Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 19.03.14

„Wir sind die, die zwischen den Stühlen sitzen“

Aus einer Initiative der DGB-Jugend gegen Ausländerfeindlichkeit Anfang der 90er-Jahre ging das Fanprojekt Mainz hervor – in diesem Jahr feiert es seinen 20. Geburtstag. Unter anderem mit einer Feier am Samstagabend in der Lokhalle, bei der die Frohlix, Motorkopp und Springtoifel auftreten. Über Geschichte und Gegenwart des Fanprojektes sprach SPORTAUSMAINZ.de mit dem Vorsitzenden Markus Delnef und Projektleiter Thomas Beckmann.
Markus Delnef (l.) gehört zu den Gründern des Fanprojektes, Thomas Beckmann ist seit 17 Jahren dabei.
Markus Delnef (l.) gehört zu den Gründern des Fanprojektes, Thomas Beckmann ist seit 17 Jahren dabei. | Peter H. Eisenhuth
Mit der gelben Hand fing alles an: Aus der Aktion der DGB-Jugend gegen Rassismus ging das Fanprojekt hervor.
Mit der gelben Hand fing alles an: Aus der Aktion der DGB-Jugend gegen Rassismus ging das Fanprojekt hervor. | Fanprojekt Mainz
Aus der Fanprojekt-Historie: Die Mitarbeiter Monika Paulus, Dirk Weber, Thomas Beckmann und dessen Vorgänger an der Spitze, Volker Kratz.
Aus der Fanprojekt-Historie: Die Mitarbeiter Monika Paulus, Dirk Weber, Thomas Beckmann und dessen Vorgänger an der Spitze, Volker Kratz. | Fanprojekt Mainz
Und sportlich waren sie auch, zumindest noch zu guten, alten Bruchweg-Zeiten.
Und sportlich waren sie auch, zumindest noch zu guten, alten Bruchweg-Zeiten. | Fanprojekt Mainz

20 Jahre Fanprojekt Mainz. Sie waren bei der Gründung dabei, Herr Delnef. Wie war das damals?

Delnef: Ich war damals Vorsitzender der DGB-Jugend, und wir hatten die „Gelbe Hand“-Aktion gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Mainz 05 haben wir am Bruchweg eine Plakataktion gemacht. Aber nur Plakate und Infostände war uns zu wenig, wir wollten etwas Längerfristiges aufbauen. Daraus entstand die Idee, das Fanprojekt zu initiieren. In diese Zeit fiel im Land der Regierungswechsel, es gab Gespräche mit dem Land, der Stadt und Mainz 05. Zuständig war damals noch Peter Schmitt als hauptamtlicher Jugendsekretär des DGB.

Auslöser des Ganzen war aber das Thema Ausländerfeindlichkeit?

Delnef: Genau, angefangen von unserer Aktion „Doppelpass mit Ali“. Daraus ist das Fanprojekt als nachhaltige Arbeit entstanden.

War es schwierig, das Projekt ins Leben zu rufen? Eine Vorgabe war ja, dass es eine Drittelfinanzierung geben muss.

Delnef: Es hat zwei Jahre gedauert, aber es ging eigentlich ohne große Widerstände über die Bühne. Willi Abts war damals Sozialdezernent und stand der Sache sehr offen gegenüber, Innenminister Walter Zuber ebenfalls. Es wurde natürlich etwas verhandelt, wir haben den Landessportbund mit ins Boot genommen, und alle Beteiligten wurden sich ziemlich schnell einig.

Wissen Sie noch, mit wie viel Geld und Personal Sie angefangen haben?

Beckmann: Man wollte mit 180.000 D-Mark starten – es dauerte allerdings einige Zeit, bis diese Summe auch erreicht wurde. Und es gab eine hauptamtliche Stelle.

Wann sind Sie dazugestoßen?

Beckmann: Ich bin eigentlich aus dem Ruhrpott, hatte in Duisburg studiert und beim dortigen Fanprojekt mitgearbeitet und bei einer Tagung die Mainzer kennengelernt. Ende 1996 habe ich dann hier ein vierwöchiges Praktikum gemacht und dann im Mai 97 eine feste Stelle bekommen, Also genau die Zeit, in der hier die heiße Entwicklungsphase losging – auch wenn wir das entscheidende Spiel um den Aufstieg in Wolfsburg mit 4:5 verloren haben.

Das war die zweite hauptamtliche Stelle des Projektes?

Beckmann: Es war noch eine Zweidrittelstelle. Da gibt es diese Anekdote, dass wir in Wolfsburg standen, neben mir Peter Schmitt, und nach unserem frühen 1:0 sagte er zu mir: „Du weißt, was das bedeutet?“ Ich: „Ja, geil, Aufstieg.“ Er: „Das auch. Aber jetzt im Moment hast du gerade eine volle Stelle…“ Damals wurden die Zuschüsse für Fanprojekte noch ligaabhängig gezahlt – und so hatte ich für elf Minuten eine volle Stelle. Anschießend hat es dann doch noch ein paar Jahre gedauert. Und seit 2003 bin ich Projektleiter.

Es gab über die Jahre hinweg immer wieder Krisen, das Projekt stand mehrmals vor dem Aus. Wenn Mainz 05 in den 90er-Jahren aus der Zweiten Liga abgestiegen wäre…

Delnef: …wäre das auch das Aus fürs Fanprojekt gewesen. Damals gab es das nur für Erste und Zweite Liga, heute ist es ligaunabhängig. Eintracht Trier beispielsweise hat auch als Regionalligist ein eigenes Fanprojekt.

Beckmann: Es ist ja auch hirnrissig: Nur, weil ein Verein absteigt, ändert sich ja nichts an der Fan-Masse und an eventuellen Problemen. Es gab früher sogenannte Fahrstuhlmannschaften wie Arminia Bielefeld oder den VfL Bochum, die hatten immer das Problem, dass die Fanprojekte nach einem Aufstieg zwar mehr Geld hatten, aber sie konnten trotzdem keine neuen Leute einstellen, weil sie wussten, nach einem Jahr müssen wir sie möglicherweise wieder entlassen…

War es über die 20 Jahre gesehen immer wieder ein Kampf mit den drei Finanziers?

Delnef: Also, bei der Stadt hat es sich etabliert, da müssen wir im Prinzip gar keine Gespräche über die Verlängerung führen. Das Fan-Projekt hat hier schon immer ein hohes Ansehen. Ähnlich ist es bei DFB und DFL, da gibt es auch nie Schwierigkeiten. Mit dem Land haben wir allerdings jedes Jahr einen Kampf um die 50.000 Euro, die wir seit drei Jahren jährlich bekommen. Für 2014/15 haben wir dieses Geld sicher, aber im Vorfeld des Doppelhaushaltes gab es einigen Redebedarf.

Beckmann: Es ist unglaublich energie- und zeitraubend, diese Finanzierungsdebatten immer wieder aufs Neue führen zu müssen. Das hatte in der Vergangenheit auch zur Folge, dass wir uns nicht so sehr auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren konnten, wie wir es wollten. Es geht auch darum, wie viele Mitarbeiter man am 1.1. des nächsten Jahres noch hat. Es gab Jahre, in denen hatten wir unseren Etat erst im September, Oktober des laufenden Jahres sicher.

Wo steht das Fanprojekt inzwischen personell und finanziell?

Beckmann: Wir haben dreieinhalb feste Stellen, dazu derzeit bis September eine Honorarkraft. Unser Gesamtetat ist mittlerweile bei knapp 300.000 Euro – wenn man das mit 180.000 D-Mark vom Anfang vergleicht, ist das schon eine andere Hausnummer.

Delnef: Die Stadtwerke Mainz unterstützen uns auch, zum Beispiel bei der anstehenden Fahrt nach Auschwitz.

Beckmann: Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Wir haben schon in hochrangig besetzten politischen Runden gesessen, in denen wir den Tipp bekamen, bei der Mittelbeschaffung kreativ zu sein, weil wir uns nicht darauf verlassen dürften, dass es die öffentlichen Zuschüsse immer geben wird. Deshalb haben wir schon immer Wert darauf gelegt ein großes Netzwerk aufzubauen. So kam es beispielsweise dazu, dass die Bundesagentur für Arbeit uns vor zwei Jahren mit 30.000 Euro unterstützt hat …

Delnef: … was leider aufgrund einer veränderten Bundesgesetzgebung nicht mehr möglich ist. Danach hat sich dann vor einem Jahr der Förderverein gegründet, der uns wertvolle Hilfe leistet.

Beckmann: Wenn uns ein großer Unterstützer wegbricht, das unterscheidet uns von vielen anderen Fanprojekten, sind wir besonders betroffen, weil wir einen Trägerverein haben. Andere Fanprojekte haben zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt als Träger – wenn da mal 30.000 Euro wegfallen, fängt die AWO das auf. Oder sie übernimmt Mitarbeiter, die das Fanprojekt nicht mehr bezahlen kann.

Welches Selbstverständnis hat das Fanprojekt? Versteht ihr euch als Ansprechpartner der Fans, als Vermittler zwischen Fans, Verein und Polizei?

Beckmann: Wir sind die, die immer zwischen den Stühlen sitzen.

Delnef: Das haben wir in den letzten Wochen gemerkt.

Beckmann: Wir haben einen ganz großen Auftrag, der im „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit“ festgeschrieben ist: Unsere Klientel sind jugendliche Fußballfans von 14 bis 27 Jahren. Wir haben eine Parteilichkeit einzunehmen, gerade im Hinblick auf Medien, Polizei und Verein…

…also steht ihr immer auf Seiten der Fans.

Beckmann: Vom Auftrag her ist es so. Wir haben allerdings in Mainz immer Wert darauf gelegt, in alle Richtungen ganz klar Position zu beziehen. Das heißt, wenn auf Fanseite richtig Mist gebaut wird, habe ich kein Problem damit, das bei den Leuten zu benennen. Das mache ich nicht öffentlich, ich bin nun mal Sozialarbeiter. Das ist aber auch mit ein Grund für unsere Akzeptanz in der Fanszene. Jetzt haben wir diese Diskussion rund um die Ultra-Kultur – aber wer ist denn derjenige, der wirklich nahe dran ist? Das sind wir. Jeder Knüppel, der uns von dritter Seite zwischen die Beine geschmissen wird, macht die Arbeit nicht leichter. Das ist auf Dauer auch zermürbend. Irgendwann leert sich der Akku. Deswegen ist es für uns so wichtig, mit allen Netzwerkpartnern im Gespräch zu bleiben. Mit der Polizei, insbesondere mit dem Verein, um auch immer wieder unsere Rolle deutlich zu machen. Das ist momentan mehr denn je notwendig. Auch, um deutlich zu machen, welche Auswirkungen es hat, wenn das Fanprojekt von dritter Seite instrumentalisiert werden soll…

Wie weit geht die Parteinahme?

Beckmann: Wenn ich sehe, dass eine schlimme Straftat begangen wird, habe ich eine bürgerliche Pflicht. Wir haben kein Zeugnisverweigerungsrecht, das ist ein großes Manko in unserer Arbeit, aber das wissen wir. Und das sagen wir auch den Fans, dass wir, wenn es hart auf hart kommt, vor Gericht aussagen müssen.

Nach dem Vorfall in Schalke war zu lesen, dass Thomas Beckmann „nicht gesehen haben will“, was passiert war.

Beckmann: Dieser Artikel hat hohe Wellen geschlagen und hat mich persönlich hart getroffen. Die zwei Wochen danach waren sehr schlimm für mich, wenn ich ständig angesprochen wurde, „Ah, da ist ja der, der nix gesehen haben will…“, oder ähnliches. Da hat mich irgendwann mein achtjähriger Sohn gefragt, „Papa, was ist denn da los.“ Es hat mir sehr geholfen, dass der Vorstand des Fanprojektes zu 100 Prozent hinter mir stand, dass auch Mainz 05 zu 100 Prozent hinter mir stand. Das war wieder so ein Beispiel dafür, wie von außen Unfrieden gestiftet wird. Dabei hatte ich in der Zeitung den Vorfall ganz klar verurteilt.

Der Vorfall war: Bus voller Fans, ein Polizist kommt rein, ein Fan schlägt ihm eine Flasche ins Gesicht.

Beckmann: Oder wirft mit einer Flasche, ich weiß es nicht. Ich habe das definitiv nicht gesehen, und ich bin auch froh darüber. Aber das ist eine Sache, die geht nicht, die thematisieren wir seitdem auch permanent in die Szene hinein. Damit habe ich auch kein Problem, selbst wenn dadurch Konflikte entstünden. Es gab auch Fans, die mir vorgeworfen haben, dass ich in meiner ersten Stellungnahme nicht auch den Einsatz der Polizei als überzogen kritisiert habe. Aber so etwas halte ich aus, das ist mein Job. Ich habe ganz bewusst nicht Öl ins Feuer gießen wollen bei meinem ersten Kommentar. Ich wollte bewusst nicht diese Aktion auch nur ansatzweise rechtfertigen.

Delnef: Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie von zwei Seiten Öl ins Feuer gegossen wird, und die vernünftigen, versachlichenden Stimmen kommen vom Fanprojekt. Aber dann heißt es sehr schnell, das Fanprojekt verteidige Gewalttäter – während die Fans kritisieren, sie würden nicht in Schutz genommen. Das ist ein schwieriges Spannungsverhältnis.

Beckmann: Gerade angesichts der Entwicklung hin zur Null-Dialog-Kultur in Richtung Polizei und Verein…

…von den Fans ausgehend?

Beckmann: Ja. Und auf der anderen Seite die immer stärkeren Repressionsmaßnahmen. Aber wenn man sich mal 20 Jahre zurückbeamt: Was hatten wir denn da für Zustände? Ich war damals relativ oft bei Schalke im Stadion, da war es gang und gäbe, dass die Leute sich am Bierstand wegen ihrer Kutten gepumpt haben. Das soll nicht heißen, dass ich es gut finde, wenn es heute irgendwelche Vorfälle gibt, aber man muss es richtig einzuordnen wissen. Aber wenn wir darauf hinweisen, heißt es, „ihr redet alles schön“.

Delnef: Diese Hysterie, die in den letzten zwei Jahren gegen die Ultras herrscht, ausgelöst durch das Spiel zwischen Hertha und Düsseldorf, wo sich hinterher herausstellte, dass es alles andere war als ein aggressiver Akt, gegen die ist ganz schwer anzukommen. Wir müssen weg von dieser Hysterie.

Zum Heimspiel gegen Hertha BSC hatte Mainz 05 die Aktion „Mainz-05-Fans gegen Gewalt“ initiiert, fast alle Zuschauer hielten die Plakate hoch. Vor der Stehtribüne hing dagegen ein großes Banner mit der Aufschrift „Mainz-05-Fans gegen Polizeigewalt“. Viele fanden das geschmacklos. Wusstet ihr vorher von dieser Aktion?

Beckmann: Große Choreos müssen bei den Fanbeauftragten von Mainz 05 angemeldet werden. Was Banner angeht, gab es seinerzeit heiße Diskussionen, nachdem bei einem Spiel gegen den FCK dessen Trainer Marco Kurz persönlich diffamiert wurde. Wir haben uns anschließend auf eine Regelung verständigt, dass solche Geschichten nicht gehen und dass Banner ab sofort von den jeweiligen gekennzeichnet werden, damit nachvollziehbar ist, wer es war. Und dass bei Inhalten, die für Ärger sorgen könnten, das Fanprojekt vorher informiert wird, damit wir es einschätzen können.

Von der Geschichte jetzt wussten wir nichts – das haben die Fans offenbar nicht so eingeschätzt. Ich muss sagen: Wenn sie dieses Banner aufgehängt und dahinter alle die Papptafeln hochgehalten hätten, hätte ich damit überhaupt kein Bauchweh gehabt. Es gibt ja auch einige Beispiele, in denen Sicherheitsdienst oder Polizei über die Stränge geschlagen sind, und das sollte mit dem Banner zum Ausdruck gebracht werden. So hätte man dann klar zum Ausdruck bringen können: „Wir sind gegen Gewalt – egal von wem sie ausgeht!“ So, wie die Fans es gemacht haben, fand ich die Aktion nicht gut.

Wie sehr hat sich die Fanszene gewandelt? Das Thema von vor 20 Jahren, Rassismus im Stadion, scheint heute kein ganz großes Thema mehr zu sein. Womit habt ihr es heute zu tun?

Beckmann: Wir sind an dem Thema schon dauerhaft dran. Und wir haben es tatsächlich geschafft, Diskriminierung und Rassismus aus dem Stadion zu verbannen. Da muss man immer am Ball bleiben. Unser Kernthema ist momentan „Dialog“. Den Dialog zwischen den verschiedenen Parteien, die am Fußball, am Spieltag beteiligt sind, aufrechtzuerhalten beziehungsweise ihn erst mal wieder in Gang zu bringen.

Seit wann ruht der Dialog?

Delnef: Seit zwei Jahren.

Beckmann: Die Debatte über Pyrotechnik hat viel kaputtgemacht. Dazu haben alle ihren Teil beigetragen, und die Scherben haben wir noch nicht weggefegt.

Aber da stehen ja nicht nur die Fans gegen Polizei, Verein und DFL, sondern da sind die Fans ja auch intern gespalten – und diejenigen, die Pyro im Stadion wollen, sind deutlich in der Minderheit. Bei der Aktion 12:12 beispielsweise hat man ja schon gemerkt, dass einem Großteil des übrigen Publikums die Haltung der Ultras gewaltig auf den Sack geht.

Beckmann: Zunächst mal sind die Ultras nicht unsere einzige Zielgruppe, wir stehen auch mit anderen Fanklubs in intensivem Kontakt. Die Gruppen sind sich untereinander nicht alle grün, deswegen haben wir einen Stammtisch ins Leben gerufen, damit sich die unterschiedlichen Gruppen an einen Tisch setzen. Das ist super angelaufen. Diese Rolle kann außer dem Fanprojekt niemand einnehmen. Zu der 12:12-Aktion muss ich sagen, dass das Stadion den Schweigeappell weitgehend mitgetragen hat. Die gegensätzliche Meinung kam erst in dem Moment auf, als die Mainzer Ultras sich dazu hinreißen ließen, in die „Scheiß DFB“- und andere Gesänge einzustimmen. Dann kippte die Stimmung im Stadion.

Delnef: In den letzten zwei, drei Jahren geht die Entwicklung dahin, eine Front gegen die Ultras aufzubauen, von den Medien, von der Politik. Egal, was passiert: Die Ultras waren die Bösen. Dabei wird dann gerne mal übersehen, dass es in Mainz vor allem den Ultras zu verdanken ist, dass wir im Stadion keine Probleme mit Rassismus und Diskriminierung haben. Das wird ausgeblendet. Es wird nur gesehen, wenn die Ultras Pyros zünden. Wenn jemand anderes die Pyros zündet, waren es die Ultras. Der Münzwurf gegen Lukas Podolski kam aus einer ganz anderen Ecke – aber es waren natürlich die Ultras.

Beckmann: Dann wird eine Toilette angezündet, wie ich gehört habe, war der Täter um die 50 …

… ein alter Ultra?

Beckmann: Wahrscheinlich.

Delnef: Die Jungs sind 15, 16, 17, 18 Jahre alt. Wenn die ständig gesagt bekommen, sie seien Verbrecher, brauchen sie auch mal jemanden, der sich schützend vor sie stellt.

Beckmann: Aber nicht pauschal!

Delnef: Nicht pauschal, es ist immer ganz wichtig, zu differenzieren. Wenn sie Scheiße bauen, müssen sie dafür auch geradestehen.

Beckmann: Man darf nicht vergessen, dass es sich dabei auch um eine Jugend-Subkultur handelt. Das sind 350 bis 400 Jugendliche, und da sind natürlich auch Leute dabei, die definitiv zu weit gehen. Aber dann zu erwarten, dass eine Selbstregulierung einsetze: Was verlangt man denn da? Dass jemand den Freund seines Freundes verrät? Das ist weltfremd.

Hm, das hätten wir früher auch nicht gemacht, dafür muss man kein Fan gewesen sein. Wenn bei uns einer im Wald den Hochsitz umgesägt hat, haben wir das auch für uns behalten. Eine kriminelle Karriere haben wir deshalb nicht eingeschlagen…

Delnef: Wenn in den 50er-Jahren Hechtsheim gegen Weisenau gespielt hat, hat’s auch geknallt, wie ich von meiner Verwandtschaft gehört habe.

Beckmann: Im Übrigen sind die Ultras intern viel selbstkritischer, als man vielleicht glaubt.

Das ist eine heterogene Gruppe?

Beckmann: Auf alle Fälle. Aber je mehr Vorfälle es gibt, bei denen der Eindruck entsteht, sie seien ungerecht behandelt worden, desto schwieriger wird es für die, ich sage mal „gemäßigten Kräfte“, sich durchzusetzen. Man muss sich auch mal ins Bewusstsein rufen: Hier im Stadion ist auf Heimseite noch nicht gezündelt worden. Das ist so selbstverständlich nicht, wenn man sich mal bundesweit umschaut. Pyro ist in Mainz ein sehr kleines Thema – aber auch darüber wird intern intensiv diskutiert. Und noch etwas: Wenn ich montags in der Zeitung lese, was am Wochenende ohne jeglichen Fußballbezug in der Stadt los war, dass da Polizisten getreten, bespuckt oder sonst was wurden, dann kann man nicht ernsthaft glauben, dass im Stadion eine Ausnahmesituation herrscht.

Warum sind bei einem Fußballspiel mit 30.000 Besuchern auf überschaubarem Raum so viele Polizisten im Einsatz wie beim Rosenmontagszug in der gesamten Stadt?

Beckmann: Diese Thematik ist bundesweit angekommen, auf politischer Ebene und auf den oberen Polizeiebenen. Der Fußball, DFL und DFB haben sich dieses Themas auch angenommen; es gibt Regionalkonferenzen, bei denen man sich austauscht, und wo wir immer für mehr „Mut zu Lücke“ plädieren.

Das bedeutet?

Beckmann: Einfach mal die Polizeipräsenz zu reduzieren. Eines der friedlichsten Derbys daheim gegen Kaiserslautern habe ich erlebt, nachdem wir uns im Vorfeld mit der Polizei und den Vereinen darauf verständigt hatten, dass unbehelmt begleitet wird. Es gab „Communicator“, die Ansagen machte, warum die Polizei wie agiert, et cetera. Das war total stressfrei. Im Jahr drauf dachten wir, das liefe von alleine erneut so, aber die Polizei hat eine andere Taktik gewählt – und es gab Stress. Ich kann das schon verstehen, dass ein Einsatzleiter nicht riskieren will, dass etwas passiert – dann wäre er nämlich derjenige, der es zu verantworten hat. Aber wo soll das hinführen?

Ich habe kein Verständnis dafür, dass man sich auf Seiten der Polizei nach der Schalke-Geschichte dahingehend äußert, in Mainz die Sicherheitsvorkehrungen und die Anzahl der Hundertschaften zu erhöhen. Was hat denn dieser Vorfall in Gelsenkirchen mit der Situation hier zu tun?

Wie ist die Gesprächskultur zwischen Fanprojekt und Polizei im Vergleich zu anderen Städten?

Beckmann: Wir haben eine gute Arbeitsebene gefunden. Über einen so langen Zeitraum gibt es natürlich Höhen und Tiefen, aber wir haben ein gemeinsames Ziel: Wir wollen einen ruhigen, friedlichen Spieltag haben – nur, dass wir unterschiedliche Präventionsansätze haben. Der Ansatz der Polizei ist nicht so langfristig angelegt wie unserer. Mit den szenekundigen Beamten gibt es einen guten Austausch, das funktioniert schon.

Gibt es Städte, in denen man als Auswärtsfan besonders schlecht behandelt wird?

Beckmann: Jaaa, es gibt Spiele, zu denen wir mit Bauchschmerzen fahren. In Bremen haben wir zuletzt zweimal Probleme gehabt, und das lag nicht an der Polizei, sondern am Sicherheitsdienst, der über die Stränge geschlagen ist. Grundsätzlich ist das unterschiedliche Verhalten der Polizei nicht unproblematisch. Wenn man mit dem Zug durch mehrere Bundesländer fährt, die Polizeibegleitung entsprechend wechselt, und die einen erlauben den Fans, im Zug zu rauchen, und die nächsten notieren dafür eine Anzeige, dann ist das zumindest eher unglücklich.

Sie hatten selbst schon einen kleinen Zusammenstoß mit der Polizei...

Beckmann: … „klein“ ist gut. Das war 2005 in Gladbach, die Mainzer haben kurz vor Schluss den Ausgleich geschossen, die Stimmung war super. Als wir in die Busse einsteigen sollten, fehlten noch drei Fans, die angeblich Gladbachern in die Arme gelaufen waren. Das hatten wir alles mit dem szenekundigen Beamten geklärt, die Kommunikation lief eigentlich gut, aber dort stand eine Hundertschaft, die gerade frisch von der Polizeischule gekommen war und plötzlich ungeduldig wurde. Es gab Ansagen über Megafon, wir sollten alle einsteigen, sonst müssten sie andere Maßnahmen ergreifen. Vor einem überfüllten Bus standen noch fünf, sechs Leute. Die Polizei zog ihren Ring immer enger, den Hunden wurde lange Leine gegeben, und unsere Leute wurden in den Bus gedrückt. Auf einmal flog ein Plastikbecher aus dem Bus heraus – und als Reaktion hat die Polizei massiv Pfefferspray in den Bus gesprüht. Das alles war übrigens auch auf dem Polizeivideo zu sehen. Diejenigen, die noch draußen waren, wurden massiv mit Schlagstöcken zur Seite geprügelt, und zu denen gehörte ich.

Aber, um das klar zu sagen: das war ein Ausnahmefall! So, wie es auf Fanseite immer wieder mal zu klar zu verurteilenden negativen Ausschlägen kommt, ist es auch auf Polizeiseite.

Haben Sie Anzeige erstattet?

Beckmann: Ja. Als wir nach Hause kamen, konnten wir im Videotext lesen, 120 Mainzer Hooligans hätten im Bus 150.000 Euro Sachschaden angerichtet. Tatsächlich war im Bus ein Mädel am Hyperventilieren und andere haben dann eine Scheibe eingeschlagen, um frisch Luft in den Bus zu lassen. Der Vorfall hat mich noch sehr lange psychisch beschäftigt.

Sie sind jetzt 41 Jahre alt und machen den Job seit 17 Jahren. Wie lange kann man das machen, körperlich und psychisch?

Beckmann: Auf Fanprojekttagungen haben wir immer wieder einen Workshop zum Thema „In Würde altern“, wo wir uns dieser Thematik widmen. Ein lustig formulierter Titel mit ernstem Hintergrund. Wir haben Kollegen, die tatsächlich in diesem Job in die Rente gegangen sind, aber ich selbst kann mir nicht vorstellen, dass ich mit 50, 55 immer noch in einem Bus mit Jugendlichen sitze und sie verstehe. Da merke ich jetzt schon, dass das schwieriger ist. Auf der anderen Seite macht der Job so viel Spaß, weil er so vielseitig ist, weil man so viele Freiheiten hat. Deshalb habe ich schon noch vor, das noch ein paar Jährchen zu machen. Das hängt aber auch davon ab, wie sich das Umfeld entwickelt. Ich möchte hier ganz normale Jugendsozialarbeit machen – und nicht jedes Jahr aufs Neue mit dem Land über Geld streiten und verhandeln müssen.

Das Gespräch führten Peter H. Eisenhuth und Christian Karn.

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