Rainer Stauber | 23.04.14 „Rudern wird hier explodieren" Er gilt als akribischer Analytiker und hat mit dem Mainzer Ruderverein ehrgeizige Ziele: Landestrainer Robert Sens im „Interview der Woche" über seine Trainingsgruppe am Winterhafen, unabdingbare Leidensfähigkeit und den Heißhunger auf olympische Ehren. Der Trainer mit seinen größten Talenten: Robert Sens traut Jason Osborne und Moritz Moos schon in Rio 2016 eine Medaille zu. | Fotos: Julia Teine Der Steuermann am Mainzer Winterhafen: Robert Sens, Landestrainer im Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz | Saarland. Mainz. Fünf Minuten zu früh zum Interview. Im Bootshaus des Mainzer Rudervereins läuft gerade noch die Analyse des morgendlichen Trainings. Zeit genug also, um sich im Vorraum der Ahnengalerie des Traditionsvereins von 1878 zu widmen. Weltmeister und Europameister strahlen dort von den Wänden am Winterhafen. Geht es nach Robert Sens, dem Landestrainer im Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland, muss dort in Zukunft neuer Platz geschaffen werden.Herr Sens, was macht die Trainingsgruppe am Mainzer Winterhafen aus, was hat sie vor? Wir haben eine sehr gute Mischung aus Jung und Alt. Wir würden lügen, wenn wir nicht sagten, dass wir um Olympiamedaillen kämpfen. Für jeden Sportler in unserer Trainingsgruppe ist es das Ziel, irgendwann olympische Ehren zu erreichen. Dafür treten wir hier an. Ob das 2016, 2020 oder 2024 ist, ist erstmal uninteressant. Aber das Ziel, das haben wir hier alle. Gerade bei den leichten Männern herrscht ein unheimlicher Wettbewerbsdruck. Ohne zu übertreiben: Es gibt weltweit vielleicht vier, fünf Trainingsgruppen, in denen so ein Wettbewerbsdruck herrscht wie hier in Mainz. Welche Bedingungen finden Sie hier am Winterhafen vor? Die Voraussetzungen sind absolut hervorragend. Ich habe selbst lange Jahre in Berlin gerudert. Mainz ist schon klimatisch gut gelegen. Wir können hier durchgehend ganzjährig rudern, das ist in Berlin nie möglich gewesen. Allein der Mainzer Ruderverein mit seinem Bootshaus bietet unglaublich gute Bedingungen. Zudem funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Olympiastützpunkt, dem Bundesstützpunkt und dem Landessportbund sehr gut. Alles, was wir brauchen, auch mit der Universität, haben wir hier in Mainz. Die Trainingsbedingungen, um Hochleistungssport Rudern zu betreiben, sind optimal. Dem sportlichen Erfolg sind durch die Infrastruktur keine Grenzen gesetzt. Was müssen Nachwuchsruderer wie Moritz Moos und Jason Osborne demnach mitbringen, um langfristig in die Weltspitze vorzustoßen? Leidensfähigkeit (lacht). Das ist ein hoch spannendes Thema, aber auch sehr schwierig zu fassen. Fakt ist, dass die Jungen erstmal alles mitmachen. Vor 15 Jahren hätte es solche Ruderer wie Moos und Osborne in Deutschland nicht gegeben. Die sind zu klein, hätte man gesagt. Früher hatte man nur die Größensichtung gemacht und gesagt, Ruderer müssen groß sein. Das ist aus meiner Sicht Quatsch. Da sind wir in Mainz aber auch Vorreiter, weil wir sagen, ein Ruderer muss heutzutage nicht mehr groß sein. Wenn die Sportler willig sind, wenn sie leidensfähig, ehrgeizig und bereit sind, alles zu machen, dann ist es die Aufgabe der Trainer und unseres System zu überlegen, wie wir sie nach vorne bringen. Wir können aber die Pferde immer nur an die Tränke führen, trinken müssen sie selbst. Wenn jemand es nicht will und nicht bereit ist, den langen, harten Weg zur Tränke mitzugehen und darauf Vertrauen zu haben, dann ist es eben schwierig. Braucht man demnach kein spezifisches Talent fürs Rudern? Klar, man muss schon gewisse Voraussetzungen mitbringen, zum Beispiel spielt der Bruder von Moos bei Mainz 05. Das sind einfach sportliche Jungs. Moritz Moos hätte auch in vielen anderen Sportarten Fuß fassen können. Und Jason Osborne auch. Das sind körperliche Talente. Motorik, Ausdauer und Kraft: Das bringen die natürlich alles mit. Aber wir haben auch andere Sportler, zum Beispiel Jost Schömann-Finck, der hätte bestimmt kein Fußballer werden können. Ist Moos/Osborne also eine Traumkombination? Die beiden haben zu alledem das unheimliche Glück, dass sie im Doppelzweier unheimlich gut zusammenpassen. Sonst wird man nicht mit 19 Jahren U23-Weltmeister, vor allem nicht in der überlegenen Art und Weise, wie sie es im vergangenen Jahr gemacht haben. Sie selbst haben sich nach einem Comebackversuch 2011 für die Trainerlaufbahn entschieden. War dieser Schritt nach Ihrer aktiven Karriere so geplant? Nicht wirklich. Ich habe in Potsdam studiert und gerudert und wissenschaftlich gearbeitet. Ich hätte mir auch vorstellen können, weiter an der Uni zu bleiben. Ich wollte eigentlich schon immer viel vom Rudern verstehen, das ist auch nach wie vor noch so. Rudern ist ein sehr schöner, methodisch unheimlich komplizierter Sport. Von außen sieht das immer so einfach aus. Dann wurde in Mainz eine sehr attraktive Stelle frei, auch weil das hier bisher noch nicht der riesig große Ruderstandort war. In Mainz gab es aber von Beginn an die Möglichkeit, sich frei entfalten zu können. Mainz steht aber eher für Fußball und 05. Natürlich spielt der Fußball in der Stadt eine riesige Rolle. Ich glaube aber, dass es auch fürs Rudern in Mainz einen unheimlich fruchtbaren Boden gibt. Mit diesem ultrastarken und extrem gut geführten Ruderverein sind wir hier unglaublich gut aufgestellt. Das ist auch hinsichtlich des Landesverbandes ein einziger Schulterschluss. Hier greift die ganze Infrastruktur sehr, sehr schön ineinander. Das heißt, Sie planen die Entwicklung in Mainz langfristig? Natürlich, kurzfristig geht im Rudern gar nichts. Da ist immer und immer wieder Geduld gefragt. Jeder Ruderer, auch der beste, verliert mehr Rennen in seinem Leben, als er gewinnt. Ich glaube, dass Rudern in den nächsten Jahren hier in Mainz explodieren wird. Da wird richtig viel passieren. Wie sehr wird das in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Ich wohne etwas außerhalb von Mainz, da wird gar nichts wahrgenommen. Meine Nachbarn sind Winzer. Die fragen sich immer, was ich den ganzen Tag so mache. Die können sich gar nicht vorstellen, dass jemand so einen Beruf hat, und wundern sich nur, dass die Autos so oft weg sind. Eigentlich waren Sie ja auch gar nicht zum Rudern auserkoren... Stimmt, ich bin in Schwerin geboren. Und in der DDR gab es ja diese Frühsichtungen, da wurde ich für den Wurfmehrkampf in der Leichtathletik ausgesucht. Aber das hätte im Nachhinein wohl nie was werden können, weil ich viel zu langsam war. Über Umwege bin ich dann beim Rudern gelandet. Haben Sie das mal bereut? Nein, obwohl ich durch Zufall dazu kam. Der Nachbar war Rudervereinsvorsitzender und hatte gesagt, komm doch mal vorbei. Dann hatte ich aber auch die richtigen Trainer, die einen dafür begeistert haben. In Erwin Krakau hatte ich eine ganz stark prägende Figur. Er ist bis heute der zweiterfolgreichste Trainer aller Zeiten und hatte sich als Rentner noch mal meiner angenommen, als Hobby quasi. Anfangs hab ich gar nicht verstanden, was er eigentlich von mir wollte. Das ist mir erst Jahre später klar geworden. Er hat mir die Liebe zum Rudern gezeigt. Ein Vorbild für Ihre Trainerarbeit? Schwer zu sagen, es gibt im Rudern in Deutschland kaum einen Trainer, bei dem ich als Sportler nicht schon trainiert habe. Ich versuche ohnehin möglichst wenig von meiner eigenen Erfahrung als Sportler in das einfließen zu lassen, was ich den Sportlern sage. Denn das, was für mich funktioniert hat, muss noch lange nicht für Jason Osborne und Moritz Moos funktionieren. Man muss immer versuchen, für jeden einzelnen das richtige zu finden. Und da sind wir hier, glaube ich, ganz gut geworden. Gerade bei Moritz Moos, mit dem wir jetzt seit knapp fünf Jahren zusammenarbeiten, wissen wir schon sehr genau, was wir da machen müssen, und können das sehr gut steuern. Sie setzen also auf eine langfristige Trainer-Sportler-Bindung am Standort Mainz? Das wird in Zukunft der Schlüssel zum Erfolg sein. Man wechselt ja auch nicht alle drei Wochen den Hausarzt. Hier in Mainz gehen alle diesen Weg mit. Hier stehen alle zusammen und kippen nicht gleich bei den ersten Konflikten um. Das ist heutzutage nicht selbstverständlich. Dass sich ein Verein wie der Mainzer Ruderverein in einer immer schwieriger werdenden Sportlandschaft so zum absoluten Hochleistungssport bekennt, ist eine tolle Geschichte. Das ist für Mainz nichts Alltägliches. Da haben andere Vereine mit ähnlicher Tradition in größeren Städten ganz andere Probleme. Es wird hier noch sehr viel passieren. Mit den künftigen Olympiasiegern Moos und Osborne? Eine Medaille in Rio 2016 kann klappen. Für Moos und Osborne ist aber Olympia 2020 in Tokio eher das Ziel, dann sind sie 26. Man vergisst sehr schnell, wie jung die noch sind. Den Druck möchte ich ihnen ein bisschen nehmen, dass sie schon in Rio die Medaille holen müssen. Das wäre schon ein Wunder. Die Zeit spielt jedenfalls für die beiden Jungs, sie sollen aber auch Spaß dabei haben, selbst wenn sie jetzt gerade die Küche im Bootshaus aufräumen. Wann ist man denn im besten Ruderalter? Früher hat man gesagt 26. Heutzutage muss man aber ganz klar sagen, dass in den harten Bootsklassen die Weltspitze über 30 ist. Erfahrene Sportler, die eine halbe Million Kilometer im System haben. Heute ist die Sportwissenschaft und -medizin so weit, dass die Bewegungssysteme es aushalten. Auch mit 35. Dann könnten Sie mit 36 Jahren ja auch noch ins Boot steigen... Ach nein, ich bin mittlerweile zu weich (lacht). Manchmal frage ich mich das zwar auch, aber wenn ich sehe, was die Kleinen so drauf haben, was die so machen. Nee! Ich denke lieber über das Rudern nach, als dass ich es noch mal selbst mache. Fehlt das aktive Rudern Ihnen denn wenigstens ab und zu? Eigentlich nicht. Fit zu sein, in Form zu sein, das ist ein schönes Gefühl. Und das fehlt mir schon. Aber den Psychoterror habe ich ja trotzdem auch als Trainer. Ohne die Anspannung und den Nervenkitzel könnte ich das aber auch nicht machen. Ohne das wäre es nicht möglich, deswegen ist man ja Trainer. Und was hier in der Trainingsgruppe für ein Druck auf dem Kessel ist, wenn die gegeneinander fahren... Richtig krass, was hier bereits los ist. Was wünschen Sie sich demnach für die Saison? Medaillen! Viele, viele Titel und Medaillen. Dafür machen wir es ja. Genau wie die Bayern. Es wäre zudem nach den Erfolgen im vergangenen Jahr schön, wenn wir es schaffen, uns ein bisschen breiter aufzustellen. Hier trainieren mittlerweile bis zu zehn Sportler mit WM-Chancen. Ob das eine Lea-Katleen Kühne, Philipp Grebner oder Anna-Maria Götz ist: Wir wollen weitere Sportler an die Spitze heranführen. Denn gewinnen macht Spaß. Das Gespräch führte Rainer Stauber Alle Artikel von Rudern