Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 24.11.2020

Leichtigkeit wäre eine Bürde

Seine Gefühlslage am Tag nach dem ersten Saisonsieg habe sich nicht wesentlich von der nach den vorangegangenen Partien unterschieden, sagt Jan-Moritz Lichte, der Trainer des FSV Mainz 05. Seine Mannschaft dürfe nach dem 3:1 in Freiburg nicht in alte Muster zurückfallen, sondern müsse sich jeden weiteren Erfolg hart erarbeiten.
Solche Bilder kennt man nach verlorenen 05-Spielen zur Genüge. In Freiburg zog aber auch die Erleichterung Daniel Brosinski zu Boden.
Solche Bilder kennt man nach verlorenen 05-Spielen zur Genüge. In Freiburg zog aber auch die Erleichterung Daniel Brosinski zu Boden. | René Vigneron

Mainz. Wenn es um die Leichtigkeit des Seins geht, hält es Jan-Moritz Lichte zumindest in Bezug auf seine Mannschaft eher mit Milan Kundera. Der tschechische Schriftsteller hatte diesen Zustand in seinem Mitte der 1980er Jahre erschienenen Roman als „unerträglich“ bezeichnet – und dem Trainer des FSV Mainz 05 erscheint er unzuträglich.

„Mit Leichtigkeit sind wir selten erfolgreich gewesen“, sagt er aus seiner Erfahrung von fast dreieinhalb Bundesligajahren am Bruchweg. Erfolge habe dieser Kader sich immer schwer und hart erarbeiten müssen. Von daher habe die Woche nach dem sonntäglichen 3:1 beim SC Freiburg zwar „mit einem angenehmeren Grundgefühl“ begonnen. „Für die Spieler war es wie eine Befreiung, für uns alle war es eine wichtige Geschichte, uns mal so zu belohnen.“

Aber niemand dürfe jetzt davon ausgehen, der Knoten sei gelöst und die nächsten Erfolge stellten sich automatisch ein. Von daher sei seine Gefühlslage am Tag nach dem ersten Saisonsieg keine wesentlich andere gewesen als nach den vorangegangenen Partien.

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Was passiert in den Köpfen?

Die Warnung hatte Lichte bereits bei der Pressekonferenz in Freiburg formuliert, und er habe sie in der Nachbesprechung mit seiner Mannschaft am Montagmorgen wiederholt, erzählt er in der kleinen digitalen Medienrunde. „Wir haben darüber gesprochen, warum wir das Spiel gewonnen habe, was passieren muss, damit wir Spiele gewinnen – und es muss klar sein, dass ein paar Prozent weniger dafür nicht reichen. Wahrscheinlich würde selbst Hansi Flick sagen, dass seine Bayern keine Mannschaft sind, die ohne 100 Prozent zu erreichen ihre Spiele gewinnt.“ Das 1:1 des Rekordmeisters gegen Werder Bremen mag als Beweis gelten.

Ob seinen Profis dies tatsächlich klar ist, oder ob sie nach vier Punkten aus zwei Spielen und dem Sprung auf einen Nichtabstiegsplatz wieder in das sattsam bekannte Muster der Selbstzufriedenheit verfallen, darauf werde der Trainerstab in der Vorbereitung auf das Spiel gegen die TSG Hoffenheim am Sonntagabend achten. Die mentale Vorarbeit leistete Lichte in der Kabine. „Ich habe die Frage in die Runde gestellt, was in den Köpfen der Spieler passiert, wenn wir zweimal hintereinander ungeschlagen sind…“

Mental noch fragil

Diesen Mechanismus müsse man begreifen, um gegensteuern zu können. Immerhin kann der Trainer derzeit darauf hoffen, dass es sich keiner seiner Akteure leisten kann, unter der Woche einen Gang zurückzuschalten. Dafür scheint der Konkurrenzkampf zu groß. Am nächsten Sonntag sind der zuletzt gelbgesperrte Danny Latza und Jonathan Burkardt, sofern er seine Erkältung auskuriert hat, wieder Kandidaten für die erste Elf, fürs defensive Mittelfeld, in dem in Freiburg Leandro Barreiro und Edimilson Fernandes einen guten Job verrichteten, meldet auch Kunde Ansprüche an.

„Das sind alles Spieler, die sich anbieten, und deshalb müssen die anderen ebenfalls Gas geben“, sagt Lichte. „Wenn das alle verstanden haben, werden wir hoffentlich gegen Hoffenheim wieder ein gutes Spiel machen.“

So überzeugend, druckvoll und stabil die 05er in Freiburg vor der Pause aufgetreten waren, zeigte sich im Verlauf der zweiten Halbzeit doch, wie fragil das Gebilde noch ist. Mental fragil, um genau zu sein. Denn nach dem Gegentor, bis zu dem kein großer Unterschied zum ersten Durchgang zu erkennen war, war es um die Souveränität geschehen. Auch Lichte spürte „den Respekt davor, was passiert, wenn wir noch einen Treffer kassieren. Geben wir die Führung dann wieder aus der Hand? Da denkst du als Spieler erst mal nach hinten, und dann vergisst zu wegen der Torverhinderung das Rausschieben.“

Gegentor an sich kein Problem

Deshalb seien Ballgewinne nicht mehr in den bevorzugten Räumen erfolgt, aus denen heraus seine Mannschaft bestmöglich umschalten könne. Stattdessen standen die Mainzer tiefer als in der ersten Stunde, und wenn sie den Ball eroberten, rückten sie nicht konsequent genug nach vorne. „Daran müssen wir noch arbeiten“, räumt Lichte ein, sagt auch: „Andere Dinge sind wichtiger, als uns damit zu beschäftigen, wie wir eine 3:0-Führung behaupten…“

Das Gegentor an sich fand der Coach nicht weiter schlimm. Selbstverständlich sei es schön, keine Treffer hinnehmen zu müssen. „Aber wir treten nicht mit dem Anspruch an, dass die Null stehen muss, sondern wir wollen torgefährlich sein.“ So torgefährlich, dass einer oder selbst zwei Gegentreffer noch nicht zu einem Misserfolg führen. „Chancen zu kreieren gehört zu unseren Spiel“, betont Lichte, „und dafür haben wir auch die Typen.“

Und klar: Hätte Jean-Philippe Mateta den Ball bei seiner einzigen Chance in der zweiten Halbzeit nicht ans Lattenkreuz gezimmert, sondern trotz des spitzen Winkels noch im Tor untergebracht, wäre dies das 4:0 gewesen. Über einen Freiburger Treffer wäre danach vermutlich nicht mehr geredet worden.

 

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