Plädoyer für den zweiten Bildungsweg
Mainz. In der Regionalliga sind sie Konkurrenten, am 9. April treffen sie wieder einmal aufeinander. Gut möglich aber, dass dies die letzte Partie zwischen den Amateuren von Eintracht Frankfurt und dem FSV Mainz 05 wird. Denn während der 05-Vorstand gerade beschlossen hat, für die U23 die Drittligalizenz zu beantragen, gehen die Überlegungen am Riederwald in eine ganz andere Richtung – dort denken die Verantwortlichen über eine Abschaffung der Zweiten Mannschaft nach. Die DFL jedenfalls will den Profiklubs es künftig freistellen, eine Reserve zu melden.
„Wir haben schon vor Jahren das System der U23 infrage gestellt“, wird Eintracht-Präsident Peter Fischer in der „Frankfurter Rundschau“ zitiert. „Es gibt deutlich mehr Wider als Für.“ Zu den Argumenten gegen die Zweite Mannschaft gehört bei den Hessen, dass die Spiele am Bornheimer Hang ausgetragen werden, was jährlich 150.000 Euro an Stadionmiete kostet. Aber auch, dass es bei der Eintracht in den vergangenen Jahren keinem Spieler gelungen ist, sich über das Regionalligateam für die Profis zu empfehlen.
Ohne Spielpraxis geht es nicht
Manfred Lorenz hält nichts von solchen Überlegungen. „Es ist nicht meine Aufgabe, anderen Vereinen Ratschläge zu erteilen“, sagt der Amateuremanager des FSV Mainz 05. „Aber für uns stellt sich die Frage, die U23 abzuschaffen, nicht. Wo sollen wir denn sonst die Talente spielen lassen, die es nach der A-Jugend noch nicht in die Bundesliga schaffen? Bei den Profis mittrainieren ist ja schön und gut, aber ohne Spielpraxis kommen diese Jungs nicht weiter.“
Die unterschiedlichen Sichtweisen könnten auch am unterschiedlichen Umgang mit der Zweiten Mannschaft innerhalb beider Vereine zu tun haben. In Frankfurt, so war in der Vergangenheit des Öfteren zu hören, führe das Amateureteam ein Eigenleben, von den Verantwortlichen der Profis interessiere sich niemand ernsthaft dafür, wer unten wie spiele.
Ganz anders am Bruchweg. Hier orientiert sich Amateuretrainer Martin Schmidt bei seinen Trainingsplänen nicht nur an der Arbeit des Bundesligakaders, um seinen Kickern einen möglichst reibungslosen Übergang nach oben zu ermöglichen. Hier nutzen auch Chefcoach Thomas Tuchel und sein Trainerstab nahezu jede Gelegenheit, Spiele der Zweiten Mannschaft zu beobachten – durchaus auch auswärts.
Kirchhoff, Bell, Saller, Karius...
In Mainz gibt es zudem genügend Akteure, die über den „zweiten Bildungsweg“ (Manfred Lorenz) nach oben gelangt sind.
Beispiel Jan Kirchhoff: Der Innenverteidiger galt zwar schon zu Jugendzeiten als hochbegabt, nach langer Verletzungspause brauchte er aber die Einsätze in der Regionalliga, um sich wieder heranzuarbeiten. Inzwischen mit einem fürstlich dotierten Vertrag beim FC Bayern ausgestattet, wenn auch an den FC Schalke 04 ausgeliehen.
Beispiel Stefan Bell: Nach Ausleihen an den Zweitligisten TSV 1860 München (Stammspieler) und Eintracht Frankfurt (kaum eingesetzt) hätte der Innenverteidiger in Mainz nur eine begrenzte Perspektive gehabt. Bei den Amateuren holte er sich die Wettkamppraxis und die Sicherheit, die ihm vorige Saison gegen Ende der Vorrunde erste Einsätze bei den Profis bescherten. Inzwischen unumstrittene Kraft an der Seite von Nikolce Noveski; seinen Vertrag am Bruchweg hat Bell bis 2018 verlängert.
Beispiel Benedikt Saller: Der vielseitig einsetzbare Mittelfeldspieler hätte nach der A-Jugendzeit ohne die Existenz einer Zweiten Mannschaft vermutlich nicht mal einen Anschlussvertrag in Mainz erhalten; falls doch, wäre höchstens ein weiteres Jahr bei den 05ern herausgesprungen. Nicht wenige Experten hatten dem Talent seinerzeit die Bundesligafähigkeit abgesprochen, die Verantwortlichen am Bruchweg dagegen glaubten an Saller. Auch der Spieler selbst brachte die nötige Geduld mit. Ob dies ohne die regelmäßigen Einsätze bei den Amateuren möglich gewesen wäre? Schwer vorstellbar. Inzwischen hat Saller seinen Vertrag bis 2016 verlängert, war beim 2:1-Sieg in Stuttgart der Matchwinner und trug (nicht nur als Torschütze) maßgeblich zum 4:2-Erfolg in Hoffenheim bei.
Beispiel Loris Karius: Der Torhüter war im Spätsommer 2011 zwar als dritter Mann für die Profis verpflichtet worden. Sonderliche Sicherheit strahlte er seinerzeit allerdings nicht aus. Die holte er sich nicht zuletzt durch die Einsätze in der Regionalliga und durch die vorübergehende Versetzung in den Kader der Zweiten Mannschaft. Inzwischen redet in Mainz niemand mehr darüber, der Verein müsse für die kommende Saison eine neue Nummer eins holen.
BVB-Coach David Wagner: „Alle anderen sollen die U23 abschaffen…“
„Durchgängig positive Erfahrungen“ hat David Wagner als Trainer der Zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund gemacht. „Sowohl was die Entwicklung von Siegermentalität als auch die Durchsetzungsfähigkeit gegen Widerstände angeht“, sagt der ehemalige 05-Zweitligaprofi, der 1997 mit dem FC Schalke 04 den Uefa-Cup gewonnen hat.
Wagner steht beim BVB II in seiner dritten Saison; auf Anhieb gelang ihm der Aufstieg in die Regionalliga, im ersten Drittligajahr wehrte sich die Borussia letztlich erfolgreich gegen den Abstieg und spielt in dieser Saison eine überraschend gute Rolle. „Für mich als Trainer, für uns in Dortmund gibt es keinen Grund, diese Mannschaft nicht zu fördern“, sagte Wagner im Gespräch mit SPORTAUSMAINZ.de. Und: „Ich hätte nichts dagegen, wenn alle anderen Bundesligisten ihre U23 abschaffen würde – dann kämen die größten Talente künftig alle zu uns.“
Durm, Hofmann, Duksch...
Dabei herrscht an aufstrebenden Kickern in Wagners Kader schon bislang kein Mangel. Erik Durm, vor anderthalb Jahren von den 05-Amateuren zum BVB II gewechselt, spielt inzwischen Champions League. Jonas Hofmann, nach der Juniorenzeit aus Hoffenheim geholt, drängte sich über die Amateure bei Jürgen Klopp auf. „Oder nehmen wir einen jungen Mann wie Marvin Duksch“, sagt Wagner. „Der war, als er aus der U19 kam, noch nicht so weit, dass er für Kloppo attraktiv gewesen wäre. Ohne die Zweite Mannschaft hätte wir ihn wohl fortgeschickt.“ Heute spielt Duksch nur noch selten in Wagners Drittligateam.
Eine Voraussetzung dafür, die Zweite Mannschaft zu einem Erfolgsmodell zu machen, sei der inhaltliche Austausch zwischen Profis und Amateuren. „Da kann ich nur für uns sprechen, aber in Mainz scheint es nicht anders zu sein: Bei uns liegen die Konzepte ganz nahe beieinander. Und dann bringt es auch was.“
Auch Transfereinnahmen fließen
Sicher, räumt Wagner ein, aus einem Kader, der wie bei der BVB-Zweiten 22 Spieler umfasst, gelinge den wenigsten der Aufstieg zu den eigenen Profis. Doch wer in seiner Mannschaft Stammspieler sei, für den sei später in jedem Fall die Zweite Liga garantiert. „Ich kann problemlos eine Elf aus Erst- und Zweitligaspielern zusammenstellen, die ich in den vergangenen zweieinhalb Jahren in meinem U23-Kader hatte“, sagt Wagner.
Nicht vergessen dürfe man, dass auf diese Weise ja auch Transfereinnahmen zu erzielen seien – „das sollte man dann auch den Kosten entgegenstellen, die eine Zweite Mannschaft verursacht“.
„Mit 21 ist man immer noch jung“
Solche Fälle gab es auch bei den 05ern in den vergangenen Jahren, wenn auch in geringerem Ausmaß. Aber immerhin: Der Transfer von Hasan Ali Kaldirim zum türkischen Süper-Lig-Klub Kayserispor brachte seinerzeit 50.000 Euro; als der zum türkischen Nationalspieler aufgestiegene Linksverteidiger zu Fenerbahce wechselte, gab es noch einmal einen satten Nachschlag. Auch Daniel Buballa verließ den Bruchweg vor anderthalb Jahren nicht ablösefrei Richtung Zweitligist VfR Aalen.
Durch die Arbeit in den Nachwuchsleistungszentren seien die jungen Spieler heute besser als noch vor einigen Jahren, sagt David Wagner. Aber mancher Jugendliche braucht eben etwas mehr Entwicklungszeit als beispielsweise ein Julian Draxler. „Und wenn jemand mit 21 oder 22 Jahren Bundesligaspieler wird, ist er immer noch jung.“