Zweite Bundesliga Damen | Peter H. Eisenhuth | 10.04.14

„Ich saß erst mal da und fand das völlig verrückt“

05-Handballerin Meike Schmelzer im „Interview der Woche“ über ihre Karriere, die zweijährige Verletzungspause und den Tag, als der Anruf vom Deutschen Meister kam.
Vom Zweitligaabstiegskampf in die Champions League: 05-Kreisläuferin Meike Schmelzer (vorne) steht vor einem riesigen Karrieresprung.
Vom Zweitligaabstiegskampf in die Champions League: 05-Kreisläuferin Meike Schmelzer (vorne) steht vor einem riesigen Karrieresprung. | Bernd Eßling
Zwei Treffer steuerte Meike Schmelzer am vorigen Samstag zum überlebensnotwendigen 22:21-Sieg gegen den TV Nellingen bei.
Zwei Treffer steuerte Meike Schmelzer am vorigen Samstag zum überlebensnotwendigen 22:21-Sieg gegen den TV Nellingen bei. | Bernd Eßling

Mainz. Meike Schmelzer ist auf dem Weg nach oben. Die 20 Jahre alte Kreisläuferin des Handball-Zweitligisten FSV Mainz 05 wechselt in der kommenden Saison in die Erste Liga. Nicht zu irgendeinem Klub, sondern zum amtierenden und vermutlich auch kommenden Deutschen Meister Thüringer HC. SPORTAUSMAINZ.de sprach mit der Lehramtsstudentin für Englisch und Sport über ihre bisherige Karriere, eine zweijährige Verletzungspause und ihre Ziele.

Frau Schmelzer, das hat man nicht so oft, dass sich der Deutsche Meister mit einem Vertragsangebot meldet. Brauchten Sie viel Bedenkzeit, oder war die Entscheidung schon mit der Anfrage gefallen?

Ich musste nicht lange überlegen, um zu sagen, dass ich mich auf jeden Fall in Erfurt umgucken würde. Mir war schon klar, dass sich da eine riesengroße Chance auftut.

Wann und wie haben Sie vom Interesse des Thüringer HC erfahren?

Im Februar bekam ich eines Abends einen Anruf von einer unbekannten Nummer, es meldete sich ein Herbert Müller, er sei Trainer des Thüringer HC. Und er sagte sinngemäß: „Wir haben von dir gehört, wie wär’s?“

Und?

Ich saß dann erst mal da und fand das völlig verrückt, das war eine ganz krasse Situation. Damit rechnest du ja nicht, dass dich abends der Trainer des THC anruft. Das war saucool. Dann hat Herr Müller ein bisschen mehr erzählt, dass ich als dritte Kraft kommen solle, dass ich als Talent gefördert werden solle.

Mit wem haben Sie zuerst darüber geredet?

Mit meinen Eltern. Und danach habe ich direkt Karin Euler, meine Trainerin angerufen.

Was hat den Ausschlag für Ihre Zusage gegeben?

Damals, als Herr Müller anrief, war noch nicht klar, dass Anja Althaus, d i e deutsche Kreisläuferin, Erfurt verlassen würde. Die Situation war also die, dass ich als dritte Kreisläuferin geholt werden würde und ein bisschen durch Anja Althaus angelernt werden sollte, aber eventuell auch durch ein Zweitspielrecht bei einem anderen Verein Spielpraxis sammeln würde.

Das wäre möglicherwiese so ein Fall gewesen wie Jan Kirchhoff, der von Mainz 05 zum FC Bayern ging, aber dann an Schalke ausgeliehen wurde…

Genau, und dann hätte ich mir viel genauer überlegen müssen, ob ich das wirklich machen will oder nicht doch erst bei einem Verein wie den Vulkan-Ladies in Koblenz weiter Erstligaerfahrung sammele. Als dann aber bekanntwurde, dass Anja Althaus nach Skopje wechselt, war es für mich eigentlich keine Frage mehr, dem THC zuzusagen. Für mich ist es wichtig, dass ich Spielanteile bekomme. Das hat man auch in dieser Saison gesehen, wie wichtig das für eine junge Spielerin ist. Und die Perspektive auf Spielanteile in Erfurt ist jetzt einfach deutlich größer.

Dass Sie Mainz verlassen würden, war vor der Saison schon klar. Oder hätten die 05er das mit einem Aufstieg in die Erste Liga noch in andere Bahnen lenken können?

Ich sag’s mal so: Es war vor der Saison noch nichts klar. Ich hatte eine relativ schwere Aufgabe, weil ich in dieser Saison die einzige Kreisläuferin bin. Glücklicherweise konnte ich mich ganz gut entwickeln, und ich habe, glaube ich, das Vertrauen ein bisschen zurückzahlen können, das unsere Trainerin mir geschenkt hat. Das war für mich vor der Saison so nicht absehbar, dass ich eine ganz gute Runde spielen würde. Deshalb war auch nicht klar, dass ich nach der Saison weggehen würde. Natürlich war es schon immer mein Wunsch, in die Erste Liga zu kommen.

Was heißt „schon immer“?

Das kann ich gar nicht genau sagen. Irgendwie, seitdem ich Handball spielen kann und mit einem Ball in der Halle herumgedotzt bin. Irgendwann kam ich in die Rheinhessenauswahl, dann ging es immer weiter und weiter. Ich hatte auch meine Vorbilder und dachte mir: Da möchte ich auch mal gerne hin. Den Traum von der Bundesliga hatte ich jedenfalls schon relativ früh, und in den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass er vielleicht auch Realität werden kann.

In welchem Alter haben Sie mit dem Handball angefangen?

Schwer zu sagen. Da meine Eltern beide Handballer sind, habe ich von Anfang an in der Halle gestanden. Ich hatte praktisch keine andere Chance… (lacht)

Angefangen haben Sie in Ingelheim…

…beim HSC, bis zur C-Jugend, dann bin ich zu Mainz 05 gewechselt.

Vor zwei Jahren wurden Sie in die Juniorinnen-Nationalmannschaft berufen. Eigentlich recht spät für erste internationale Einsätze, oder?

Es war bei mir ein bisschen komplizierter, da muss ich etwas weiter ausholen.

Wir haben Zeit und Platz.

Ich war relativ früh bei der Rheinhessenauswahl dabei, auch schon bei den älteren Jahrgängen, kam dann zur Rheinland-Pfalz-Auswahl des 93er-Jahrgangs und wurde nach einer DHB-Sichtung für die Jugend-Nationalmannschaft entdeckt. Aber leider musste ich dann aufgrund mehrerer Verletzungen fast zwei Jahre lang pausieren.

Welche Verletzungen waren das?

Im rechten Knie hatte ich einen Knorpelschaden. Das war keine Sportverletzung, ich hatte einfach Pech. Das Ganze war sehr problematisch, und ich brauchte eine behutsame Reha, deswegen hat das auch so lange gedauert.

Das nervt einen als Jugendliche doch wahrscheinlich kolossal? Vor allem, wenn man so auf dem aufsteigenden Ast ist wie Sie damals – und dann zwei Jahre raus ist.

In der Phase, als ich gerade wieder hätte einsteigen können, hat sich dann mein linkes Knie gemeldet. Es war überlastet, ich musste an der Patellarsehne operiert werden. Dadurch hat sich die Pause noch länger hingezogen. Aber seitdem hatte ich nichts mehr, außer einem Nasenbeinbruch.

Man sieht nichts davon.

Ja, die wurde gerichtet… (lacht)

Gab es irgendwann in den zwei Jahren den Moment, in dem sie überlegt haben, den Sport sein zu lassen?

Nein, nie. Es war eine sehr schwere Zeit, aber ich war sehr oft in der Halle, habe meine Stabi-Übungen gemacht, habe den Mädels zugeguckt, bin zu den Spielen mitgefahren. Und ich wusste, dass ich das nicht einfach hinter mir lassen will. Dafür war mir Handball viel zu wichtig.

Ihre Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt.

Als wir vor zwei Jahren mit der A-Jugend Südwestdeutscher Meister wurden, bin ich ohne mein Wissen vom Verband beobachtet worden und bekam anschließend eine Einladung für die U19-Nationalmannschaft, habe drei Lehrgänge mitgemacht und bin mit zur Europameisterschaft gefahren. Das ging plötzlich alles ziemlich schnell. Wahrscheinlich hatte ich einfach nur Glück, dass ich damals in den Finalspielen gegen Sulzbach beobachtet wurde und einen ganz guten Eindruck gemacht hatte.

Gut genug, um bei der EM viel Spielzeit zu bekommen.

Ich habe jedesmal in der Startsechs gestanden. Das hätte ich mir wenige Wochen vorher nicht vorstellen können.

So betrachtet ist die Entwicklung über die zwei Zweitligajahre und das Zweitspielrecht für die Vulkan-Ladies Koblenz hin zum Deutschen Meister fast logisch.

Hm, was heißt logisch? Es ist im Leistungssport natürlich wichtig, dass man gesund bleibt. Ich hatte in den Jugendjahren genug Verletzungspech, und ich bin sehr froh, dass es jetzt so läuft. Ich bin auch dankbar, dass ich die Chance in Koblenz bekommen habe. Das war eine gute Plattform, um sich mal zu zeigen.

Wie viele Einsätze hatten Sie da?

Am vorigen Sonntag war es der dritte Einsatz.

Sie haben samstags mit Mainz 05 gegen den TV Nellingen gespielt und sonntags in Koblenz?

Ja. Die Belastung muss man mögen, aber ich mag sie.

Sie haben eben gesagt, Sie seien Ihrer Trainerin sehr dankbar für die Gelegenheit, sich so zu entwickeln. Was ist in dieser Saison passiert, in der Sie als einzige Kreisläuferin der 05er auf dem Feld standen – wie lange eigentlich pro Spiel?

Oftmals 60 Minuten, bis zum bitteren Ende. Ich bin Karin Euler total dankbar. Seitdem sie in Mainz ist, trainiere ich bei ihr und habe ihr sehr viel zu verdanken. Nicht jede Trainerin lässt eine 20-Jährige in der Zweiten Liga 60 Minuten am Kreis sowie in der Abwehr im Innenblock spielen. Für mich ist das perfekt, was Besseres hätte mir gar nicht passieren können. Ich wohne in der Nähe, bin bei meiner Familie…

… aber nicht mehr lange.

Ja, jetzt kommt ein neuer Lebensabschnitt.

In welcher Beziehung haben Sie sich in der laufenden Saison am meisten weiterentwickelt?

Ich glaube, einfach beim Spielen. Natürlich ist das Training wichtig, aber letztlich kommt es aufs Spiel an. Da versucht man, möglichst wenig Fehler zu machen, da hat man die Chance, sich von Woche zu Woche zu verbessern.

Auf „Antenne Mainz“ ist vor Heimspielen Ihrer Mannschaft noch der Jingle zu hören: „Sie waren Sechster. Sie spielen in der Zweite Bundesliga. Und das ist ihre Saison…“.

Okay.

Die ersten beiden Sätze kann man stehenlassen, den dritten nicht ganz. Was ist passiert, dass die 05-Handballerinnen so tief im Abstiegskampf stecken?

Gute Frage. Ich glaube, man hat öfter gesehen, dass wir viel Potenzial haben, dass wir es aber in dieser Saison nicht so richtig abrufen können. Ich habe keine Ahnung, woran es hängt. Wir haben viel geredet, weil wir andere Ziele hatten, das muss man ganz klar so sagen.

Ihr wolltet zumindest um den Titel mitspielen.

Inoffiziell hieß es, dass wir ein Aufstiegskandidat sind, und wir haben auch eine super Vorbereitung gespielt. Vielleicht ist das zweite Jahr in einer Liga ja wirklich immer etwas schwieriger als das erste. Vorige Saison haben uns sicher einige Gegner unterschätzt, und wir haben auch viele Spiele ganz knapp gewonnen. Diese knapp gewonnenen Spiele fehlen uns dieses Jahr, die verlieren wir stattdessen mit zwei oder der Toren. Das ist sehr ärgerlich.

Und hat die Mannschaft zeitweise auf den vorletzten Platz abrutschen lassen.

Wenn wir am Samstag das Spiel gegen Nellingen verloren hätten, wäre es ganz eng geworden, da müssen wir nicht um den heißen Brei herumreden. Aber wir geben unser Bestes, um uns noch da unten rauszuziehen.

Trotz der schwierigen Situation haben schon einige Spielerinnen verlängert, unter anderem Kapitänin Laura Schmitt.

Das spricht für unser Teamgefüge. Wir verstehen uns untereinander sehr gut, wir haben viel Spaß zusammen – auch in der aktuellen Situation. Dass jetzt ein paar Spielerinnen verlängert haben, ist ein sehr gutes Zeichen auch für das, was nächstes Jahr kommt.

Egal, was kommt, für Sie findet das nächste Jahr in Erfurt statt. Wie ist der Verein dort strukturiert?

Das ist natürlich ein ganz anderes Umfeld als hier in Mainz. Trotzdem ist es auch sehr familiär, das ist eine gewisse Parallele zu dem, was ich hier in Mainz erfahren habe. Ich war schon dort, habe mit vielen Leute gesprochen, unter anderem mit Anja Althaus – sie ist, ich muss es wirklich so sagen, mein absolutes Vorbild, schon immer gewesen. Es ist super, wenn man mit so einer gestandenen Spielerin über Handball reden kann. Und Erfurt ist auch eine sehr schöne Stadt.

Der Verein dort hat ein besseres Umfeld, weil er noch in alter ostdeutscher Sportfördertradition steht?

Da steht der Handball einfach viel stärker im Mittelpunkt. Die müssen zwar auch um Sponsoren kämpfen, aber die spielen schon seit Ewigkeiten Leistungshandball. In Mainz ist der Verein in den zwei Jahren Zweiter Liga auch etwas professioneller geworden, aber das ist kein Vergleich zu einem Verein wir dem THC. Auch von den Sportstätten her...

…da muss man wahrscheinlich nicht befürchten, dass in den Osterferien die Halle zwei Wochen lang geschlossen ist.

Nee. Da wird für alles gesorgt, da ist im Umfeld alles auf den Handball ausgerichtet – aber klar, die spielen Erste Liga und Champions League. Dass es da Unterschiede zu Mainz geben muss, ist ja logisch.

Wahrscheinlich auch bei den Zuschauerzahlen.

Ich glaube, das ist nicht so schwer. Wir haben in Mainz um die 300 Zuschauer, das ist gut. Aber man merkt halt schon, dass Mainz 05 kein gestandener Handballverein ist. Zu den Spielen des THC nach Bad Langensalza kommen rund 1100 Leute, zu den Champions-League-Spielen in Nordhausen doppelt so viele.

Wie wird sich Ihr Leben verändern? Werden Sie künftig mehr trainieren? Müssen Sie bei Ihrem Studium Abstriche machen?

Was die Trainingsbelastung angeht, wird einiges mehr auf mich zukommen. In Mainz trainieren wir nur dreimal die Woche zusammen, an den anderen Tagen müssen wir individuell arbeiten. Unter anderem, weil wir hier eben nicht diese Möglichkeiten haben, weil einige auch berufstätig sind und nicht so oft trainieren können. Beim THC ist das anders, da wird das Leben viel stärker nach dem Handball ausgerichtet. Ich werde weiter studieren, das ist kein Problem, und das war mir auch sehr wichtig, dass das kein Problem ist, aber ich muss künftig noch besser planen und mir die Zeit besser einteilen.

Kann man mit Frauenhandball Geld verdienen?

Man kann damit super sein Studium finanzieren. Ich könnte in Erfurt neben Handball und Studium nicht noch arbeiten gehen – ich muss es aber auch nicht.

Heute im Zweitliga-Abstiegskampf, morgen Champions League?

Es sieht ganz danach aus. Es müsste schon viel passieren, damit der THC nicht erneut Deutscher Meister wird.

Dann starten Sie ja mal richtig durch.

Oh, ja, ich habe das noch gar nicht so richtig realisiert. Das ist unvorstellbar. Das ist eine Riesenchance, die ich jetzt bekomme.

Was sagen Ihre Eltern zum bevorstehenden Wechsel?

Die unterstützen mich total. Die haben auch in der Zeit, in der ich so lange verletzt war, alles für mich getan. Sie haben mich zu den besten Ärzten gefahren und dafür gesorgt, dass ich eine gute Reha bekomme, behutsam aufgebaut werde. Und sie haben mir auch immer Mut zugesprochen, das war sehr, sehr wichtig für mich. Natürlich gefällt es ihnen nicht, wenn sie drei Stunden fahren müssen, um ihr Kind zu sehen, aber diese sportliche Chance ist einfach zu groß.

Mit 20 Jahren zum Deutschen Meister wechseln, mit 21 Jahren Champions League spielen: Wo soll es noch hingehen? Nationalmannschaft?

Das wurde ich in den vergangenen Tagen oft gefragt, aber meine erste Priorität liegt darauf, beim THC anzukommen. Ich will mich verbessern und mir Spielanteile erarbeiten. Ich weiß, dass ich dafür hart arbeiten muss und mir nichts geschenkt wird. Aber die Voraussetzungen, mich dort weiterzuentwickeln, sind gut. Und was dann kommt, steht in den Sternen.

Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth.

 

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