Bundesliga | Jörg Schneider | 05.03.2014

Das Talent hat seine Chance genutzt

Innerhalb eines halben Jahres haben sich die Kräfteverhältnisse komplett verändert. Auf keiner anderen Position im Kader des FSV Mainz 05 hat es im Winter solch einschneidende Verschiebungen gegeben wie im Tor. Loris Karius ist plötzlich der neue starke Mann zwischen den Pfosten des Bundesligisten. Und zumindest der Trainer gibt jetzt schon grünes Licht dafür, dass der Klub den im Sommer auslaufenden Vertrag mit dem 20-Jährigen verlängert – als Nummer eins.
Loris Karius hat sich unter den 05-Torhütern vom Außenseiter zur Nummer eins gemausert.
Loris Karius hat sich unter den 05-Torhütern vom Außenseiter zur Nummer eins gemausert. | Foto: Eva Willwacher
Am Sieg in Leverkusen hatte Loris Karius als starker Rückhalt maßgeblichen Anteil.
Am Sieg in Leverkusen hatte Loris Karius als starker Rückhalt maßgeblichen Anteil. | Foto: Eva Willwacher
Winter-Neuzugang Dario Kresic nimmt die Rolle des Karius-Herausforderers ein.
Winter-Neuzugang Dario Kresic nimmt die Rolle des Karius-Herausforderers ein. | Foto: Eva Willwacher

Mainz. Die Situation beim FSV Mainz 05 zu Beginn dieser Bundesligasaison war eindeutig: Die sportliche Leitung des Klubs setzte in der Torhüterfrage auf Erfahrung. Thomas Tuchel ging mit zwei routinierten, überwiegend zuverlässigen und ligagestählten Keepern in die neue Spielzeit, die sich um den Platz zwischen den Pfosten streiten sollten: Heinz Müller und Christian Wetklo. Loris Karius, der um viele Jahre jüngere dritte Mann, hatte im Prinzip keine Aussichten auf Ligaeinsätze. Der 20-Jährige galt zwar als großes Talent, aber auch als jemand, der seine Anwartschaft und seine Ambitionen auf mehr zu selten unter Beweis stellte.

Der Trainer hatte so entschieden, nachdem er seine beiden Routiniers im Saisonfinale zuvor wegen Anflügen laxen Arbeitens und Verhaltens kräftig in den Senkel gestellt hatte. Die Sache schien in der Vorbereitung erledigt, der Denkzettel schien gewirkt zu haben. Dann jedoch kam alles anders. Müller, inzwischen 35, hatte immer wieder mit Verletzungen zu tun. Wetklo kassierte in einer prekären Phase eine dreiwöchige Rotsperre. Und plötzlich war Karius derjenige, welcher. Der 20-Jährige nutzte seine Chance und ist seitdem die unangefochtene Nummer eins beim Tabellensechsten.

Seit zwölf Spieltagen erste Wahl

In der Winterpause folgte der große Schnitt. Die Verantwortlichen entzogen Müller das Vertrauen, musterten den Torhüter aus. Wetklo hatte beim Trainer zu viel Kredit verspielt, wurde zurückgestuft und ist nur noch Nummer drei. Manager Christian Heidel verpflichtete kurzerhand den ablösefreien Dario Kresic von Lokomotive Moskau. Der 29-Jährige ist nun der Herausforderer von Karius.

Wie kam es dazu, dass der einstige Außenseiter seit nunmehr zwölf Spieltagen erste Wahl ist? „Wir waren uns alle nicht ganz sicher“, sagt Tuchel heute. „Wir müssen auch selbstkritisch damit umgehen. Vielleicht sehen wir Loris nun anders als vorher.“ Es führe aber kein Weg daran vorbei, dass der Torhüter mit dem großen Talent seine Chance optimal genutzt und sich etabliert habe. „Loris spielt gut. Er hat sich prächtig entwickelt und ist stabil im Wettbewerb“, sagt der 05-Coach. „Karius hat sich verändert. Das mag mit dem Feedback zusammenhängen, mit der Anerkennung, die er erfährt.“

Den Weg zum Profi eingeschlagen

Die Trainer am Bruchweg haben festgestellt, dass der Keeper den Weg vom Talent zum gestandenen Profi eingeschlagen, dadurch enorm an Ausstrahlung gewonnen hat. Und, entscheidend: Mit zunehmender Spielzeit stieg die Qualität, die der junge Schlussmann in die Waagschale werfen konnte. „Das macht sich im Training ständig bemerkbar. Als Torhüter, der spielt, gelingt es ihm wesentlich besser, sich in dieser Konstellation breitzumachen“, sagt Tuchel.

Das sei zuvor ein Problem gewesen, was man möglicherweise nicht genügend beachtet habe. In der gewachsenen Struktur mit zwei total erfahrenen Bundesligatorhütern, zwei etablierten Profis, war die Hürde für den Youngster wahrscheinlich etwas zu hoch, um sich aufzudrängen und die Trainer vor neue Tatsachen zu stellen. „Vielleicht war das auch ein Grund dafür, warum Loris Möglichkeiten hat liegen lassen, auch in den Spielen der U23“, sagt Tuchel.

Doch so entstehen in der Bundesliga Karrieren. Karius erhielt die Chance, nutzte sie und hat nun gute Karten, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag zu verlängern – als Nummer eins. Dem stehe im Moment nichts im Wege, sagt Tuchel, es gebe keinen Grund, einen Leistungsträger vom Hof zu schicken.

Wetklo kein Nummer-eins-Kandidat mehr

Christian Wetklo dagegen hat sich offenbar selbst in Abseits gestellt. Die Auslassungen des 34-Jährigen, warum er nach abgesessener Sperre im Auswärtsspiel in Nürnberg nicht auf die Bank wollte, stattdessen den Trainern riet, den jungen Christian Mathenia statt seiner zu nominieren, sind Tuchel sauer aufgestoßen und wirken bis heute nach. Für den Coach war Wetklo fortan kein Nummer-eins-Kandidat mehr. „Ich habe ihm das nicht mehr zugetraut“, räumt Tuchel offen ein. „Es gab diese Vorgeschichte, die ich ernstgenommen habe.“

Jeder in diesem 05-Kader unterziehe sich klaren Leistungssportkriterien. Verbindlich für alle. „Ich kann Wettis Entscheidung bis heute nicht nachvollziehen. Deshalb war klar, dass wir jemanden von außen brauchen, der mit großer Freude und Leistungsbereitschaft in diesem Konkurrenzkampf an den Start geht.“

Diese Entscheidung ist, daraus macht der 05-Coch kein Hehl, mit dem Auswärtsspiel in Nürnberg gefallen. Wetklo, mit Abstand der erfahrenste Keeper am Bruchweg, sei nun Teil einer sehr gut arbeitenden Trainingsgruppe und habe seine Situation akzeptiert. „Es bleibt ihm aber auch nicht viel anderes übrig“, fügt Tuchel leise hinzu.

Kresic-Verpflichtung ohne Risiko

Warum aber entschieden sich der Manager und der Trainer für Kresic, den 29-jährigen, der bei Lokomotive Moskau die Nummer zwei war, wie auch in der kroatischen Nationalmannschaft und auch des Öfteren bei seinen vorherigen Stationen (Zweite Liga bei Eintracht Trier, in Athen und Thessaloniki)? Dario Kresic sei bei den Transferüberlegungen schon dreimal ein Thema gewesen. Als ein Torhüter, von dem man ein klares Bild vor Augen hatte, verlässliche Infos, auch aus eigener Erfahrung. „Vor allen Dingen war die Verpflichtung wirtschaftlich machbar“, sagt Tuchel. „Da war kein Risiko dabei für uns.“

Gleichzeitig war den Verantwortlichen klar geworden, dass sie Karius das Vertrauen nicht wieder entziehen wollten, indem der Klub ihm jemanden vor die Nase setzte. „Acht Wochen vorher war die Konstellation, im Winter eine Nummer eins zu holen, eine ganz andere“, räumt Tuchel ein. Doch Karius nutzte die Chance und reduzierte das Verlangen im Verein nach der Verpflichtung eines teuren neuen Torhüters, der nicht kommen würde, um auf der Bank zu sitzen. „Loris hat diese Situation so verändert“, sagt Tuchel, der auch sehr zufrieden ist mit Kresic. „Dario ist ein sehr guter Trainingskonkurrent, der das Niveau unserer Torhüter-Trainingsgruppe auf einen sehr hohen Level hebt.“

 

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