ich kann ja nicht meinen Jungs sagen, sie sollen nicht alles auf einmal wollen, sondern immer einen Schritt nach dem anderen nehmen, wenn ich nicht selbst dazu bereit bin. Die Dritte Liga ist für mich, aber auch für mein Funktionsteam jetzt der nächste Schritt. Und wir sind bereit dafür.

Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth.

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