Kalenderblätter | Christian Karn | 22.07.2020

Zöpfe abgeschnitten, sich selbst abgesägt

Das 05-Kalenderblatt* für den 22. Juli.
Trainer für zwölf Spiele: René Vandereycken (r.), mit Kotraier Jean-Pierre Steynen.
Trainer für zwölf Spiele: René Vandereycken (r.), mit Kotraier Jean-Pierre Steynen. | Bernd Eßling

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es unter anderem um einen Trainer, der mit großen Erwartungen geholt worden war, aber nach zwölf Spielen wieder weggeschickt wurde, einen kantigen jugoslawischen Innenverteidiger und Dennis Weilands älteren Bruder.

 

22. Juli

Heute wird René Vandereycken 67 Jahre alt. Der ehemalige belgische Nationalspieler, Torschütze im verlorenen EM-Finale 1980 gegen Deutschland, war im Herbst 2000 kurzzeitig Trainer der 05er. Die hatten sich viel versprochen von einem international erfahrenen Mann, der jedoch aus einer dreijährigen Arbeitslosigkeit kam und bei seinen vorherigen Vereinen keinen großen Erfolg gehabt hatte.

Schon bei seiner ersten Trainerstation AA Gent, wo er wie sein indirekter Nachfolger in Mainz, Jürgen Klopp, im Laufe seiner letzten aktiven Saison vom Spieler zum Trainer geworden war, wurde Vandereycken als zu defensiv denkend kritisiert worden (aber erst nach knapp vier Jahren entlassen); die Topklubs Standard Lüttich (eine Saison) und RSC Anderlecht (fünf Monate) hielten es mit ihm nicht so lange aus.

Auch bei den 05ern war bald Schluss für Vandereycken. In zwölf Spielen holte der Belgier nur ebenso viele Punkte, neun davon durch drei aufeinanderfolgende Siege im September und Oktober. Sein Fehler: Er nahm keine Rücksicht auf Kaderstrukturen, demontierte Führungsspieler, vor allem den 33-jährigen Klopp. Zugutehalten musste man ihm, dass er die jungen Reservisten Sandro Schwarz und Manuel Friedrich zu Stammspielern und Leistungsträgern machte. Viel mehr funktionierte nicht.

Keine klare Linie

„Er wollte alte Zöpfe abschneiden, die ihm zu mächtig geworden waren oder den Anschein erweckten, dass sie im Verein, in der Mannschaft Macht ausüben könnten", erklärte später der damalige 05-Profi Jürgen Kramny. „Die Mannschaft war unruhig. Man hat gesehen, dass keine klare Linie da war. Wenn dann die Ergebnisse nicht stimmen, auch noch erfahrene Spieler unzufrieden auf der Bank oder auf der Tribüne sitzen, Klopp nicht im Kader ist, mobilisieren sich die Leute dagegen. Dann hat ein Trainer keine lange Haltbarkeit im Verein.“

Auf die Entlassung im November reagierte der Belgier tief verletzt. Vor Gericht mussten die 05er die Herausgabe des Schlüssels für die dem Verein gehörende, vom Trainer genutzte Wohnung erzwingen. Als Nachfolger kam Eckhard Krautzun, besser wurde es nicht. Erst Jürgen Klopp bekam ab Februar die Mannschaft in den Griff und aus dem Abstiegskampf.

Vandereycken galt auch bei seinen folgenden Trainerstationen als unbequeme Figur. Der Belgier legte sich mit seinen Vorständen, mit Kollegen, mit Schiedsrichtern an – und wurde 2006 dennoch Nationaltrainer seines Heimatlands. Nach dem Scheitern in der Qualifikation zur EM 2008 stand er schon Ende 2007 kurz vor dem Rauswurf, die Abstimmung des zuständigen Verbandsgremiums endete mit 11:10 Stimmen zu seinen Gunsten. Im Laufe der folgenden WM-Qualifikation, die früh außer Reichweite geriet, war schließlich Schluss für den vor allem im wallonischen Teil Belgiens umstrittenen Trainer, der schon seit einiger Zeit die französischsprachigen Medien weitgehend boykottiert hatte.

 

56 Jahre alte wird Miroslav Tanjga. Der große, eher schlaksige als wuchtige, aber kantige Jugoslawe kam 1996 als fast 32-Jähriger von Hertha BSC und war als Nachfolger des großen „Schorsch“ Müller sofort ein Leistungsträger in der Innenverteidigung. Zu den legendären Momenten der 05er in den 1990ern gehören die Kopfballduelle gegen den kleinen Meppener Marko Myyry, die Tanjga im Stehen gewann.

Der etwas jüngere Peter Neustädter bildete mit ihm drei Jahre lang eine ungeheuer routinierte Innenverteidigung, mit der die Mainzer 1997 nahe an die Bundesliga kamen. Auseinandergerissen wurde das Bollwerk im April 1999 in einem berüchtigten Spiel beim FC St. Pauli. Die 05er verloren ihren jugoslawischen Verteidiger und Torwart Dimo Wache mit schweren Verletzungen und waren anschließend nicht gut zu sprechen auf den Schiedsrichter Bernd Hauer, der die Behandlung des offensichtlich nicht mehr spielfähigen Wache minutenlang nicht zugelassen hatte, und den gegnerischen Trainer Willi Reimann, der dem Torwart Schauspielerei unterstellte.

Wache konnte nach monatelanger Pause seine Karriere fortsetzen, der bereits 34-jährige Tanjga nicht. Mit den 05ern blieb der zweimalige jugoslawische Meister (1989 mit Vojvodina Novi Sad, 1992 mit Roter Stern Belgrad) als Chefscout für Osteuropa weiterhin verbunden.

 

Seinen 48. Geburtstag feiert Niclas Weiland. Der ältere Weiland kam 2001 mit seinem Bruder nach Mainz – „Quick Nic“ von Tennis Borussia Berlin, Dennis vom VfL Osnabrück. Letzterer erwischte zwar den besseren Start, nicht nur beim Debüt in Aachen, sondern insgesamt in seinen ersten beiden Jahren, aber Niclas Weiland hinterließ den nachhaltigeren Eindruck. Nachdem er die komplette Hinrunde seiner zweiten Saison wegen einer schweren Verletzung verpasst hatte, meldete der Rechtsaußen sich mit zwei Toren und einer Vorlage beim 5:1 in Mannheim zurück.

2004 schoss er das erste Tor nach dem 1:3 in Fürth, den Führungstreffer beim 4:1 gegen den MSV Duisburg, das den Endspurt einleitete, der die 05er doch noch in die Bundesliga brachte. Dort war Niclas Weiland als Pressingmonster und viermaliger Torschütze im ersten halben Jahr ein Schlüsselspieler. Anschließend hatte der 32-Jährige immer wieder kleinere Verletzungen und verlor den Status als unumstrittene Stammkraft. 2006 beendete Niclas Weiland seine Karriere.

 

32 Jahre alt wird schließlich Tufan Tosunoglu. Der ehemalige türkische U-21-Nationalspieler aus Hessen ist eine der tragischeren Figuren der 05er in der jüngeren Vergangenheit. Nach einer starken Drittligasaison mit den Offenbacher Kickers verpflichteten die Mainzer den Angreifer 2010 auf Probe – sie wollten die Vorbereitung abwarten, um zu entscheiden, ob Tosunoglu besser zu den Profis oder zum Regionalligateam passt, und ließen ihn, als es für die Bundesliga nicht reichte, direkt zum Zweitligisten FSV Frankfurt ziehen. Wegen mehrerer Kreuzbandrisse spielte der Stürmer nur zweimal für die Bornheimer. Über den SV Niederauerbach und Wormatia Worms wechselte Tosunoglu 2014 zum Verbandsligisten Türkgücü Friedberg.

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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