Rainer Stauber | 27.04.14

Das Boot

Keine Angst: Jürgen Prochnow rudert nicht mit, Martin Semmelrogge schon gar nicht, was ohnehin nicht ins Gewicht fallen würde. Aber „Das Boot“ geht trotzdem nicht unter. Warum? Weil in dem Boot normalerweise zwei Mainzer Ausnahmetalente zusammensitzen, die sich mehr als nur ganz passabel verstehen. Am Sonntag um 12.06 Uhr ist alles anders, aus einem werden zwei Boote. High Noon mit sechs Minuten Verspätung.
Am Mainzer Winterhafen ein perfektes Team, in Köln Konkurrenten: Moritz Moos (links) und Jason Osborne.
Am Mainzer Winterhafen ein perfektes Team, in Köln Konkurrenten: Moritz Moos (links) und Jason Osborne. | Foto: Julia Teine

Köln/Mainz. 12.06 Uhr. Wetten, dass Jason Osborne und Moritz Moos dann hellwach sind? Während andere Menschen am Sonntag normalerweise ihren freien Tag mit einem grandiosen Mittagsmahl zelebrieren oder einfach nur ausschlafen, heißt es für Osborne und Moos: High Noon. Zwar mit ein bisschen Verspätung, genauer gesagt sechs Minuten, aber mit kein bisschen weniger Spannung und Dramatik. 

Um 12.06 Uhr startet der Endlauf um die Deutsche Kleinbootmeisterschaft auf der Regattabahn am Fühlinger See im Norden von Köln. Im Einer-Finale der Leichtgewichte – und das sind Osborne und Moos nicht nur auf der Waage, sondern auch von ihrer für Ruderer untypischen Größe her – sitzen die beiden Topleute des Mainzer Ruder-Vereins auf den beiden Mittelbahnen 3 und 4 nebeneinander und haben die optimale Ausgangsposition für ein erfolgreiches Rennen. Doch wie kam das, wo doch andere Ruderer weitaus stärker favorisiert waren?

Arbeitssieg statt Kaugummi

Im ersten Halbfinale um den Titel des Deutschen Meisters musste Moritz Moos ran. Auf der Außenbahn zwei, was den Regattabahn-Sprecher später unken ließ, dass Kaugummi auf den günstigeren Mittelbahnen klebte. Das alles hinderte den „verblüffendsten Abiturienten aller Zeiten”, so der Mainzer U23-Trainer Marc Krömer, allerdings nicht daran, die sicheren Endlaufkandidaten Max Röger (Brandenburg) und Florian Roller (Stuttgart) hinter sich zu lassen. Und das weit, zumindest auf den letzten 250 Metern.

„Das sah am Ende deutlicher aus, als es war“, sagt der Mainzer Landestrainer Robert Sens. „Das war ein Arbeitssieg.“ Den sich der erst 19-jährige Moos auf der 2000-Meter-Regattabahn schon bei Meter 1000 mit einem ordentlichen Vorsprung hart erarbeitet hatte. Auf den letzten Metern konnte der U23-Weltmeister es dann aber locker austrudeln lassen. Seine Konkurrenten hatten die Fühler da längst gestreckt.

Im zweiten Halbfinale musste Jason Osborne ran. Und der kongeniale Partner von Moos (Sens: „Beide passen perfekt zusammen“) wollte sich nicht lumpen lassen. Auf Bahn 3 ruderte der Favorit aller Leichtgewichte, doch das ließ den Mainzer Ausnahmekönner auf dem Wasser offenbar ziemlich trocken. Den Berliner Lars Hartig galt es zu schlagen oder zumindest ein bisschen zu ärgern. Letzterer hat seit Jahren kein Rennen mehr verloren - bis Jason Osborne kam. In einem spektakulären Finish, bei dem Robert Sens am Ufer gegenüber nicht nur lautstark zu hören war,  sondern vor Anspannung beinahe vom Fahrrad gefallen wäre („Ich musste aufpassen, dass ich kein Kind umfahre. Ich bin wohl der Lauteste an der Strecke gewesen“), spielte Osborne seine ganze Stärke aus, schnellte vor Hartig durchs Ziel, klatschte vor Freude kurz ins Wasser und riss dann beide Arme jubelnd hoch.

Das Mainzer System funktioniert

Gut, es war nur ein Halbfinale, aber psychologisch  –  das weiß jeder Trainer – immens wertvoll. Jason Osborne hat Hartig geschlagen und kann das. Das weiß er spätestens jetzt auch. „Lars Hartig ist immer noch Favorit im Finale, daran hat sich nichts geändert. Ich weiß nicht genau, wann er das letzte Mal verloren hat. Zwei, drei Jahre – Jason war fantastisch“, freute sich Sens über einen perfekten Tag, an dem der Coach sich bestätigt sah. „Unser System funktioniert. Das zeigt, dass wir gut über den Winter gekommen sind.“

Und „Das Boot“? Jason Osborne und Moritz Moos sitzen am Sonntagmittag – 12.06 Uhr –  zumindest mal für etwas mehr als sieben Minuten nicht in demselben. Was nichts daran ändert, dass beide Mainzer irgendwie zusammengehören. „Wir diskutieren viel, aber beide sind sich einig“, sagt U23-Coach Marc Krömer. Wer braucht da Prochnow und Semmelrogge?

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