Uwe Martin | 01.10.14 Ach du lieber Scholli! 82 Jahre, 1,76 Meter, 69 Kilogramm, erfolgreich: Günter Schollmayer sammelt in der Leichtathletik Titel von den Süddeutschen bis zu den Weltmeisterschaften. 15,60 Sekunden: Die 100 Meter sprintete Günter Schollmayer in diesem Jahr schneller als 2012 und 2013. | privat 3,67 Meter: Im Weitsprung wurde Günter Schollmayer in diesem Jahr Hallen-Weltmeister. | privat Mainz. Wirklich, meint Günter Schollmayer am anderen Ende der Leitung, da wollen Sie hinkommen? Es seien doch nur Süddeutsche Mehrkampf-Meisterschaften. „Und ich war dieses Jahr doch schon Weltmeister.“ Aber natürlich lässt sich der Senior überreden und stimmt einem Treffen zu. Nieder-Olm, Stadion „Am Engelborn“, bestes Wetter. In den diversen Senioren-Altersklassen haben 105 Teilnehmer gemeldet. Süddeutschland, das umfasst bei den Leichtathleten die Bundesländer Hessen, Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Was sofort auffällt: Der Umgangston ist bisweilen rau, aber herzlich. Eine der Begrüßungsformeln, als eine Männergruppe sich einfindet: „Guten Morgen, ihr alten Säcke!“ Schollmayer ist schon längst da, er sitzt vergnügt in einem faltbaren Campingstuhl im Innenraum. Und ist die Ruhe selbst. Beim Erstkontakt stellt er sofort klar: „Wir duzen uns. Sportler duzen sich. Ich bin der Günter.“ Also duzen wir uns. Alle duzen sich. Nicht nur eine regionale Legende Mit 82 Jahren ist er der Älteste unter den sogenannten Alten, drahtig, 1,76 Meter groß, 69 Kilogramm schwer. Günter Schollmayer, den fast alle nur Scholli nennen, ist nicht nur eine regionale Legende. Vor zwei Jahren gewann er in Zittau fünf Europameistertitel in der Altersklasse 80: über 100 Meter, im Weitsprung und im Hürdenlauf, im Speerwerfen und mit der Staffel. Bei eingangs erwähnter WM, es war unter dem Hallendach von Budapest Ende März, gewann er den Weitsprung (3,67 Meter) und wurde Dritter über 60 Meter. Drei Wochen zuvor bei den Deutschen Hallen-Meisterschaften in Erfurt, war er mit 3,90 Meter sogar europäische Weitsprung-Bestleistung gesprungen. Im Juli stand Schollmayer bei der Freiluft-DM dreimal auf dem Podest. Zweimal ganz oben (100 Meter, Weitsprung), im Speerwerfen wurde er Dritter. „Aber eigentlich bin ich Mehrkämpfer“, sagt er bestimmt. Man muss ihn mögen. Schollmayer erzählt von seinem Windows-8-Betriebssystem, das seit einiger Zeit seinen Rechner antreibt und das er nicht versteht; er erzählt von Peter Mörbel, dem ehemaligen Topathleten des USC Mainz, der unlängst mit 73 gestorben ist. „Von ihm habe ich das Speerwerfen gelernt.“ In kurzer Zeit rauschen viele bekannte Namen aus dem Umfeld des USC Mainz vorüber, auch der des Sportprofessors Berno Wischmann. Erst mit 55 zur Leichtathletik gekommen Schollmayer fand erst im Alter von 55 Jahren zur Leichtathletik. Vorher habe er „immer ein bisschen etwas gemacht“ – für das Deutsche Sportabzeichen. Der gelernte Elektroinstallateur hatte auf dem Bau gearbeitet, später als Kranfahrer. Als er mit Sechzig in den Vorruhestand ging, fing es mit dem Sport erst richtig an. Und wenn Schollmayer sagt, dass „mich in Deutschland fast jeder kennt“, erscheint dies zunächst übertrieben, auf die Sparte Senioren-Leichtathletik bezogen stimmt es aber. In Deutschland gibt es wohl nur zwei noch ältere wettkampfaktive Senioren. Und vielleicht macht sich das Alter auch nicht unbedingt am Geburtsdatum fest. Schollmayer trägt silberfarbene Puma-Spikes, modische CEP-Strümpfe bis zum Knie, er startet für den Eisenbahner Sportverein Eintracht Mainz. Gegründet 1927, nur fünf Jahre älter als er. Sicher, er könnte auch das Trikot des Renommiervereins USC Mainz überstreifen, „aber die haben schon genügend Betrieb, die brauchen mich nicht“. Mit 80 erstmals über die Hürden Kritiker von Senioren-Wettkämpfen und dem dahin führenden Training werden einwenden, dass es letztlich ohnehin nur darum gehe, den naturgegebenen Leistungsabfall zu minimieren. Oder nicht? Dass Schollmayer in diesem Jahr über 100 Meter (15,60 Sekunden) schneller war als 2013 (16,19) und 2012 (15,76) erstaunt deshalb umso mehr. „Wir haben etwas verändert“, erzählt seine Trainerin Ellen Marquardt. Die Zeiten des Tiefstarts sind vorbei, Schollmayer beginnt den Lauf nun aus der Hocke, aber immer noch aus dem Block. Ellen Marquardt weiß, wie es geht, unter ihrem Mädchennamen Kern sprintete sie die 100 Meter in 11,6 Sekunden. Und der Scholli, sagt sie, wolle „immer alles sofort machen“. Wie vor zwei Jahren, als er meinte: „Ellen, zeig mir doch mal Hürdenlaufen.“ Da war er schon 80. Den Eindruck, dass er überzieht, hat man bei Schollmayer nicht. Und er ist ehrlich, erzählt, dass er auch schon mal „eine Voltaren“ nimmt, wenn es im Handgelenk, Sprungelenk oder im Vorderfuß zu sehr zwickt. Aber nur in Ausnahmefällen. „Ansonsten schone ich mich einfach ein paar Tage.“ Nun ist er auch Süddeutscher Meister im Mehrkampf 2014, was mangels annähernd gleichwertiger Konkurrenz schon im Vorfeld zu erwarten war. Ein Zuschauer drückte es anders aus. „Der Scholli macht sie alle nass.“ Mehr aktuellen Sport aus Mainz lesen Sie hier. Alle Artikel von Leichtathletik