Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 06.01.2024

„Vielleicht haben wir den Impuls gebraucht“

NEUES AUS MARBELLA (7) | 05-Torwart Robin Zentner über den heilsamen Schock von Bo Svenssons Ausstieg, Jan Siewerts Arbeit, schwankende und unerklärliche Leistungen in der Hinrunde, die Bedeutung von Jonathan Burkardts Comeback und den Spaßfaktor von Mixed-Zone-Interviews.

Aus dem Trainingslager des FSV Mainz 05

berichtet Peter H. Eisenhuth.

 

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Marbella. Wegen einer nicht näher definierten Fingerverletzung hatte Robin Zentner die letzten vier Bundesligaspiele vor der Weihnachtspause verpasst. Im Trainingslager kann der Torhüter wieder voll zupacken – und verströmt im Gespräch mit SPORTAUSMAINZ.de viel Zuversicht.

 

Herr Zentner, was macht der Finger?

Der ist okay, ich bin komplett beweglich, schmerzfrei noch nicht zu 100 Prozent, aber das ist für den jetzigen Zeitpunkt schon sehr, sehr gut.

Der Trainer sagte am Mittwochmorgen: „Robin kann schon wieder fausten, das ist ein gutes Zeichen.“

Ja, es passt alles.

Um was für eine Verletzung handelt es sich? „Knöcherne Fingerverletzung“ klingt so nach „man weiß es nicht so genau“…

Wir haben es eher so gesagt, damit man es nicht so genau weiß. (lacht)

Aber offenbar nichts Gravierendes…

Nein

…trotzdem haben Sie vier Spiele verpasst.

Leider, ja.

Können Sie gönnen?

Prinzipiell natürlich. Ich kann gönnen.

Auch in einem solchen Fall? Wenn Sie zugucken müssen?

Zugucken ist mit das Schlimmste, was passieren kann, weil es fast immer bedeutet, dass ich nicht das machen kann, was mir am meisten Spaß macht – und das sind nun mal die Spiele. Die im Stadion auf der Tribüne oder, noch schlimmer, zu Hause am Fernseher zu schauen, ist kein schönes Gefühl. Es war aber absehbar, dass es nicht allzu lange dauern würde, deshalb kann ich gönnen.

Also nicht vergleichbar mit ihrer Verletzungspause vor einem Jahr wegen einer Rückenstauchung, die sich überraschend lang gezogen hat.

Genau, diesmal war die Rückkehr ein bisschen planbarer. Voriges Jahr ist es ungünstig gelaufen, auch weil wir vorsichtig sein mussten, dass die Probleme nicht wieder zurückkehren. Diese Sorge hatte ich diesmal nicht.

Stichwort „Spaß“: Wie viel Spaß hat die bisherige Saison gemacht?

Geht so. Natürlich macht Fußball am meisten Spaß, wenn man erfolgreich ist und ein gutes Team hat. Ein intaktes Team haben wir, zumindest hatte ich mit der Mannschaft viele Momente im Training und auch in Spielen, die auch Spaß gemacht haben. Das Wesentliche im Fußball, das Gewinnen, haben wir in der aktuellen Saison aber viel zu selten erlebt, deshalb hält sich die Begeisterung in Grenzen.

Was ist denn seit der Endphase der vorigen Saison passiert, was sich in dieser Runde fortgesetzt hat, dass kaum mehr Punkte aufs Konto kamen?

Unsere Leistungen waren einfach zu schwankend. Entweder sie waren zu schlecht, oder wir haben nur eine gute Halbzeit pro Spiel geliefert. Wir haben nicht die nötige Sicherheit bekommen und nie das Gefühl entwickelt, dass wir selbst den Ausgang des Spiels bestimmen. Wir waren immer relativ stark abhängig von dem, was der Gegner uns gibt, wie gut er performt. Wenn er nicht allzu gut performte, hatten wir eine Chance. So wurde natürlich auch unser Selbstvertrauen nicht größer, dann blieben die Ergebnisse, die Punkte aus. Man hat immer gedacht, „jetzt muss es klappen, jetzt muss es klappen“, aber mental wurde es dadurch schwieriger, und das hatte wiederum zur Folge, dass sich der eine oder andere negative Effekt verstärkte.

Nach dem 2:2 in Bochum dachte ich, wenn man so spät in der Nachspielzeit das Spiel noch umbiegt und einen Punkt mitnimmt, könnte das der Knackpunkt für eine Wende zum Besseren sein…

… ja …

…und dann kam Hertha.

Ein unerklärliches Spiel. Von der Art und Weise, wie wir dort aufgetreten sind, war es sehr schlecht. Wie Sie sagten: Bochum hätte eine Initialzündung sein müssen. Wir haben dort kein gutes Spiel gemacht, aber mit dem Endspurt in der letzten Sekunde das Tor zum Ausgleich. Aber im Pokal waren wir dann wieder so gehemmt, so unsicher. Die Hertha war in jedem Moment spritziger und schneller, die war viel mehr bereit…

…und die war nicht mal gut…

Schwer zu sagen. Vielleicht kam sie mir nur so gut vor, weil wir so schlecht waren. Aber die Berliner hatten viel mehr Bock auf dieses Spiel, und das darf halt nicht passieren. Schon gar nicht, wenn du die einmalige Chance hast, mit wenigen Siegen einen Titel zu holen. Das war sehr ärgerlich, hat aber leider zum Gesamtbild gepasst.

Den Satz „Das darf nicht passieren“ wird jeder Ihrer Kollegen unterschreiben, und dann passiert es trotzdem…

Das kommt ja immer wieder mal vor. Warum es dann doch passiert? Wahrscheinlich war unsere mentale Schwäche in dieser Phase zu stark ausgeprägt, als dass das Bochum-Spiel ausgereicht hätte, sie zu kompensieren.

Noch in der Nacht nach Berlin hat Bo Svensson bei Christian Heidel und Martin Schmidt seine Demission eingereicht. War dieser Schritt für Sie absehbar?

Wenn man als Spieler in einer solchen Phase ist, hat man natürlich viel mit sich selbst und mit der Mannschaft zu tun und macht sich keine Gedanken darüber, wie der Trainer seine persönliche Situation bewertet. Ich glaube, wenn man Bo kennt, war sein Schritt schon irgendwo verständlich, weil er einfach sehr viel von sich erwartet und einen hohen Anspruch hat und ihm der Verein so sehr am Herzen liegt. Daher war das für ihn am Ende wahrscheinlich der logische Schritt.

Und für Sie?

Uns als Mannschaft und auch mich hat das hart getroffen, weil wir viele schöne und erfolgreiche Momente mit ihm verbracht hatten. Die zwei vorherigen Saisons und natürlich dieser Klassenerhalt, der uns zusammengeschweißt hat. Wenn man so etwas Einmaliges erlebt hat, stärkt das die Verbindung. Deshalb war es im ersten Moment ein Schock.

Im Nachhinein könnte man sagen, es war ein heilsamer Schock. Seitdem habt ihr mehr Punkte geholt, nach 24 Gegentoren in neun Spielen nur noch vier in sieben Spielen kassiert, dreimal zu null gespielt. Wie geht das?

Das war mit Sicherheit ein Impuls, den wir vielleicht auch gebraucht haben. Vieles ist Kopfsache, das kann man nicht erklären. Ich finde auch, dass wir in diesen Spielen seit dem Trainerwechsel deutlich mehr Punkte verdient gehabt hätten. Mit vier Gegentoren aus sieben Spielen nur vier Punkte zu holen, das geht eigentlich gar nicht. Das ist eine viel zu geringe Ausbeute, zeigt aber, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die defensive Stabilität, die uns in den Saisons vorher ausgezeichnet hat, haben wir uns wieder erarbeitet. Sie ist immer auch die Basis für gute Offensivleistungen. Wenn die Stabilität nicht vorhanden ist, tun wir uns sehr schwer, Punkte zu holen.

Als Torwart wünscht man sich wahrscheinlich eine von Woche zu Woche möglichst unveränderte Hintermannschaft. Die gab es am sechsten, siebten und achten Spieltag, danach rückte immer mindestens ein neuer Mann in die Vierer- oder Fünferkette.

Wir hatten in der Hinrunde großes Verletzungspech und immer wieder Ausfälle, das kam zur fehlenden Form hinzu. Der alleinige Grund für die vielen Gegentore war das allerdings nicht, wir mussten ja auch in den letzten Spielen, als wir weniger Gegentore bekommen haben, viel wechseln.

Jetzt ist Jonathan Burkardt zurück. Was bedeutet das für euch?

Jonny ist ein sehr wichtiger Spieler für unsere Mannschaft, für den Verein und auch als Identifikationsfigur für die Fans, als Kämpfer auf dem Platz, der immer alles raushaut. Ich freue mich für ihn persönlich sehr, aber auch darüber, dass er in meinem Team spielt. Man sieht, dass er noch ein bisschen an Form braucht, aber das ist nach einer so langen Pause normal. Ich hoffe, dass es möglichst schnell vorangeht und er sich schon bald mit seinem ersten Tor belohnt.

Sie sind nach Spielen oft derjenige, der in der Mixed Zone bei den Journalisten steht, Fragen beantwortet und Spiele analysiert – obwohl Sie mit den Niederlagen am wenigsten zu tun hatten. Wie groß ist da der Spaßfaktor?

Nicht vorhanden. (grinst) Aber in dem Moment geht es auch nicht um Spaß, das gehört zum Job dazu.

Wollen Sie zu diesen Gesprächen oder müssen Sie?

Eher müssen. Mein Mitteilungsbedürfnis ist eher geringer ausgeprägt. Aber ich gehe davon aus, dass nach mir gefragt wird.

Eure Torwartgruppe hat sich vor der Saison neu formiert. War es schwierig, in der Konstellation zusammenzufinden?

Nein, gar nicht. Es war sehr schade, dass Finn im Sommer gegangen ist, weil wir uns sehr gut verstanden haben, aber Batzi ist ein super Typ, bringt sich sehr gut in die Gruppe ein, bringt viel Erfahrung mit, kann die auch weitergeben und hat eine gute Präsenz. Deshalb war es nicht schwer.

Hat es Sie überrascht, dass er während Ihrer Auszeit den Vorzug vor Lasse Rieß bekommen hat, oder war es wegen seiner größeren Erfahrung ein logischer Schritt?

Für beide Torhüter gab es gute Argumente, am Ende hätte ich beide Entscheidungen verstehen können.

Der Trainer auch…

Es ist ja auch so. Wenn man viele Trainings von uns guckt, weiß man das. Es gibt ja ein paar Aspekte: die Vita, Erfahrung, Alter, Trainingsleistung, unterschiedliche individuelle Fähigkeiten. Deswegen ist es nun mal sehr eng, das war nicht so dahergesagt.

Was hat sich denn unter Jan Siewert generell geändert?

Es wird den Trainern nicht gerecht, wenn man sie miteinander vergleicht. Jan Siewert ist ein kommunikativer Coach, er gibt oft schon auf dem Platz Feedback zu taktischen Dingen. Von der Trainingsarbeit her ist es ähnlich. Wir haben immer bestimmte Themen, die wir bearbeiten müssen und dazu passende Trainingsformen. Ich bin zwar in der ersten halben oder Dreiviertelstunde nicht dabei, weil wir Torhüter erst mal bei Stephan Kuhnert sind, aber bei mir hat sich noch niemand beschwert.

Egal, mit wem man sich hier unterhält: Alle wirken sehr optimistisch. Ich nehme an, das liegt nicht nur an der Sonne…

Den Optimismus hatte ich schon vorher.

Ihr seid sehr überzeugt, dass der Klassenverbleib gelingen wird.

Ja. Das liegt an dem, was man im Training sieht und was man in den letzten Spielen vor der Winterpause gesehen hat. Das Gefühl kommt nicht daher, dass wir denken, nach einer so schlechten Hinrunde könne es einfach nicht so weitergehen, sondern es kommt von Tatsachen, die wir uns erarbeitet haben. Teilweise an Ergebnissen, teilweise an Auftritten, die einem ein gutes Gefühl vermitteln. Deswegen können wir optimistisch sein. Aber wir wissen auch genau, wie schwer es wird, aus der Situation herauszukommen. Am Ende zählen auch nur die Ergebnisse, egal wie gut du gespielt hast oder wie überlegen du warst. Wenn die Ergebnisse ausbleiben, ist das gute Gefühl auch wieder weg.

Hilft es zu wissen, dass ihr vor drei Jahren aus einer viel schlimmeren Lage herausgekommen seid, oder spielt das für heute keine Rolle mehr?

Das spielt gar keine Rolle, weil man die beiden Szenarien auch gar nicht miteinander vergleichen kann. In der viel schlimmeren Situation hat man ja noch weniger zu verlieren. Nur weil man es einmal geschafft hat, heißt das nicht, dass es noch mal gelingt. Ich hoffe und glaube, dass das jeder weiß. „Es wird schon werden“ wäre die falsche Einstellung. Es wird verdammt schwer, es wird verdammt hart. Wir brauchen frühzeitig Ergebnisse, dann bin ich davon überzeugt, dass wir es schaffen. Ich gehe davon aus, dass in dieser Saison 35 Punkte reichen – die zu holen, dafür sind wir selbst verantwortlich.

Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth.

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