Christian Karn | 08.04.2020

Den Laden in den Griff bekommen

Das 05-Kalenderblatt* für den 8. April.
Mit einem Schnitt von 1,7 Gegentoren pro Spiel sorgte Keeper Horst-Dieter-Strich für den zweitbesten Mainzer Wert in der Oberliga. Als Trainer führte er die 05er später in die Zweite Liga.
Mit einem Schnitt von 1,7 Gegentoren pro Spiel sorgte Keeper Horst-Dieter-Strich für den zweitbesten Mainzer Wert in der Oberliga. Als Trainer führte er die 05er später in die Zweite Liga.
Am 29. April 2018 durfte Ridle Baku (l.) erstmals in der Bundesliga ran. Und einen 3:0-Sieg gegen RB Leipzig bejubeln, zu dem er den dritten Treffer beisteuerte. In dieser Szene freut er sich aber noch über Alexandru Maxims 2:0.
Am 29. April 2018 durfte Ridle Baku (l.) erstmals in der Bundesliga ran. Und einen 3:0-Sieg gegen RB Leipzig bejubeln, zu dem er den dritten Treffer beisteuerte. In dieser Szene freut er sich aber noch über Alexandru Maxims 2:0. | Bernd Eßling

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es unter anderem um einen der besten Oberligatorhüter, der die Mannschaft als Trainer in die Zweite Liga führte. Um den einzigen Stürmer, der mehr Tore schoss als er Einsätze hatte. Und um einen Zwilling, dessen Karriere Fahrt aufnahm, nachdem er aus dem Bus aussteigen musste.

 

8. April

Heute vor 116 Jahren kam in Nürnberg Karl Scherm zur Welt. Der gelernte Schuhmacher bestritt 1926 zwei A-Länderspiele für den DFB. 1930 scheiterte sein Transfer zum damaligen Spitzenklub SpVgg Fürth. Dem Stürmer wurde vorgeworfen, für diesen Wechsel ein hohes Handgeld kassiert zu haben, worauf er vom Vertrag zurücktreten musste, um kein sportgerichtliches Verfahren zu riskieren.

Scherm war also eine Nummer im deutschen Fußball, als er 1931 nach Mainz wechselte, worauf die 05er zweimal Hessenmeister wurden. Der „Gaukler“, ein kleiner, ungeheuer geschickter und trickreicher Dribbler, schoss im ersten Jahr 24 Tore in 19 Spielen; wegen einer Verletzung verpasste er den Rest der Saison.

Im zweiten Jahr traf Scherm 30-mal in 31 Spielen, in der einzigen Gauligasaison der 05er schoss er bei 21 Einsätzen 23 der 44 Mainzer Tore. In der Summe ergibt das 77 Treffer in 71 Einsätzen – Scherm ist der einzige 05er, der im Schnitt mehr als ein Tor pro Spiel erzielte. In der ewigen Torjägerliste des Klubs steht er auf dem sechsten Platz und ist der einzige, der sich mit weniger als 100 Spielen in die Top 24 schoss.

 

79 Jahre alt wird Horst-Dieter Strich. Der Berliner kam 1962 von Wormatia Worms, wo er zunächst Stammspieler war, dann aber von Petar Radenkovic verdrängt wurde, ins 05-Tor. In Mainz war er von Anfang an gesetzt und kassierte im Schnitt 1,7 Treffer pro Spiel – die zweitbeste Bilanz der 05er in ihrer gesamten Oberligazeit.

1963 war Strich aber schon wieder weg; die Bundesliga begann und der 1. FC Kaiserslautern brauchte einen guten Keeper. Über den PSV Eindhoven, den 1. FC Nürnberg und Bayern Hof wechselte Strich 1971 zurück nach Worms, wo er seine Karriere beendete. Als Trainer kam er 1984 wieder nach Mainz. Die 05er waren gerade an einem Tiefpunkt angelangt. Zu Hause waren sie 1983/84 mit nur zwei Niederlagen und drei Unentschieden immer noch eine Macht, aber auswärts hatten sie immer wieder verloren, teils mit fünf, sechs, sieben Gegentoren. Die Mischung aus Mann- und Raumdeckung, mit der Trainer Lothar Emmerich spielen wollte, hatte nicht funktioniert, die Mannschaft war nur Achter der dritten Liga geworden, die schlechteste Platzierung ihrer Historie.

Norbert Hönnscheidt soll's regeln

Obwohl Strich keinen allzu guten Kader mehr hatte, nachdem sich einige Leistungsträger verabschiedet hatten, bekam er den Laden wieder in den Griff. Auf der Basis eines innovativen Abwehrsystems, bei dem der einstige Vorstopper ins Mittelfeld vorrückte und der 18-jährige Libero Dirk Scherrer häufig auf einer Linie mit den Manndeckern eine hochstehende Abseitsfalle aufbaute, ließ Strich einen intelligenten, aggressiven Offensivfußball spielen. Die Mainzer fingen die wenigsten Gegentore der Liga (29) und abgesehen von den beiden Aufstiegssaisons 1987/88 (19) und 1989/90 (20) die wenigsten ihrer Geschichte.

Nur zur Oberliga-Meisterschaft reichte es noch nicht. Über einen zweiten und zwei fünfte Plätze brachten sie sich in Zugzwang – die Mannschaft war für den Amateurfußball zu teuer geworden. 1988 mussten sie raus aus der Liga, irgendwie. Der Schlüssel lautete schließlich Norbert Hönnscheidt.

Nach der Meisterschaft gab's Geld

Die 05er kauften den Stürmer für viel zu viel Geld vom 1. FC Saarbrücken frei; das Geld hatten sie gar nicht. Die Folge: Vier Monate lang bekamen Mannschaft und Trainer kein Gehalt. „Einzelne Spieler sind zu mir gekommen und haben gesagt, dass ich im nächsten Spiel ohne sie planen soll“, erinnerte sich Strich später. „Ich habe jedes Mal gesagt, dass sie keine Dummheiten machen sollen. Wir würden Meister werden und dann das Geld bekommen. So kam es dann auch.“

Unterdessen hatten sich der Trainer und der 05-Vorsitzende Bodo Hertlein heftig zerstritten; Strich verließ den Verein nach der Saison, mal wieder zur Wormatia. Als wenige Monate nach dem Aufstieg Hertlein bei der Mitgliederversammlung jedem für seine gute Arbeit dankte, aber den Trainer in seiner Rede überging, kippte die Stimmung im Saal. Hertlein wurde kurzerhand aus dem Amt geputscht. Es begann die fast 30 Jahre anhaltende Ära von Harald Strutz.

 

Und diese Ära war bereits fast zehn Jahre alt, als vor 22 Jahren in Mainz Bote und Makana Baku geboren wurden. Die Zwillinge verbrachten schon ihre jungen Kickerjahre am Bruchweg. Ihre sportlichen Wege trennten sich erstmals nach der U17, als Makana, genannt Rudi, für eine Saison zum A-Junioren-Regionalligisten SV Gonsenheim wechselte, wo er auch auf sieben Oberligaeinsätze in der Ersten Mannschaft kam. Danach ging’s zurück in die U-19-Bundesliga, wo er mit fünf Torvorbereitungen der beste Mainzer Vorlagengeber wurde.

Nach der Jugend wechselte Makana Baku zur SGS Großaspach; nach 66 Drittligapartien zog es den Angreifer zum Zweitligisten Holstein Kiel, wo inzwischen 17 Spiele zu Buche stehen.

Aus Bote Baku wurde nicht nur Ridle – den vom Vater verliehenen Kosenamen ließ er inzwischen in seinen Pass eintragen –, sondern auch einer der jüngsten Mainzer Bundesligaspieler. In der B-Jugend noch als torgefährlicher Außenstürmer ein Leistungsträger, wurde er in der U19 zu einem (immer noch torgefährlichen) Linksverteidiger umgeschult. In der U23 schlug er als Anhieb als lauf- und kampfstarker Sechser mit viel Übersicht ein.

Schwarz hielt an Baku fest

Beinahe zu einem Debakel, dann aber zu einem frühen Highlight seiner Karriere geriet sein Erstligadebüt: Am 29. April 2018 befand sich Baku mit der Regionalligamannschaft auf dem Weg nach Freiburg, als Teammanager André Hechelmann ihm zu verstehen gab, er solle an der nächsten Raststätte aussteigen. Profi-Teammanager Darius Salbert hatte angerufen.

Der Grund: Danny Latza war kurzfristig für das Spiel gegen RB Leipzig am Nachmittag ausgefallen, Trainer Sandro Schwarz benötigte einen Ersatz, und der saß im Bus, der sich inzwischen auf Höhe von Bruchsal befand. Also stieg Baku aus. Was er wusste, war, dass Salbert ihn abholen und nach Mainz kutschieren würde. Mit ordentlich Geschwindigkeit, wie Sportvorstand Rouven Schröder später scherzte: „Dem Fahrer war schlecht, dem Spieler zum Glück nicht.“

Was Baku noch nicht wusste, war, dass er bei seinem ersten Bundesligaeinsatz von Beginn an auf dem Feld stehen würde. Nach 20 Minuten waren nur noch wenige der Meinung, Schwarz habe eine gute Idee gehabt; in einer torkelnden 05-Mannschaft wirkte der junge Achter heillos überfordert und hätte um ein Haar den Rückstand verschuldet. Doch der Trainer hielt an ihm fest, Baku fing sich bis zur Pause und legte eine beeindruckend starke zweite Halbzeit hin. Mit einem Distanzknaller zum 3:0-Endstand als Krönung. Inzwischen hat der U-Nationalspieler in 40 Bundesligapartien mitgewirkt; ohne eine längere Verletzungspause wäre es noch einige mehr. (phe)

 

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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