Eine bescheidene Mannschaft der Stunde
Mainz. Treffender hätten die Macher der Stadionzeitung die Situation nicht beschreiben können. „Mainz 05 auf Kurs“ titelte das Bayer-Magazin vor der Partie. Nach den 90 Minuten in der BayArena musste auch der bisherige Tabellenzweite der Bundesliga anerkennen, dass dieses Team von Thomas Tuchel nicht nur auf Kurs segelt, sondern nicht zu Unrecht von vielen Experten als die Mannschaft der Stunde in der Liga bezeichnet wird.
Die 05er feierten in Leverkusen ihren vierten Sieg im sechsten Rückrundenspiel, schafften es nach dem 0:0 eine Woche zuvor beim FC Schalke 04, in zwei Auswärtsspielen bei Spitzenmannschaften hintereinander nicht nur ungeschlagen, sondern auch ohne Gegentor zu bleiben. Die Belohnung: Platz sechs mit 37 Punkten und eine glänzende Ausgangsbasis für den weiteren Saisonverlauf und den Kampf um die zum Europapokal berechtigenden Plätze. Und das zum Auftakt der Fastnachtsfeiertage. Klar, dass Mannschaft und Anhänger dies überschwänglich feierten und eine ganze Region rechtzeitig in die richtige Rosenmontagsstimmung versetzten.
Überglücklich, aber zurückhaltend
„Unsere Fans haben uns nachher Kostüme zugeworfen aus der Kurve, um gemeinsam zu feiern. Das ist etwas, über das die Spieler noch lange sprechen werden, etwas ganz Besonderes“, wusste der 05-Trainer nachher um die Bedeutung des Siege. Doch Tuchel blieb in der ganzen Ausgelassenheit, die seine Umgebung erfasst hatte, selbst sehr zurückhaltend.
Der Trainer war zwar überglücklich über diesen großen Erfolg, wusste ihn aber einzuordnen. Denn die 05er hatten extrem viel dafür tun müssen, benötigten eine gute Portion Spielglück, beeindruckten andererseits jedoch mit einer wieder einmal außergewöhnlich guten Defensivleistung, mit großer Konzentration und einer nahezu perfekten taktischen Abstimmung und Ordnung. Tuchels Profis unterstrichen in jedem Fall, dass sie im Augenblick sicherlich zu den am schwersten zu schlagenden Mannschaften der Liga gehören.
"Bescheiden und dankbar bleiben"
Fleiß und Aufmerksamkeit, enorme mannschaftliche Geschlossenheit: Daraus ist beim FSV Mainz 05 eine Mentalität entstanden, die einen solchen Erfolg wie in der BayArena möglich macht. „Wir müssen das Ganze aber nicht größer machen als es ist“, sagte Tuchel. „Wir müssen bescheiden bleiben und dankbar, dass uns das gelungen ist.“ Der Coach sieht sich nicht als Spaßverderber, wenn er es nach wie vor ablehnt, darüber zu reden, ob seine Mannschaft reif für Europa sein kann. Denn noch sind elf Spiele zu absolvieren, in der das Team seine derzeitige Form konservieren und bestätigen muss.
Immerhin gestand Tuchel erstmals ein, dass er intern mit der Mannschaft Marken gesetzt habe, die erreicht werden sollten. Doch auch darüber will er öffentlich nicht reden. Nur so viel: „Wenn du so viele Punkte hast zum jetzigen Saisonzeitpunkt, dann gibt dir das sehr viel Bestätigung.“
94 Minuten lang die Ordnung gehalten
In Leverkusen traten die 05er im gewohnten Auswärtssystem auf, einem 4-4-2 mit Raute, das bei gegnerischem Ballbesitz drei feste Sechser bietet. Die Mainzer mussten von Beginn an enorm viel laufen, um den Leverkusener Aufbau einzuschränken, viele Mittelfeld- und Außenbahnduelle absolvieren. Das gelang recht gut. Problematisch war zunächst das eigene Aufbauspiel, denn die Mannschaft von Sami Hyypiä agierte ebenfalls taktisch sehr wirkungsvoll, verengte die Räume, ließ den 05ern mit hartem Gegenpressing kaum Zeit am Ball. Darunter litten die Offensivumschaltungen der Mainzer. Das eigene Passspiel unter Druck geriet dabei oft fehlerhaft, es dauerte lange, dieses Spiel zu beruhigen. „Wir haben in der starken Leverkusener Anfangsphase zu viele Seitenwechsel zugelassen. Wir wollten sie auf einer Seite halten, das ist uns nicht gelungen“, analysierte Tuchel. Aber auch: „Trotz dieses Aufwandes haben wir nie die Ordnung verloren und konsequent unseren Strafraum abgeriegelt. Und zwar 94 Minuten lang. Darin liegt die besondere Leistung.“
Die Analyse des Gegners habe ergeben, dass in Leverkusen eine großes Stück Effektivität, eine Portion Glück und eine eigene Führung nötig sein würden, um etwas ausrichten zu können. Das hätte fast nach einer Viertelstunde geklappt, als Shinji Okazaki, von Roberto Hilbert bedrängt, aus kürzester Distanz an Torhüter Bernd Leno scheiterte. Maxim Choupo-Moting machte es dann besser mit seinem Hackentrick ins lange Eck nach Vorarbeit von Stefan Bell. „Ein wunderschönes Tor“, urteilte der Coach. Doch dieser Führungstreffer war der Auslöser für noch mehr Leverkusener Druck, bedingungsloser Offensive bis in die Nachspielzeit hinein.
Etliche Gefahrenmomente überstanden
Und da entwickelten die Mainzer ihre wirklich Stärke in diesem Spiel: taktische Disziplin und Ordnung. „Da ist bei uns eine große Mentalität gewachsen, solche Phasen auszuhalten“, sagte Tuchel, der begeistert war von der Verteidigungshaltung seiner Mannschaft in und um den 16er herum. „Wir mussten uns auf viele verschiedene Stürmertypen einstellen und durften dabei unsere Abwehr nicht entblößen.“ Die Staffelung passte bis zum Schluss. Die 05er lieferten ein Paradebeispiel für Überzeugung und Konsequenz.
Dabei musste die Abwehr etliche Gefahrenmomente überstehen, doch die beiden herausragenden Innenverteidiger Stefan Bell und Nikolce Noveski, der starke Torhüter Loris Karius, die gesamte Defensivanlage der Mannschaft vereitelten jede Chance zum Ausgleich. Viel Arbeit und das nötige Glück führten jedoch zum aus Mainzer Sicht großartigen Ende. Auch wenn Tuchel eingestand, so wie die Partie gelaufen war, sei das Ergebnis nicht die logische Konsequenz des Geschehens.
Die Bewertung wäre möglicherweise anders ausgefallen, wenn die 05er in den letzten Minuten ihre zwei Riesenchancen genutzt hätten, um den Vorsprung zu vergrößern gegen ein Bayer-Team, das seinem hohen Tempo Tribut zollen musste. Dann hätte wohl jeder von einem coolen, routinierten und letztlich souveränen Auftritt gesprochen. Doch der eingewechselte Sebastian Polter brachte in einer Überzahlsituation nach einem Konter den Ball nicht an Leno vorbei oder zum frei vorm leeren Tor stehenden Okazaki. Und der ebenfalls neu gekommene Benedikt Saller verfehlte nach einem tollen Solo in der Nachspielzeit das Tor nur um wenige Zentimeter.