Oberliga | Peter H. Eisenhuth | 19.11.14 „Die Deutschen sind lustiger und direkter“ Mit Oli Kahn fing alles an: Yo Yamaguchi, Torwart des SV Gonsenheim, und sein Kotrainer und Spielerbetreuer Babak Keyhanfar über die Motivation junger Japaner, in deutschen Amateurligen Fußball zu spielen, über Sprachprobleme und die Schwierigkeiten für Asiaten in Montenegro. Nur die Parkplatzssuche verlief nicht reibungslos: Yo Yamaguchi (l.) und Babak Keyhanfar nach dem Interview mit SPORTAUSMAINZ.de. | Peter H. Eisenhuth Babak Keyhanfar betreut Yo Yamaguchi nicht nur über seiner Agentur, sondern steht als spielender Kotrainer des SV Gonsenheim auch in einer Mannschaft mit dem japanischen Torwart. | Eva Willwacher Ein Jahr Montegro war genug: Kurz vor Saisonbeginn kehrte Yo Yamaguchi nach Gonsenheim zurück. | Eva Willwacher Gonsenheim. Yo Yamaguchi ist ehrgeizig. Nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch im Gespräch. Der japanische Torwart des Fußball-Oberligisten SV Gonsenheim will alle Fragen selbst beantworten, auch wenn er manchmal etwas länger nach den passenden deutsche Vokabeln suchen muss. Nur in Ausnahmefällen bittet er Babak Keyhanfar um Hilfe. Keyhanfar ist als stürmender Kotrainer des SVG nicht nur Yamaguchis Mitarbeiter. Als Mitarbeiter der in Mainz ansässigen Agentur Europlus International, deren Geschäftsführer der früher in Gonsenheim und bei den 05-Amateuren aktive Takashi „Taka“ Yamashita ist, betreut er auch junge Japaner, die nach Deutschland kommen, um hier in Amateurligen Fußball zu spielen. Mit SPORTAUSMAINZ.de sprachen Yamaguchi und Keyhanfar über die Motivation junger Japaner, in Deutschland zu kicken, über unterschiedliche Mentalitäten, den Abstecher nach Montenegro, Sprachprobleme und Sushi. Das Gespräch fand am 13. November statt. Herr Yamaguchi, wissen Sie, welcher Tag heute ist? Yamaguchi: Welcher Tag? Nee. Heute ist Weltnettigkeitstag. Yamaguchi: Was ist das? Ein in Japan erfundener Tag, an dem alle Leute besonders nett zueinander sein sollen. Yamaguchi: Ach so? Den habe ich nicht gekannt. Ist es schwer, wenn man als Japaner nach Deutschland kommt, mit den Umgangsformen, mit dem Verhalten der Leute hier zurechtzukommen? Yamaguchi: Als ich herkam, konnte ich noch gar kein Deutsch sprechen. Da habe ich nicht so viel darüber nachgedacht, was die Leute gesagt haben. Aber jetzt, wo ich bisschen besser spreche, denke ich viel mehr nach, was die Leute meinen, wie sie etwas meinen und wie ich mich dann verhalten soll. Zum Beispiel heute: Ich habe mich erst mit Babak getroffen, und er war ein bisschen schlecht gelaunt. Da habe ich die ganze Zeit überlegt, was soll ich sagen, was soll ich nicht sagen… Also, jetzt ist es schwerer als früher. Keyhanfar: Mit „schlecht gelaunt“ meint er die Situation, als mir ein anderer Autofahrer den Parkplatz, für den ich schon länger geblinkt hatte und auf den ich gerade fahren wollte, vor der Nase weggeschnappt hat… Yamaguchi: (etwas lauter) „…so ein Arschloch“! Keyhanfar: (lacht) Das habe ich gesagt. Japaner gelten als sehr höfliches Volk. Fehlt Ihnen das in Deutschland? Yamaguchi: Nein. In Deutschland habe ich viele nette Menschen kennengelernt. Ich glaube, die Deutschen sind lustiger als Japaner. Und sie sagen, was sie denken. Das gefällt mir sehr gut. Das gefällt mir besser, als wenn man das, was man wirklich denkt, hinter höflichen Worten versteckt. Was war für Sie der Grund, nach Deutschland zu kommen? Der Fußball? Yamaguchi: Genau. Als ich ein kleines Kind war, fand in Japan und Südkorea die WM 2002 statt. Damals habe ich zum ersten Mal Oliver Kahn gesehen. Seitdem habe ich mich nach Deutschland gesehnt. Wegen Oliver Kahn? Yamaguchi: Deswegen. Und damals hatten Sie nicht den Eindruck, dass die Deutschen meistens schlechtgelaunt sind? Oliver Kahn hat doch meistens geguckt wie Babak, wenn ihm einer den Parkplatz klaut. Yamaguchi: (lacht) Ich hatte auch gehört, dass es in Deutschland viele gute Torhüter gibt. Deswegen wollte ich immer einmal nach Deutschland, um hier Fußball zu spielen. Es ist schon etwas ungewöhnlich, dass junge Menschen so weit entfernt von ihrer Heimat sind, um Fußball zu spielen, ohne damit Geld zu verdienen. Sie bekommen wahrscheinlich etwas weniger Geld als Shinji Okazaki. Yamaguchi: Fast keins. Aber in Deutschland kann ich viel Erfahrung sammeln. Langsam muss ich aber auch mal arbeiten, um Geld zu verdienen. An der Stelle kommen Sie ins Spiel, Herr Keyhanfar: Wenn junge Japaner in Deutschland Fußball spielen wollen? Keyhanfar: Genau. In Japan gibt es die J-League, und es gibt die Zweite Liga, die auch noch professionell organisiert ist, aber in der es bei den Gehältern schon auf unser Regionalliganiveau geht. Die Dritte Liga findet eigentlich nicht mehr statt, zumindest nicht so gut organisiert und strukturiert wie bei uns. Für junge Japaner, die es nicht auf Anhieb in die Erste oder Zweite Liga schaffen, aber trotzdem weiter Fußball spielen wollen, gibt es nicht viele Möglichkeiten, und deshalb entscheiden sie sich dann häufig fürs Ausland. Es gibt viele Agenturen und Privatleute, die anbieten, beispielsweise nach Südamerika zu gehen. Und für Europa kommen wir ins Spiel. Wir bieten sozusagen „betreutes Europa“ an: Wir kümmern uns um die Vereinsvermittlung, aber auch um alles andere: Krankenversicherung, Visum, Wohnung, Flug. Das ist für die Jungs eine Möglichkeit, in Europa Fuß zu fassen und in Amateurvereinen auf ordentlichem Niveau Fußball zu spielen. Herr Yamaguchi, wie haben Sie in Japan gelebt? Noch bei Ihren Eltern oder hatten Sie eine eigene Wohnung? Yamaguchi: Bis 18 Jahre habe ich in Kanagawa noch bei meinen Eltern gewohnt, danach habe ich etwas weiter nördlich Fußball gespielt und an einer Fachschule gelernt, da hatte ich eine eigene Wohnung. Danach bin ich nach Deutschland gegangen. In eine komplett fremde Umgebung? Keyhanfar: In eine Wohngemeinschaft mit anderen Japanern. War es schwierig, Ihr Leben hier zu organisieren? Yamaguchi: Am Anfang gar nicht. Das haben Babak und Taka alles gemacht. Keyhanfar: Die bürokratischen Dinge übernehmen wir ja. Was das tägliche Leben angeht, Dinge wie einkaufen oder den Haushalt organisieren, müssen die Jungs selbst erledigen. Selbstständigkeit ist für die meisten Japaner, die zu uns kommen, ganz ungewohnt, das müssen sie erst einmal lernen. Für Yo gilt das nicht, er hat ja schon zwei Jahre alleine in Japan alleine gelebt. Aber das ist auch ein Punkt, dass viele junge Japaner aus einem behüteten Umfeld kommen, in dem sie alles vorbereitet vorgefunden haben, plötzlich auf sich alleine gestellt sind. Die täglichen Aufgaben, die im Haushalt oder im Alltag auf einen warten, beispielsweise die ersten Kochversuche, müssen sie auf einmal selbst bewältigen, und der eine oder andere hat damit schon ein riesen Problem. Wie viele Spieler betreuen Sie? Keyhanfar: Aktuell sind es 16, die meisten in Mainz. Aber immer wieder auch einige außerhalb, zum Beispiel Yuki Nakagawa von den Schalker Amateuren. Hatten Sie in Deutschland auch direkt einen Verein, Herr Yamaguchi? Yamaguchi: Ja, zuerst war ich in Bodenheim, siebte Liga, Landesliga. Nach einem halben Jahr ging ich nach Gonsenheim. Ist das vom Niveau her vergleichbar mit der Liga, in der Sie in Japan gespielt haben? Yamaguchi: Ich glaube, die Vierte Liga in Japan ist etwa so stark wie die Fünfte Liga in Deutschland. Aber es ist ein ganz anderer Stil. Ich würde gerne mal ein Match sehen zwischen einem Verein aus der deutschen Oberliga und einem Verein aus der Vierten Liga in Japan (lacht). Und wo würden Sie dann spielen? Yamaguchi: In Gonsenheim (lacht). Als Torwart müssen Sie auch Ihrer Abwehr Kommandos geben. Wie hat das funktioniert, als Sie noch kein Deutsch konnten? Yamaguchi: Zuerst habe ich „links“, „rechts“ gelernt, dann „raus“ und „rückwärts“. Manchmal frage ich meine Mitspieler, wie man bestimmte Sachen sagt. Mein Torwarttrainer sagt mir, ich muss mehr Deutsch lernen… Besuchen Sie Sprachkurse? Yamaguchi: Ja, ja, ich bin in einer Sprachschule. Normalerweise fünfmal pro Woche. Keyhanfar: Die Kommandos kann er inzwischen alle. In der Beziehung gab es eigentlich auch kaum Probleme. Probleme gab es, wenn Yo sich mal einen Abwehrspieler schnappen musste, um ihn zurechtzuweisen. Das habe ich ihm irgendwann gesagt, dass er ein bisschen aggressiver werden muss… Oli Kahn! Yamaguchi: Oli Kahn! Keyhanfar: Gerade nach einem Erlebnis wie dem 0:7 in Neunkirchen…. Dass er es nicht einfach so über sich ergehen lässt, wenn die Abwehrspieler ihn alleine stehenlassen. Aber das macht er inzwischen besser, er hat ja auch schon oft zu Null gespielt. Es ist wahrscheinlich nicht ganz billig für Sie, in Deutschland zu leben. Yamaguchi: Nicht sehr… Das heißt, letztlich legen Sie noch Geld drauf, damit Sie in Deutschland Fußball spielen können? Yamaguchi: Ja. Haben Sie vorher genügend Geld gespart? Yamaguchi: Bis jetzt geben meine Eltern mir Geld, aber ich muss mir jetzt bald einen Job suchen, damit ich alles selbst bezahlen kann. Ist das üblich, dass die Eltern den Aufenthalt finanzieren, weil sie wollen, dass die Kinder Auslandserfahrung sammeln? Keyhanfar: Wer in Japan an die Uni will, zahlt im Jahr 40.000 bis 50.000 Euro Studiengebühren. Die Jungs entscheiden sich dann frühzeitig, ob sie in Japan studieren wollen oder lieber ins Ausland gehen. Das kostet nicht ganz so viel und bringt Erfahrungen, die sich auch im Lebenslauf gut machen, Auslandsaufenthalte sind in Japan sehr hoch angesehen. Wenn man so etwas vorzuweisen hat, kann man später im Berufsleben damit punkten. Nach diesem Schema funktioniert das bei allen Fußballern, die Sie betreuen? Keyhanfar: Meistens. Ab Regionalliga soll aber der jeweilige Verein die Spieler so weit finanzieren, dass die kein eigenes Geld mehr aufbringen müssen. Das ist ja auch normal, dass Regionalligisten ihren Spielern ein Gehalt zahlen, von dem die Spieler leben können. Von der Regionalliga an zahlen die Spieler auch kein Geld mehr an uns für Betreuung. Dann können sie auf eigenen Beinen stehen, oder der Verein hilft ihnen. Haben Sie Ihren Aufenthalt hier für einen bestimmten Zeitraum geplant, oder ist noch alles offen? Yamaguchi: Das habe ich noch nicht festgelegt. Aber mindestens bis nächstes Jahr im November bleibe ich, so lange gilt mein Visum. Keyhanfar: Um länger bleiben zu können, müsste Yo dann eigentlich hier arbeiten, Regionalliga spielen oder… …eine Deutsche heiraten. Yamaguchi: Eine Deutsche heiraten, ja. (lacht) Sie waren zwischendurch in Montenegro... Yamaguchi: Ja, für ein Jahr. Warum? Yamaguchi: Ich wollte auch den Wettbewerb in anderen europäischen Ländern kennenlernen… Keyhanfar: …und unsere Firma hat in Montenegro einen Standort. Und wie war es dort? Yamaguchi: Da kann man sehr billig Lebensmittel kaufen. Das ist doch schon mal was. Yamaguchi: Aber in Montenegro gibt es fast keine Ausländer aus Asien. Wenn ich da zum Einkaufen in den Supermarkt gegangen bin… (schaut mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen in die Luft). Ich hatte den Eindruck, die Menschen in Montenegro mögen keine Asiaten. Alle Asiaten werden als Chinesen bezeichnet. Einmal hat mich ein kleines Kind geschlagen und gerufen „China, China“. Aber normalerweise sind die Menschen in Montenegro sehr nett. Da Sie gerade die Lebensmittel angesprochen haben: Ernähren Sie sich hier weitgehend japanisch, oder haben Sie sich ans deutsche Essen gewöhnt? Yamaguchi: Ich kaufe viele Sachen, die es in Dosen gibt. Auch Spaghetti, Reis, Gemüse. Eine Bratwurst auf dem Sportplatz geht auch? Yamaguchi: Bratwurst? Ja, klar! Es muss kein Sushi sein? Yamaguchi: Sushi mag ich überhaupt nicht. Herr Yamaguchi, Sie zerstören gerade alle Klischees… Sie wohnen inzwischen nicht mehr in der WG? Yamaguchi: Nein. Ich habe jetzt eine eigene Wohnung. Haben Sie trotzdem noch viel Kontakt zu den anderen Fußballern aus Japan in Mainz? Yamaguchi: Sehr viel. Montags und mittwochs ist japanisches Training. Babak…? Keyhanfar: Taka und ich bieten zweimal in der Woche nachmittags noch ein zusätzliches Training für die Jungs an, die über Europlus hier sind. Da treffen sich dann alle, auch diejenigen, die nur für zwei oder vier Wochen gekommen sind, um sich das mal anzusehen. Normalerweise leitet Taka das Training, ich bin vor allem dabei, wenn es darum geht, einen neuen Spieler dahingehend einzuschätzen, welche Liga für ihn infrage kommt. Bewerben sich die Interessenten aus Japan eigentlich direkt bei Ihnen? Keyhanfar: Unser Hauptsitz ist in Tokio, wir sind eine Tochtergesellschaft. Taka ist der Geschäftsführer, ich bin Angestellter. Finanziert wird alles von Tokio aus; dort wirbt das Unternehmen auch für Fußballaufenthalte in Europa, dort macht es auch den Umsatz. Herr Yamaguchi, Babak sagte im Vorgespräch, dass Sie darüber nachdenken, ein halbes Jahr lang keinen Fußball zu spielen, um mehr Zeit zu haben, Deutsch zu lernen. Yamaguchi: Ja, das ist sicher. Ich will besser Deutsch sprechen können. Gehen Sie dafür weg aus Mainz? Yamaguchi: Nein, nein, ich bleibe hier. Aber dann können Sie doch auch weiter Fußball spielen… Keyhanfar: Für Yo ist es auch eine Kopfsache. Er sagt, wenn er drei-, viermal die Woche Training plus ein Spiel am Wochenende hat, dazu alle zwei Wochen die Auswärtsfahrten, findet er nicht mehr genügend Zeit und Kraft, zusätzlich die Sprache zu lernen. Deshalb will er sich ein halbes Jahr mal komplett darauf konzentrieren. Was sagen Sie als Kotrainer des SV Gonsenheim dazu? Keyhanfar: Klar ist das für uns keine schöne Geschichte. Wir hätten gerne, dass er auch in der Rückrunde bei uns spielt, weil er charakterlich top ist und sich in der Hinrunde leistungsmäßig enorm weiterentwickelt hat. Yo ist eine feste Größe geworden, unsere klare Nummer eins, er hat so oft zu Null gespielt – das hätte ihm am ersten Spieltag keiner zugetraut. Aber wir müssen seine Meinung natürlich respektieren und akzeptieren. Es hat ja auch wenig Sinn, wenn er nicht richtig bei der Sache ist. Die Entscheidung ist gefallen? Keyhanfar: Für ihn schon. Aber wir probieren vielleicht noch mal, ihn umzustimmen… Nur Deutsch lernen ist auf Dauer auch langweilig. Yamaguchi: Im Moment habe ich sehr großes Interesse, Deutsch zu lernen. Das ist auch gut so, aber wenn Sie nichts anderes machen… Yamaguchi: Vielleicht mache ich ja auch noch was anderes. Welches Ziele haben Sie als Fußballer noch? Yamaguchi: Wenn es geht, möchte ich noch höher spielen. Aber ich weiß, dass es schwierig ist, wenn ich jetzt eine Pause mache. Wie alt sind Sie jetzt? Yamaguchi: 24. Keyhanfar: Für einen Torwart ist das noch sehr jung. Yamaguchi: Gibt es noch eine Chance? Es gibt auf jeden Fall die Chance, älter zu werden… Sie machen den Eindruck, dass Sie sich in Mainz sehr wohlfühlen und gerne hier leben. Yamaguchi: Normalerweise habe ich kein Problem hier. Aber ich muss lernen, selbstständiger zu werden. Zum Beispiel selbst zur Bank zu gehen und Überweisungen zu machen. Bei solchen Sachen helfen mir Babak und Taka. Wenn ich anfange, mich selbst darum zu kümmern, kommen die Probleme wahrscheinlich… Vermissen Sie etwas aus Ihrer Heimat? Yamaguchi: Japanisches Essen. Außer Sushi. Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth. Alle Artikel von Fußball (Amateure)