Ronja Kieffer | 03.03.2021

Schnell in den Job hineingewachsen

Eigentlich hatte Marie Gerhardt andere Pläne. Doch nachdem Richard Ruggieri als Cheftrainer des Mainzer Ruder-Vereins schneller gegangen als gekommen war, hat die ehemalige Leistungssportlerin das Amt übernommen. Jetzt hofft sie, dass bald wieder Regatten stattfinden können.
Sieht den Mainzer Ruder-Verein gut aufgestellt: Cheftrainerin Marie Gerhardt.
Sieht den Mainzer Ruder-Verein gut aufgestellt: Cheftrainerin Marie Gerhardt. | MRV

Mainz. Marie Gerhardt hat alle Hände voll zu tun. Sie muss beim Mainzer Ruder-Verein Trainingskonzepte ausarbeiten und die Trainingspläne aller Gruppen koordinieren. Dazu steht sie in engem Austausch mit den Bootstrainern sowie mit dem leitenden Landestrainer Thomas Ihnen. Unter der Woche übernimmt sie das Training, wenn die Bootstrainer arbeiten sind. „Und ich habe auch eine eigene Gruppe, das sind vier Mädels, also zwei Boote“, sagt sie. Keine Frage, der Job als Cheftrainerin des MRV ist fordernd und anspruchsvoll. Daran, dieses Amt heute innezuhaben, hätte sie noch vor wenigen Wochen nicht im Entferntesten gedacht.

Doch kaum hatten die Vereinsverantwortlichen das Jahr 2020 mit all seinen Herausforderungen erfolgreich zu Ende gebracht, da mussten sie schon wieder umplanen. Richard Ruggieri, der seit Herbst den Trainingsbetrieb am Winterhafen geleitet hatte, entschied sich während seines Weihnachtsurlaubs in den USA kurzerhand, in der Heimat zu bleiben – und so standen die Mainzer Ruderer nach nur drei Monaten wieder ohne Cheftrainer da.

Kein Streit, aber Enttäuschung

Völlig überraschend kam das nicht, Ruggieri hatte sich offenbar einsam gefühlt. Schuld war, natürlich, Covid-19. Der Dienstbeginn des erfahrenen Trainers fiel mit der zweiten Coronawelle zusammen, die das im Sommer zumindest in Ansätzen wieder aufgenommene Vereinsleben erneut zum Erliegen brachte. „Richard hat von morgens bis abends Trainingspläne aufgestellt und war dann abends allein“, berichtet Heribert Karches. Der MRV-Vorsitzende stand zwar täglich in Kontakt mit dem Cheftrainer, „aber immer mit Maske und Abstand. Unter diesen Umständen war es für ihn schwierig, sich einzuleben, und gegen die Einsamkeit konnten wir nicht viel machen“.

Die Zusammenarbeit hatte vielversprechend begonnen, alle Beteiligten waren froh gewesen, in Ruggieri einen renommierten Trainer mit großer internationaler Erfahrung als Nachfolger von Catriona Sens an den Mainzer Winterhafen geholt zu haben. Die Australierin hatte das Amt Ende Januar vorigen Jahres zur Verfügung gestellt und zog im Frühjahr mit Ehemann Robert, dem langjährigen Landestrainer, nach Wien, um für den österreichischen Verband zu arbeiten.

„Wir hatten bewusst jemanden mit eigenen Konzepten und Ideen gesucht“, erklärt Michael Salisch, Vorstand Leistungssport des MRV. „Es hat auch alles gut geklappt, wir sind gut reingekommen und waren glücklich.“ Für Ruggieri habe sich die Situation aber wohl doch anders dargestellt. „Wir sind nicht im Streit auseinandergegangen, aber die Enttäuschung auf unserer Seite war groß“, gibt Karches zu. Salisch ergänzt: „Richards Entscheidung ist menschlich nachvollziehbar, aber professionell war sein Verhalten nicht.“

Reibungsloser Übergang

Lange hielt sich die Klubführung mit der Enttäuschung jedoch nicht auf. „Wir haben im Vorstand diskutiert und ziemlich schnell entschieden, dass wir es mit einer internen Lösung versuchen wollen“, sagt Salisch. Diese interne Lösung ist: Marie Gerhardt, ein Eigengewächs des Vereins, zuletzt im MRV als Nachwuchstrainerin aktiv. Dabei sahen ihre Pläne eigentlich anders aus: „Nach zwölf Jahren Leistungsrudern hat es gereicht, ich wollte mein Studium beenden und andere Dinge machen“, sagt sie. „Aber dann ist mein damaliger Trainer Marc Kroemer verstorben, und ich habe entschieden, weiterzumachen und das Juniorentraining übernommen – und so bin ich da reingerutscht.“

Und jetzt in den Vollzeitjob der Cheftrainerin, in den sie nicht zuletzt dank ihrer jahrelangen Erfahrung als Aktive schnell hineingewachsen ist. Außerdem hat die vergleichsweise kurze, aber doch intensive Zeit mit Ruggieri zum reibungslosen Übergang beitragen. „Die Zusammenarbeit hat großen Spaß gemacht, und ich habe bei Richard viel gelernt“, betont Gerhardt.

Aus ihrem Arbeitsalltag hat Gerhardt trotz aller pandemiebedingten Besonderheiten nur Positives zu berichten: „Es läuft wunderbar, ich habe gute Kontakte zu den Trainern und viele unserer Sportler machen deutliche Fortschritte.“ Die 30 Leistungssportlerinnen und Leistungssportler des MRV trainieren unter Einhaltung eines strengen Hygienekonzepts in festen Zweiergruppen. Aufs Wasser dürfen alle, den Kraftraum im Bootshaus nutzen derzeit nur die Landes- und Bundeskader. Allerdings: „Rund 90 Prozent unserer Leistungsruderer haben mindestens Landeskaderstatus“, sagt Michael Salisch.

Viel für die Sportler getan

Wie seine Vorstandskollegen ist er stolz darauf, dass der Trainingsbetrieb so gut läuft und in vielen Fällen eine gute Leistungsentwicklung zu beobachten ist. „Wir haben alle unsere Sportler gehalten, das ist wirklich einmalig“, konstatiert Salisch. Den Grund dafür sieht er vor allem in dem Engagement, das der Verein während der gesamten Coronapandemie in die Trainingsarbeit investiert hat. „Wir haben das Training so individuell wie möglich gestaltet, haben Abwechslung reingebracht und auf Veränderungen schnell reagiert. Wir haben immer das Signal ausgesendet: Wenn es etwas gibt, das wir tun können, dann tun wir es.“ Das sei extrem aufwendig und personalintensiv, aber es zahle sich aus: „Die Sportler sehen, dass wir viel für sie tun.“

Vorsichtig optimistisch ist derweil auch der Blick in die Zukunft. „Wir sind alle sehr positiv gestimmt, dass bald wieder Regatten stattfinden können, wenn auch in kleinerem Rahmen als normalerweise“, berichtet Marie Gerhardt. Vorqualifikationen sollen für geringere Teilnehmerzahlen sorgen. Und überhaupt: „Wir haben ja beim Rudern keine Tausende Zuschauer“, meint Salisch. „Mit einem ordentlichen Konzept lassen sich Wettkämpfe durchführen.“

Die Cheftrainerin sieht den MRV für die neue Saison gut aufgestellt und hofft, irgendwann auch mal wieder abseits des Trainingsbetriebs mit ihren Vereinskollegen zusammenkommen zu können, denn: „Das Vereinsleben fehlt.“ Sicher ist schon jetzt, dass Gerhardt in ihrer neuen Position keine Übergangslösung ist, wie Michael Salisch bekräftigt: „Das bleibt so.“

 

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