Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 16.07.2019

Rückkehr nach Rheinhessen

AUS DEM TRAININGSLAGER (III) – Für Michael Thurk ist der Kotrainerjob bei Mainz 05 eine Herzensangelegenheit. In Grassau erklärt der Aufstiegsheld von 2004 auch, warum sein Wechsel nach Frankfurt ein Fehler war, der nach Cottbus dagegen nicht.
Michael Thurk hat einen anderen Blickwinkel auf die Offensivarbeit als das übrige, aus der Defensive kommende Trainerteam.
Michael Thurk hat einen anderen Blickwinkel auf die Offensivarbeit als das übrige, aus der Defensive kommende Trainerteam. | Peter H. Eisenhuth

Grassau. Vor zwei Jahren war Michael Thurk schon einmal in Grassau. Damals als Trainer der Jugendmannschaft seines kleinen Sohnes, mehr ein Hobby. Als der 43-Jährige am Montag in den Ort am Chiemsee zurückkehrte, ging es wieder um Fußball, diesmal aber in ganz anderer Mission: Seit zwei Wochen fungiert er als einer von drei Kotrainern des FSV Mainz 05, geholt, um sich in erster Linie um die Offensive („Ich habe als ehemaliger Stürmer einen anderen Blickwinkel“) und um Gegnerbeobachtung zu kümmern.

Kontakt zu den 05ern habe es schon länger gegeben, allerdings habe er ursprünglich mit Volker Kersting, dem Leiter des Nachwuchsleistungszentrums geredet. Mit Cheftrainer Sandro Schwarz stand und steht er ohnehin auch privat in einem regen Austausch – inklusive gemeinsamen Familienurlaubs –, auch mit Rouven Schröder gab es Gespräche. Und nach dem Motto „Wenn wir eh schon dabei sind“ sei irgendwann die Idee entstanden, ihn ins Trainerteam der Profis einzubinden.

Anzeige

Schönste Zeit als Profi

Für Thurk ist es die Rückkehr zu jenem Klub, für den er von 1999 bis 2004 in der Zweiten und von Januar 2005 bis August 2006 in der Ersten Liga als Torjäger tätig war. Jetzt wieder in Diensten der Rheinhessen zu stehen, ist für ihn nicht nur ein Job, sondern auch eine Herzensangelegenheit. „In Mainz hatte ich meine schönste Zeit als Profi, das Umfeld und der gesamte Staff sind top, und die Reaktionen der Fans zeigen mir, dass auch sie sich freuen“, sagt er. „Wenn ich es mir hätte aussuchen können, wäre meine Wahl immer auf Mainz 05 gefallen.“

Das war nicht immer so. Während seiner aktiven Karriere hatte Thurk sich einmal bewusst gegen den Klub entschieden, und das lief nicht geräuschlos ab. Nach drei Spieltagen der Saison 2006/07 verließ er den Bruchweg, was ihm die Fans aus zwei Gründen übelnahmen: Zum einen, weil er zur Frankfurter Eintracht wechselte, zum anderen, weil er über die Medien seine Freigabe           provozierte und anschließend verkündete, endlich für seinen Traumverein spielen zu dürfen. Die Mainzer stiegen am Ende dieser Saison ab.

Grundsätzlich mochte man es dem Frankfurter ja nicht verdenken, dass sein Herz für die Eintracht schlug. Es hätte dem Offensivmann freilich auch nicht geschadet, die Sache etwas defensiver anzugehen.

In Frankfurt keine Chance

„Es gibt wohl niemanden, der nicht schon mal einen Fehler gemacht hat“, sagt Thurk rückblickend. „Dieser Wechsel war einer. Im Nachhinein würde ich das nicht mehr so machen.“ Schließlich war es nicht damit getan, fürs Erste bei den 05-Anhängern allen Kredit verspielt zu haben. Schlimmer noch: Der Aufstiegsheld von 2004 riss sein virtuelles Denkmal in der Landeshauptstadt ein, ohne dass es sich auszahlen sollte.

„In Frankfurt hatte ich im Grunde keine Chance“, erzählt er. Nicht bei den Fans, auch nicht bei vielen Journalisten, irgendwann auch nicht mehr bei Trainer Friedhelm Funkel. Nach anderthalb Jahren zog der Stürmer zum FC Augsburg weiter, wurde Zweitligatorschützenkönig, stieg mit den Schwaben auf und beendete anschließend seine Karriere (verletzungsbedingt) beim 1. FC Heidenheim.

Kein Fehler sei hingegen sein erster Abschied aus Mainz gewesen. Die Bilder sind legendär, als die Mainzer im Mai 2004 nach einem 3:0 gegen Eintracht Trier den Aufstieg in die Erste Liga feierten, Doppeltorschütze Thurk jedoch weinend in der Kabine saß. Er hatte bereits bei Energie Cottbus unterschrieben – ohne zu ahnen, dass die Lausitzer in die Zweite Liga absteigen würden. „Aber was sollte ich machen?“, fragt er rhetorisch, „in Mainz hatte mir ja niemand einen neuen Vertrag angeboten.“

Ablöse aus eigener Tasche gezahlt?

Die Trennung dauerte nur eine Hinrunde, dann holten die Mainzer den Stürmer zurück. Das Gerücht, Thurk sei in Cottbus so unglücklich gewesen, dass er einen Teil der Ablösesumme aus eigener Tasche bezahlte, war im Prinzip keines. „So war es eigentlich geplant“, bestätigt er, „aber der Verein hat mir das am Ende der Saison wegen guter Leistungen erlassen.“

Gute Leistungen erwartet Michael Thurk auch von seinen neuen Schützlingen. Weil er sieht und schon in der vorigen Saison gesehen hat, was die 05-Stürmer draufhaben. „Die Qualität ist hoch“, sagt er mit Blick auf Jean-Philippe Mateta, Robin Quaison, Karim Onisiwo, den jungen Jonathan Burkardt und den zunächst für die U23 vorgesehenen Cyrill Akono. Besonders beeindruckend sei Matetas Entwicklung. „Aus der französischen Zweiten Liga zu kommen und hier auf Anhieb 14 Tore zu schießen, das ist stark.“

Heute keine 90 Minuten mehr

Thurk ist auch angetan von der heutigen Spielergeneration, von ihrer Professionalität und von der Entwicklung, die der Fußball dadurch genommen hat. „Die Spieler leben heute viel bewusster für den Sport als wir es damals getan haben. Nicht, dass wir nicht auch immer alles gegeben hätten“ – aber damals nahmen die Kicker auch noch vieles mit, was heute undenkbar scheint.

„Wenn man sieht, wie sich die Jungs ernähren, auf die Idee wäre von uns niemand gekommen“, nennt er als Beispiel. „Das hat sich echt viel getan. Ich glaube aber, wenn du nicht so auf deinen Körper achtest und dich nicht an die Ernährungspläne hältst, hast du heute keine Chance mehr.“ Das Spiel sei so viel schneller, so viel athletischer geworden und verlange den Spielern viel mehr Lauffreude ab. „Das Spiel hat sich komplett gewandelt, auch wenn die Regeln gleichgeblieben sind.“

Wie seine Karriere unter diesen Voraussetzungen verlaufen wäre? „Das steht in den Sternen“, sagt Thurk. Was er weiß, ist, dass er mit seiner Spielweise heutzutage in der Bundesliga kaum noch mitwirken dürfte. „Zumindest keine 90 Minuten.“ Die Profis seien extrem austrainiert, die Technik sei ausgefeilt, alles lasse sich analysieren. „Wenn der Trainer dir damals nach dem Training gesagt hat: ,Du bist heute ein bisschen wenig gelaufen’, hast du geantwortet: ,Da hast du dich verguckt‘. Heute ist das kein Argument mehr, da hast du alle Daten schwarz auf weiß.“

„Mateta wird Lewandowski überholen“

Sicher, nach wir vor gehe es für einen Stürmer im Endeffekt darum, den Ball ins Tor zu schießen, damit sei es jedoch nicht mehr getan. Angreifer, die sich nur um die Offensive kümmerten, gebe es nicht mehr (an dieser Stelle können wir vielleicht Mario Gomez ausnehmen, d. Red.). „Da ist keiner, der nicht elf, zwölf Kilometer pro Spiel läuft, gegen den Ball arbeiten wird größer geschrieben denn je.“

Bester Stürmer der Bundesliga sei nach wie vor Robert Lewandowski, sagt der Inhaber der Elite-Jugend-Lizenz und der A-Lizenz. „Aber Mateta wird ihn in den nächsten Jahren überholen“, fügt er lachend an. Das wird schon aus biologischen Gründen früher oder später passieren.

Übrigens: Was die Sache mit der Trauer nach dem Sieg gegen Cottbus im Mai 2004 angeht – „abends sah das anders aus…“

Alle Artikel von Fußball (Bundesliga)